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Literatur


04.3


Drei von der Feme
Band 3
Max Schraut
- Ein gefährliches Preisrätsel -
1933
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6. Kapitel
 
   Auf der nächtlichen Themse

„Sie fürchteten es?!“, meinte Ellen plötzlich vollkommen verwandelt. Sie sprach mit einer Ruhe, die sogar Evelyn überraschte. „Ich fürchte nichts . . . Ich sorge mich nur um die Sicherheit der Drei von der Feme, denn ich kann diese Männer nicht verurteilen, die man verfolgt und hetzt und die doch nur immer im Grunde Gutes getan haben.“

Ihre Sprache klang leidenschaftlich und voll innerster Überzeugung.

Evelyn Baaker blickte still zur Seite.

„Gutes?!“, wiederholte sie zweifelnd. „Nennen Sie es gut, wenn die Drei eigenmächtig Menschen verschwinden lassen?! Nennen Sie es gut, wenn diese Drei selbstherrlich mit Hilfe ihres Reichtums, denn sie sind sehr reich, das weiß man, die seltsamsten Methoden anwenden, um unter Umgehung des Rechtsweges zu strafen?!“

Ellen Clinton warf den hübschen Kopf kampflustig in den Nacken. „Ich nenne es gut“, verteidigte sie uns voller Eifer, „den Armen in aller Stille zu helfen, und das tun die Drei, – das weiß ich! Wir beide, Miß, wer Sie auch immer sein mögen, werden hierüber nie zu einer Einigung gelangen. Vorhin sagten Sie, wir hätten keine Zeit zu verlieren. Das stimmt. Ich schulde Ihnen Dank . . .: Der Tresor ist offen! Lassen Sie mich mein heimliches Werk vollenden. Ich . . . ich will nur einen der für das Preisrätsel eingelaufenen Briefe öffnen und prüfen — nur das! Hindern Sie mich nicht daran. Denn es ist mein eigener Brief, Miß. Ich will niemanden schädigen.“

Evelyn Baaker nickte nur. „Bitte . . . Ich glaube Ihnen. Trotzdem — ich warne Sie!“

Doch Ellen Clinton hatte bereits einen der Kästen, in denen die Briefe je nach Eingang sauber geordnet in Reihen eng beieinander lagen, herausgenommen und auch sehr bald ihren Brief gefunden.

Schon beim Anblick des Umschlages stutzte sie.

Evelyn war nähergetreten.

„Was bedeutet das?!“, rief Ellen gänzlich verwirrt. „Hier steht auf der Rückseite meine Adresse, mein Name, aber meine Handschrift ist nur nachgeahmt!!“

„Öffnen Sie!“ meinte Evelyn halb befehlend. „Die Briefklappe ist nur leicht zugeklebt.“

Ellen gehorchte . . .

Und jetzt, als sie das Amateurbild und die beigefügte, mit Maschine geschriebene Beweisführung betrachtete und las, entfuhr ihr trotz aller Selbstbeherrschung ein leiser Schrei.

Schnell tat sie Bild und Briefblatt wieder in den Umschlag zurück, klebte ihn zu und legte den Brief mit zitternder Hand in den Kasten zurück.

Evelyn beobachtete sie unausgesetzt.

„Sie sind freudig überrascht, Miß Clinton?“, fragte sie forschend.

„Ja, — mehr als das! Ich begreife nicht, wie . . .“, und da schwieg sie plötzlich.

Kommissar Baakers kluge, energische Schwester meinte etwas mißtrauisch:

„Handelt es sich wirklich um das Bild und das Beischreiben, das Sie dem Old-Palast einschickten?“

„Darauf kann ich Ihnen leider nicht antworten, Miß“, erklärte Ellen so bestimmten Tones, daß Evelyn mit einem leichten Achselzucken den Tresor wieder verschloß.

Für mich war es höchste Zeit, das Feld zu räumen.

Gleich darauf beobachtete ich vom Dache aus, wie beide Mädchen sich über die Feuerleiter und den Hof unangefochten entfernten, kehrte dann über den Hausboden in meinen Verschlag zurück und nahm einige gründliche Veränderungen mit mir vor.

Es war jetzt halb zwölf, und das Nachtkabarett im dritten Stock des Old-Palastes hatte gerade mit seinem Programm begonnen.

