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04.3
Märchen Allgemein
Johann
Heinrich Lehnert
Das
Silberschäfchen
Eine
Mutter hatte ein kleines Töchterchen, mit
diesem ging sie spazieren, hinaus auf das grüne Feld. Die Sonne aber
schien gar
warm, und der Himmel war mit tausend und tausend silberweißen Wölkchen
bedeckt.
»Was
sind denn das für Schäfchen?« fragte das Kind.
»Das
sind Himmelsschäfchen,« sagte die Mutter, »die
treibt ein freundlicher Hirte auf die Weide, und wenn es vorher lange
geregnet
hat, und die Silberschäfchen kommen an den Himmel, so scheint gewiss
die liebe
Sonne bald wieder.«
»Ach
Mutter,« sagte das Kind, »kauf mir doch ein
Silberlämmchen.«
»Das
kann ich nicht,« sprach die Mutter, »denn auf
der Erde gibt es keine solche schöne Schafe, die gibt's nur am Himmel,
und der
Hirte, der sie weidet, hat alle seine Schäfchen gezählt, und gibt
keines davon
her.«
»Ach,
bitte ihn einmal darum,« sagte das Kind. – Da
versprach die Mutter, den Hirten darum zu bitten, und sie gingen mit
einander
heim.
Das
Kind aber konnte die Himmelsschäfchen nicht
vergessen, und wenn auch die Mutter, um es zu beruhigen, sagte, sie
hätte den
Schäfer vergeblich darum gebeten, so verlangte es nur um so begieriger
ein Schäfchen,
und ward endlich krank vor Sehnsucht und Bekümmernis. »Ich will ja
gewiss recht
gut und brav sein,« sagte das Kind, »aber gib mir nur ein
Himmelsschäfchen.«
Da
ward aber die Mutter um ihr Kind sehr besorgt,
und sie ging hin zu einem Manne, der verfertigte ihr ein ganz kleines
Schäfchen
von Holz mit einem goldenen Halsbändchen, und strich es an mit
Silberfarbe. Das
brachte die Mutter dem Kindchen, und sagte: »Hier hast du ein
Himmelsschäfchen,
das hat mir ein Mann gebracht.« Aber das Kindchen sprach: »Das ist kein
Himmelsschäfchen; die Himmelsschäfchen sind viel größer und schöner;
gib mir
ein Himmelsschäfchen!«
Da
ging die Mutter wieder zu demselben Manne, der
machte ihr ein anderes Schäfchen, so groß als die Schafe gewöhnlich
sind, und
bedeckte es ganz mit weißer Wolle, in die waren Silberflittern gewoben.
Die
Mutter aber brachte ihrem Töchterchen dies Schäfchen, und sagte: »Da
hat mir
der Mann ein anderes Schäfchen gebracht, das wird wohl ein
Himmelsschäfchen
sein; sieh, wie es groß ist, und welch schöne Wolle es hat!«
Aber
das Kind weinte, und sagte: »Das ist kein
Himmelsschäfchen. Die Himmelsschäfchen haben durchsichtige Wolle; gib
mir ein
Himmelsschäfchen, oder ich sterbe!«
Da
ward die gute Mutter sehr betrübt, denn ihr
Kindchen wurde kränker und kränker, und sie wusste nicht, wie sie ein
Himmelsschäfchen bekommen sollte. Da setzte sie sich des Nachts in das
Kämmerlein, wo ihr Töchterchen krank lag, und weinte vor Sehnsucht und
Bekümmernis, und vergoss heiße Tränen.
Als
sie aber so traurig vor sich hinsah auf den
dunkeln Boden, da kam es ihr vor, als täte sich die Wand auf, und sie
sah
hinaus an den weiten, weiten Himmel, und in der Ferne gewahrte sie eine
weibliche Gestalt, die trug ein silberweißes Lämmchen auf ihrem Arm,
und
schwebte, auf Wolken getragen, zu ihr her. Da füllte sich aber das
Kämmerlein
mit wundersamen Glanze, und die Wände, die vorher dunkel waren,
glänzten jetzt,
wie das sanfte Licht der Morgenröte. Die königliche Frau aber stellte
das
Schäfchen in das kleine Blumengärtchen, das vor dem Fenster war, und
sprach:
»Ich habe Mitleid gehabt mit deinem Kummer, und habe deinem Töchterlein
ein
Himmelsschäfchen gebracht.«
Da
wachte das Kind in seinem Bettchen auf, und sah
die königliche Frau, und das Himmelsschäfchen, das ging im Blumengarten
auf und
ab. Da ward ihm ganz wohl. Die königliche Frau aber sprach zu ihm: »Ich
schenke
dir, was du so sehr gewünscht hast, aber gib acht, dass du nicht
ungehorsam
bist, oder eine Unwahrheit redest: denn erfahre ich einen einzigen
Ungehorsam,
oder eine Lüge von dir, so ist dein Schäfchen verloren.«
Das
Kind aber gelobte seiner Mutter, alles zu tun,
was die königliche Frau verlangt hatte. Diese aber verschwand, wie sie
gekommen
war; der Lichtglanz verblasste allmählich; aber statt dessen stieg die
Sonne über
die blauen Berge hervor, und schien ins Kämmerchen und ins
Blumengärtchen, wo
das Himmelsschäfchen weidete. Es hatte silberglänzende Wolle, die war
ganz
durchsichtig, wenn die Sonne darauf schien, und um den Hals hatte es
ein Band,
das hatte sieben glänzende Farben, wie der Regenbogen. Es blökte aber
nicht,
wie die andern Schafe, sondern es sang zuweilen mit wunderschöner
Stimme. Da
lief das Kind zu ihm hinaus, und streichelte es, und brach ihm frischen
Klee
ab; aber es wollte nichts fressen, sondern roch zuweilen an den süß
duftenden
Rosen und den weißen Lilien – das war seine Speise.
