04.3
Drei
von der Feme
Band 3
Max Schraut
- Ein gefährliches Preisrätsel -
1933
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Ellen Clinton auf
unserer Fährte
Der
kleine Pavillon im Ostwinkel
des Londoner Hyde-Park, berühmt durch die wundervollen
Rhododendronbüsche, die
ihn farbenfroh umgeben, war an diesem dunstigen Maitage das Ziel dreier
Herren,
die aus verschiedener Richtung wie von ungefähr zur selben Zeit sich
dem
versteckten Plätzchen näherten und dann auf den Klappstühlen sich
niederließen,
ihre Zigaretten anzündeten und gleichgültig mit kühler Reserviertheit
aneinander vorüber in den Regen hinausblickten, der in dünnen Fäden vom
bleigrauen Himmel herunterrann.
Sie
waren gleichmäßig
diskret-vornehm gekleidet, diese eleganten Nichtstuer, und als ein
Bettler die
Pavillontreppe emporhumpelte, warfen sie nachlässig dem alten Manne ein
paar
Schillingstücke zu. — Sie hatten ein sehr feines Verständnis für echte
und für
erheuchelte Bedürftigkeit, und als der Greis sich mit scheuem Staunen
über die
reichen Gaben entfernt hatte, sagte der Jüngste von ihnen mit
eigentümlich
gedämpfter Stimme:
„Wir
haben uns seit vorgestern
nicht gesprochen. Einige Verdachtsmomente liegen wohl vor, daß
Seymour Flox mit dem flüchtigen Bankräuber Sylvester Blooc
identisch sein
mag. Bestimmtes konnte ich nicht in Erfahrung bringen. Es existieren
keine
Fotografien von Blooc, und die Angaben über seine Person sind sehr
widerspruchsvoll.“
„Jedenfalls
ist es ein
Schwindler“, meinte unser Freund Roger Sheffield harten Tones. „Er ist
reif für
die Feme, denke ich. Das Preisrätsel ist Humbug, und gerade die
Minderbemittelten werden darauf hineinfallen, lieber Bick.“
Bickfort
Tomsen nickte und
schaute mich fragend an.
Ich
war ernster gestimmt, als
meine beiden treuen Helfer es ahnten.
„Ellen
Clinton war heute mittag
wiederum in unserer Albemarle-Street“, sagte ich nachdenklich. „Auch
Mac
Forster ist eine lästige Neuerscheinung. Die Familie Clinton treffen
wir
bestimmt im Old-Palast. Es wäre zweckmäßig, über Miß Ellens Absichten
schleunigst Klarheit zu gewinnen. Leute wie wir dürfen uns nicht
leisten, eine
noch so geringe Gefahr unbeachtet zu lassen.“
Da
sich jetzt ein paar
Spaziergänger näherten, erhob ich mich und schritt ohne Gruß davon.
Unsere
Zusammenkünfte außerhalb
unseres Schlupfwinkels verliefen stets in derselben Weise. Selbst der
Argwöhnischste hätte nie vermutet, daß diese drei Gentlemen sich
kannten oder
gar der berüchtigte Warner, Richter und Henker seien. —
Die
Jazzkapelle des Old
England-Palastes spielte einen schmissigen Tango, und Ellen Clinton
schmiegte
sich noch enger in die sicher führenden Arme ihres Verlobten.
Mac
Forster war eine äußerst
sympathische Erscheinung, und die etwas kalte Regelmäßigkeit seiner
Züge,
aus denen ebensoviel Tatkraft wie Verschlossenheit sprachen, machten
ihn nur
noch interessanter.
„Mac“,
flüsterte die allzeit
heiter und scheinbar etwas oberflächliche Ellen ihm halb scherzend zu,
„wenn
ich an das Preisrätsel denke und an den ersten Gewinn, könnte ich
wirklich zur
Detektivin werden . . .!“
Die
Tanzdiele in den
Erdgeschoßsälen der großen, neuen Vergnügungsstätte war trotz des recht
unfreundlichen Maiwetters gedrängt voll.
Mac
Forster, der bei einem
bekannten Rechtsanwalt angestellt war, schien durch Ellens Äußerung
etwas unangenehm
berührt zu sein.
„Schlage
dir solche Gedanken aus
dem Kopf!“, erwiderte er fast schroff. „Dieses sogenannte Preisrätsel,
das doch
nur ein Reklametrick des Old-Palastes ist, halte ich für unsinnig, und
lediglich für einen Versuch, das Publikum auf die Drei von der Feme zu
hetzen!“
„Abwarten!!“,
lachte Ellen mit
ihrer melodischen Stimme sehr doppeldeutig, und abermals bog Mac
Forster sich
zurück und betrachtete seine Verlobte eigentümlich forschend.