Ein Herr im Frack mit leicht angegrauten Schläfen und einer würdigen Hornbrille schlenderte durch die dicht besetzten Tischreihen und schaute dabei verschiedentlich auf seine Uhr, — er schien Bekannte zu suchen, jedoch nicht zu finden, verließ wieder den Saal und saß fünf Minuten darauf in einer dunklen Limousine.

„Du wirst noch etwas warten müssen, lieber Bick“, sagte er zu dem blondbärtigen Schofför. „Freund Roger Sheffield, unser Henker, hatte sich im Kabarett gerade erst einen Imbiß servieren lassen. Inzwischen werde ich die Vorhänge zuziehen und die Schreibmaschine hervorholen. Du mußt einen Brief an Mac Forster schreiben, einen deiner Warner-Briefe.“

„Mit Vergnügen, Mr. Charles Bellard!“, erwiderte Bick übertrieben diensteifrig. „Dieser Macdonald Forster ist ebenfalls eine der dunklen Nummern in unserem Spiel.“

„Nicht die dunkelste“, schränkte ich Bicks abfällige Kritik etwas ein.

Als der Brief fertig war, bestieg Roger Sheffield im Zylinder und Abendmantel unser Auto. — Er zeichnet sich nie durch übermäßige Liebenswürdigkeit aus, heute war er besonders schlechter Laune. „Nicht einmal zwei Stunden darf man sich im Kabarett ausschlafen!“, brummte er unwirsch. „Was zum Henker gibt’s denn?!“

Bickfort Tomsen lachte. „Du solltest nie „Zum Henker“ sagen, edler Baronett. Du schon gar nicht! An allen Anschlagsäulen ist dein Ruhm abgedruckt. — Höre zu. Olaf hat mir folgenden Warner-Brief an Mac Forster diktiert:

„Mr. Macdonald Forster, die Gründe Ihres seltsamen Benehmens Ihrer Braut gegenüber sind uns zwar noch unklar. Um so bestimmter wissen wir, daß Sie ein Menschenfänger sind. Hüten Sie sich! — Dies ist ein Befehl, den Sie verstehen werden. — Der Warner.“

„Er mag den Brief verstehen, — ich verstehe ihn nicht“, meinte der stämmige Baronett mißmutig.

„Tröste dich, Roger, ich tappe genau so im Dunkeln wie du“, sagte Bickfort leise kichernd. „Olaf hat offenbar jetzt die richtige Katze am Schwanz erwischt.“

„Ja, — — Poussy!“, erklärte ich genau so belustigt. „Frau Amalies Poussy . . .! — — Und nun vorwärts!“ —

Um dieselbe Zeit saß Macdonald Forster, der doch nur bei einer Anwaltsfirma als einfacher Schreiber tätig war, zusammen mit mehreren sehr ernsten Herren, die recht scharfe Züge und kühle, kluge Augen hatten, in seinem zweiten und eigentlichen Heim in Park Lane und ließ mit stoischer Ruhe die Vorwürfe des Polizeipräsidenten über sich ergehen.

„Forster“, sagte der Allgewaltige von Scotland Yard unter anderem, „die Dienste, die Sie uns bisher geleistet haben, erkenne ich rückhaltslos an. Daß ein Mann wie Sie selbstlos genug ist, seinen wahren Bildungsgrad und seinen Stand derart zurückzusetzen, um der Allgemeinheit zu dienen, kann nicht hoch genug bewertet werden. Aber die letzte Sache hätte niemals geschehen dürfen. — Also auch Sie haben nicht die allergeringste Spur gefunden?“, fügte er überflüssigerweise hinzu.

„Nein, — ich erklärte das schon zweimal“, erwiderte Forster kalt und mit einem eigentümlich finsteren Blick.

Der Präsident erhob sich. „Es tut mir leid, Forster“, meinte er achselzuckend. „Ich muß Ihre Vollmachten zurückziehen und widerrufen.“

„Bitte, mir nur angenehm“, meinte der also Gemaßregelte achselzuckend, und um seine Lippen zeigte sich dabei ein Ausdruck von Schmerz und Gewissenspein, der nur einem sorgfältigen Beobachter auffallen konnte.

Die Herren hatten in ihrer Erregung — denn es ging hier um sehr ernste Dinge — das wiederholte Pochen an der Flurtür überhört.

Der Mann, der in das Arbeitszimmer Zutritt begehrte, ohne von Forsters Diener in die Wohnung eingelassen zu sein, war ein uniformierter Angestellter eines Eilboten-Instituts und hatte bereits an der Tür eine Weile gehorcht. Jetzt erst wurde Forster aufmerksam und rief etwas gereizt und ungeduldig mit seiner zuweilen messerscharf klingenden Stimme ein überlautes „Herein, zum Donner!“

Der alte Bote entschuldigte sich, daß er die Herren gestört habe, überreichte Forster einen Brief und verschwand eiligst.

