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Literatur




Märchen der Völker

Stefan Mart
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Kapitel VI - Das verschwundene Schloss
Spanischer Ritterroman nach Miguel Cervantes

In jämmerlichem Zustande, mit Pflastern über und über bedeckt und mit gequetschten Rippen hing Don Quixote, mehr als er saß, im Sattel des Esels. Rosinante war nicht fähig, ihn zu tragen. Sancho Pansa ging lahm wie ein Krüppel dahinter. So waren sie aus der Schlacht mit den Hirten hervorgegangen. - Die Nacht kam heran. Sie gelangten an ein Wirtshaus, das Don Quixote alsbald für ein verwunschenes Schloß ansah, obwohl sein Knappe steif und fest behauptete, es sei eine gewöhnliche Schenke. Bald lag der zerschundene Ritter in einem Bette dieses Wirtshauses, während Sancho Pansa sich auf dem Boden davor lagerte. Don Quixote befand sich übel, ächzte und stöhnte laut und anhaltend, so daß das Gejammer durch das ganze Haus drang. Ein rauher und grober Maultiertreiber geriet über seine gestörte Nachtruhe so in Wut, daß er den klagenden Ritter kurzerhand aus dem Bette holte und fürchterlich verwalkte. Als Sancho Pansa seinem Herrn zu Hilfe eilen wollte, geriet er in der Dunkelheit an den Wirt, der mit seiner Magd in die Kammer gestürzt kam. Nun gab es ein böses Durcheinander. Jeder schlug wie toll um sich her und jeder Faustschlag, der traf, brachte einen blauen Fleck. - Zufällig hatte im Nebenzimmer ein Häscher sein Quartier.
Er erwachte von dem gräßlichen Lärm, nahm seinen Amtsstab, eilte im Finstern in die Schlägerei und rief mit lauter Stimme: "Friede im Namen der Obrigkeit! Friede und Ruhe!" Der erste, den er mit den Händen greifen konnte, war Don Quixote, der ohne Besinnung in seinem zertrümmerten Bette lag. Er faßte ihn beim Barte, zupfte ihn und schrie "Achtung vor der Obrigkeit!" Aber auch der Häscher konnte nichts ausrichten gegen den wütenden Maultiertreiber, der jetzt den Ritter mitsamt seinem Knappen durch die Tür in die mondhelle Nacht hinauswarf, um endlich ungestört schlafen zu können. Draußen auf dem weichen Moosgrund des Waldes fanden sich Don Quixote und Sancho Pansa wieder. - "Freund, kannst Du jetzt schlafen?" ächzte der Ritter.– "Alle Teufel sind los und in dieser gemeinen Schenke über mich armen  Kerl hergefallen!" - "Nein. Du irrst, Freund!" versetzte Don Quixote, "wir befanden uns in einem verzauberten Schlosse. Denn wisse, als ich auf meinem Schmerzenslager wimmerte. kam unversehens die mächtige Faust eines ungeheuren Riesen und versetzte mir einen Kinnhaken, daß mir die Sinne ver-

gingen. Darauf zermalmte mich der
Riese mit Händen und Füßen. Es war ein erbarmungsloses, gräuliches Ungeheuer!" - "Mir ist es schlimmer ergangen," sagte Sancho Pansa; "mich haben vier- oder fünfhundert Mohren so jämmerlich durchgedroschen, daß mir die Prügelsuppe, die wir heute morgen von den Hirten empfingen, wie Kuchen und Zuckerbrot vorkommt. Weh mir! Weh mir! Ich bin kein fahrender Ritter und doch bekomme ich von allem Unglück, das uns betrifft, immer das schlimmste Teil." - "Also bist Du auch geprügelt worden, mein  Freund?" sagte Don Quixote zerknirscht.  "Wenn ich Unglücklicher nur jetzt den  Wundertrank des ,Fierabras' hätte! Zwei  Tropfen davon würden uns gesund machen  und alle Schmerzen stillen!" - "Wo ist der  Trank, edler Ritter?" fragte Sancho begehrlich. -




"Ein berühmter Zauberer hat ihn,  wie ich in einem herrlichen Ritterroman  gelesen habe. Wenn wir diesen finden, so  werde ich ihn zwingen, den köstlichen  Balsam  herauszugeben, um Dir, Freund  Sancho, Deine Schmerzen zu lindern." - "O Gott, o Gott, da werde ich lange leiden  müssen!" -

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