Der
Herr, der dicht hinter dem
Brautpaar trotz seiner bereits angegrauten Schläfen und trotz des
grauem
Spitzbartes und der würdigen Hornbrille seine Tänzerin mit vollendetem
Geschick
durch das Gewühl leitete, hatte sehr gute Ohren, und sowohl Ellen
Clintons
seltsame Bemerkung „Abwarten!!“ sowie Mac Forsters Blicke gaben ihm
allerlei zu
denken.
Das
Brautpaar kehrte nun an den
Tisch, an dem Ellens bescheidene Eltern saßen, recht schweigsam zurück,
und
auch der angegraute Herr brachte seine Tänzerin an ihren Platz und
setzte sich
an ein Tischchen, wo er mit zwei ihm anscheinend unbekannten anderen
Gästen
seit sieben Uhr abends gesessen hatte.
Mr.
Clinton, Ellens Vater, ein
durch geschäftliche Fehlschläge verbitterter und auch kränklicher
Mann,
drängte jetzt zum Aufbruch. Er war daran gewöhnt, früh zu Bett zu
gehen, und
seine Frau, der man die herbe Enttäuschung über die Ungerechtigkeit des
Schicksals gleichfalls ansah, warf ihrer hübschen Tochter einen
bitteren Blick
zu, so daß die Clintons und Mac Forster sich sehr bald entfernten.
Die
drei Herren am Nebentisch
zahlten gleichfalls, und ich, der seit einiger Zeit allen Grund hatte,
Ellen
Clinton scharf zu beobachten, — ich also, der angegraute Tänzer mit der
Brille,
verließ als erster den Old-Palast und holte unser Auto vom nächsten
Parkplatz,
nahm dann meine beiden Freunde unterwegs auf und steuerte den Wagen gen
Norwood, wo wir in der Albemarle-Street 16, 17, 18 unter anderen Namen
die
harmlosen, soliden Junggesellen und Hausbesitzer spielten, die einander
natürlich nicht kannten und nicht einmal auf der Straße grüßten.
Unsere
Limousine hielt
schließlich vor einer abgelegenen Garage, und eine Viertelstunde später
fand in
meinem Arbeitszimmer eine der gewohnten Besprechungen der Drei von der
Feme
statt.
„Ihr
dürft nicht vergessen“,
erklärte ich auf die von meinen Freunden geäußerten Bedenken hin, „daß
Ellen
die Privatsekretärin Hemmerfolks ist und daß sie daher wahrscheinlich
über uns
weit mehr weiß, als für unsere Sicherheit zuträglich sein dürfte. Ellen
Clinton
ist bestimmt sehr klug und nebenher eine gute Komödiantin. Dreimal traf
ich sie
in den letzten Tagen hier in Norwood, und da ihr Chef Hemmerfolk den
vorigen
Fall des „Mäusebussard“ bearbeitet hat, kam mir sofort der Verdacht,
daß dieses
blonde Mädchen mit den lachenden Braunaugen uns drei hier in Norwood
vermutet.
Gewiß, dem Kommissar Hemmerfolk ist nun die Verfolgung der
steckbrieflich
seit Monaten gesuchten Feme abgenommen und dem in London bisher
unbekannten
Spezialkommissar Baaker übertragen worden, von dem selbst wir nur
wissen, daß
er ein ebenso eleganter wie kluger und tatkräftiger Mann sein soll.
Niemand
kennt seine Wohnung, im Polizeipräsidium von Scotland Yard läßt er sich
nicht
blicken, er hüllt seine Persönlichkeit in ein geheimnisvolles Dunkel
und wird
sich wohl nur mit Hemmerfolk in Verbindung gesetzt haben, also mit
Ellen
Clintons Brotgeber und Chef. Spezialkommissar Harry Baaker, der in
Beamtenkreisen der unsichtbare Kongolöwe genannt wird, ist zweifellos
ein weit
gefährlicherer Gegner für uns als Hemmerfolk. Und gerade deshalb müssen
wir Ellen
Clinton noch mehr Beachtung schenken als bisher, sie führt bestimmt
etwas im
Schilde, und daß wir gezwungen sind, dagegen schleunigst
Vorbeugungsmaßnahmen
zu treffen, bewies mir Ellens sehr vielsagendes „Abwarten!“, das sie
scheinbar
scherzend ihrem ebenfalls nicht zu unterschätzenden Verlobten Mac
Forster
zuflüsterte . . .“
Plötzlich
läutete es an meiner
Flurtür. Es war inzwischen halb zehn geworden, und der Frühlingssturm
und
gelegentliche Regenschauer prasselten und rumorten recht nerven-
aufpeitschend gegen
die Fenster.