Auch die hohen Herren des Präsidiums verabschiedeten sich merklich kühl, und als Macdonald nun allein war, schnitt er den Briefumschlag hastig auf. — Er kannte dieses dicke, gelbliche Papier, und mehrmals überflog er mit verkniffenen Augen die sonderbare Warnung, — nein, diesen ihm durchaus verständlichen Befehl.

Forster war ein Mensch mit eisernen Nerven.

Jetzt aber betupfte er sich doch die schweißfeuchte Stirn, starrte grübelnd vor sich hin und hob dann den seltsam traurigen Blick und betrachtete sinnend das Bild Ellen Clintons, das drüben auf seinem Schreibtisch stand.

Gleich darauf verschwand er in seinem Schlafzimmer, von dessen Fenstern er eine Reihe von Gärten überschauen konnte, blieb lange Zeit im Dunkeln stehen und zog sich schließlich sehr eilig um.

Er hoffte insgeheim, den wachsamen Augen der Feme doch noch zu entgehen, — — aber er täuschte sich.

Wir hatten alles getan, endlich hinter sein geheimnisvolles Treiben zu kommen, und als Forster an den Docks eine einsame Wassertreppe hinabstieg und völlig vermummt ein kleines Boot loskettete, mit dem er über den Strom ruderte, hatten wir bereits ein Motorboot entliehen und blieben abermals unbemerkt hinter ihm, hielten uns aber in weiter Entfernung und beobachteten ihn durch ein Fernglas.

Freund Bickfort war am Ufer geblieben. Wir vermieden es nach Möglichkeit, zu dreien aufzutreten, und die weiteren Ereignisse bewiesen, wie richtig wir auch diesmal gehandelt hatten.

Ich hatte längst einen armseligen Kahn mit einem Außenborder wahrgenommen, scheinbar das mit Körben gefüllte Fahrzeug eines Gemüsehändlers, und auch Freund Roger schaute wiederholt mißtrauisch hinüber.

Die Nacht war hell und sternenklar, und Mac Forster, immer noch mißtrauisch und vorsichtig, wich jetzt in großem Bogen einer Polizeibarkasse aus und nahm dann wieder die Richtung auf einen Seitenkanal, in dem zumeist größere Schleppkähne lagen und dessen Ufer von Bogenlampen stellenweise hell beleuchtet wurden, während Schiffsstauer und Arbeiter die Schleppzüge entluden.

Das Quietschen der Ketten von Dampfwinden und Kränen, das Poltern und Rasseln der auf Schienen laufenden kleinen Kippwagen und das Aufheulen von Dampfsirenen erklang immer lauter, immer näher.

Der Mann in dem Gemüsekahn, dessen Außenborder einen greulichen Lärm vollführte, war nun von Mac Forsters Boot kaum mehr hundert Meter entfernt.

Plötzlich sah ich in dem Gemüsekahn, in dem ein einzelner älterer Mann hockte, das Mündungsfeuer einer Maschinenpistole aufblitzen . . .

Schüsse waren nicht zu hören. Der Außenborder ratterte ohnedies wie ein Maschinengewehr . . .

Freund Roger schrie erschrocken auf.

„Olaf, — — das galt Forster!!“

Ja — es hatte Forster gegolten, und sein kleiner Nachen trieb nun mit der Mündung davon.

Mac war verschwunden.

Aber auch der Kahn des heimtückischen Schützen benahm sich sehr seltsam: Er sackte weg!! Und das ging so schnell, daß der geheimnisvolle Insasse und niederträchtige Meuchelmörder zweifellos eine Bodenklappe seines Fahrzeugs geöffnet haben mußte.

Wir beide konnten uns um den gefährlichen Burschen, der nun schwimmend entkam, nicht weiter kümmern . . .

Unser Motorboot hatte Besseres zu tun.

Ich wußte: Der Schütze entging uns nicht mehr!

Für mich war das Geheimnis der Persönlichkeit des stillen Kompagnons des Mr. Seymour Flox bereits so gut wie gelöst, und damit zugleich das des flüchtigen amerikanischen Bankräubers Silvester Blooc, der so ungezählte kleine Sparer um die Früchte ehrlicher Arbeit gebracht hatte.


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