Das
Kindchen hatte nun seine große Freude an dem
schönen Lämmchen, und rief alle seine Gespielinnen herzu, und zeigte
ihnen das
Himmelsschäfchen. Es folgte ihr auf ihren Ruf, wenn sie es hinausführte
auf die
Wiese, wo die duftenden Kräuter wuchsen, und ging mit ihr, wenn sie
nach Hause
zog; des Nachts aber schlief sie bei ihm in einem Bettchen. Wenn sie
dann des
Morgens aufwachte, stand das Schäfchen schon wieder im Blumengarten vor
dem
Fenster, und roch an den Rosen und Lilien.
Eines
Tages ging das Mädchen mit dem
Himmelsschäfchen wieder hinaus auf eine schöne, große Wiese, durch die
Wiese
aber floss ein silber klares Bächlein, und über den Bach ging eine
kleine
Brücke. Die Mutter aber sagte: »Gehe mir ja nicht weiter, als bis an
die
Brücke, ich fürchte, das Himmelsschäfchen möchte in den Bach fallen und
ertrinken.«
Das
Mädchen ging nun mit dem Schäfchen auf die
Wiese, und spielte mit ihm, wie sie immer getan hatte. Da kamen ihre
Gespielinnen zu ihr, die sagten: »Komm, wir wollen einmal dort über den
Bach
gehen auf jenen Berg, dort ist's gar schön.« Das Mädchen aber
entgegnete:
»Nein, das darf ich nicht tun, meine Mutter hat mir's verboten.« – »Ei,
warum
denn;« sagten ihre Gespielinnen, »wir können ja dort viel schöner
spielen, als
hier.« – »Ja,« sagte das Mädchen, »ich fürchte, wenn wir über die
Brücke gehen,
so möchte mein Schäfchen in den Bach fallen und ertrinken.« – »Dafür
lass uns
sorgen;« erwiderten die Gespielinnen, »wir wollen‘s schon halten,
dass es
nicht hineinfällt.« Da gab das Mädchen nach, und ging mit ihren
Gespielinnen an
den Bach. Als sie aber an die Brücke kamen, dachte das Mädchen an die
Worte der
königlichen Frau, da sie ihr gesagt hatte, sie solle ihrer Mutter nicht
ungehorsam sein. Darum sagte sie: »Nein, ich darf meiner Mutter nicht
ungehorsam sein, sonst wird mir mein Himmelsschäfchen genommen.«
–
»Ei, wer
wird dir das nehmen?« sagten ihre Gespielinnen; »das hat die königliche
Frau
nur so gesagt. Und damit es ja nicht in den Bach fällt, so nimm es in
den Arm,
und trage es hinüber.«
Da
nahm das Mädchen das Himmelsschäfchen auf den
Arm, und trug es hinüber. Wie sie aber auf die Mitte der Brücke kamen,
da brach
die Brücke, und die Mädchen, die vor ihr gingen, fielen alle in den
Bach; sie
selbst aber erschrak so sehr, dass sie das Himmelsschäfchen fallen
ließ. Es
fiel aber nicht in den Bach, sondern in dem Augenblicke tauchte
dieselbe
königliche Frau, die es ihr gebracht hatte, aus dem Wasser hervor, und
fing es
mit den Armen auf; dann aber erhob sie sich, und ein Paar Wolken
trugen
sie hin an den Himmel, und sie setzte das Lämmchen wieder zu den andern
Himmelsschäfchen, wo es früher gewesen war. Das Mädchen aber weinte
sich die
Äuglein rot, und bat ihre Mutter, sie möchte ihr ein anderes
Himmelsschäfchen
verschaffen; aber die Mutter sagte: »Das ist die Strafe des
Ungehorsams!«
Ihre
Gespielinnen aber, die sie zu dem Ungehorsam
verleitet hatten, kamen dies Mal mit dem bloßen Schrecken davon. Ihre
Kleider
waren jedoch ganz nass und schmutzig geworden, und sie mussten so nach
Hause
gehen. Da wurden sie von Allen ausgelacht und verspottet. Deshalb
gingen sie in
sich, und bereuten, was sie getan hatten, und haben nachher niemand
mehr zum
Ungehorsam verleitet. –
oben
weiter
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