Bick
und Roger verabschiedeten
sich schnell und kehrten durch die gut versteckten Türen in ihre
Nachbarhäuser
zurück.
Ich
ging öffnen. Da ich hier in
Norwood als Präparator Arthur Elsen lebte und auch als Tierheilkundiger
einigen
Ruf genoß, wunderte es mich nicht weiter, daß eine arme alte
Hausiererin, eine
Witwe namens Amalie Pellwoor, mir ihre von einem Hund gebissene Katze
brachte.
Frau
Pellwoor erzählte mir,
während ich ihre Poussy verband,
so allerlei über ihren mühseligen
Beruf und erwähnte dabei auch, daß gestern ein junges Mädchen sie
angesprochen und gefragt habe, ob hier in Norwood jemand wohne, der
durch seine
Menschenfreundlichkeit und Hilfsbereitschaft bekannt sei.
Eine
böse Ahnung stieg da in mir
auf.
„Und
was antworteten Sie dieser
Miß Clinton?“, fragte ich trotzdem ganz unbefangen.
„Lieber
Mr. Elsen, — natürlich
nannte ich Ihren Namen . . . Ich wußte doch, daß Sie die
Krankenhauskosten für
die alte Smith und . . .“
„Schon
gut, schon gut . . . Und
haben Sie dieser Miß Clinton noch mehr Leute angegeben, die es wie ich
für eine
Selbstverständlichkeit erachten, Bedürftige und Kranke zu
unterstützen?“
„Ja,
Mr. Elsen, — mit Stolz erklärte
ich, daß Ihr Nachbar in Nummer 16, der Herr . . .“
„Danke
. . . danke! — Liebe Frau
Pellwoor, Sie können nun gehen. — Entschuldigen Sie schon, ich habe
eine sehr
wichtige Verabredung in der City . . . — Hier haben Sie auch noch eine
Kleinigkeit, damit Sie Poussy pflegen können . . . — Keinen Dank .
. .
Gute Nacht. Ich werde Sie die Treppe hinabgeleiten und die Haustür
sofort
verschließen, einen Pförtner halte ich mir nicht . . .“
Vor
der Haustür drückte mir Frau Amalie
nochmals die Hand und hatte dabei Tränen in den Augen. Sie
hatte es nur gut gemeint, als
sie mich gleichsam an Ellen Clinton verriet.
Kaum
war sie verschwunden, als
eine tief verschleierte schlanke Mädchengestalt die Straße überquerte
und vor
mir stehen blieb.
„Mr.
Elsen?“ fragte sie kurz und
energisch.
Ich
gewahrte drüben unter der
Laterne noch einen Mann im Wettermantel und erkannte auch ihn.
Es
war Mac Forster, Ellens
Verlobter.
Ich
wurde mir der großen Gefahr,
in der wir schwebten, sofort bewußt.
Hier
konnte nur äußerste
Kaltblütigkeit retten, was noch zu retten war.
„Sie
wünschen, Miß?“ meinte ich
höflich.
„Das
möchte ich Ihnen unter vier
Augen mitteilen, Mr. Elsen. Ich mache Sie aber jetzt gleich darauf
aufmerksam,
daß drüben mein Verlobter wartet und daß ich Sir Hemmerfolk zunächst
unter
einem Vorwand veranlaßt habe, hier einige Detektive zu verteilen.“
„Verzeihung,
— von alledem
begreife ich nichts“, sagte ich halb belustigt auflachend. „Sie tun ja
gerade
so, als wäre ich ein Verbrecher, Miß . . .“
Aber
Ellen Clinton erwiderte
genau so bestimmt:
„Wofür
ich Sie halte, werden Sie
sofort hören. Ich warne Sie, — das ist alles . . . Darf ich
nähertreten?“
„Bitte,
sehr gern . . . Ich
stelle mit Freuden Irrtümer richtig, und Sie befinden sich bestimmt
irgendwie
auf falscher Fährte.“
„Wir
werden sehen!!“, meinte das
energische Mädchen anzüglich.
Dann
verschloß ich die Haustür,
schritt die Treppe hinan und nötigte diese äußerst kluge, gefährliche
Gegnerin
in mein Arbeitszimmer.
Auf
der Schwelle blieben wir
überrascht stehen.
Vor
meinem Schreibtisch standen
zwei Polizeibeamte in Uniform. Der eine trug die Abzeichen eines
Inspektors,
der andere die eines Sergeanten . . .
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