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04.2
Märchen der
Völker
Stefan Mart
Kapitel XVI- Der
Kampf mit dem Spiegelritter
Spanischer Ritterroman nach Miguel Cervantes
Als
die beiden Helden das
gegenüberliegende Ufer des Flusses Ebro wieder erreicht hatten, wo
Rosinante
und der Esel festgebunden waren, gab es ein freudiges Wiedersehn. Sie
setzten
sich unter einen Korkbaum, aßen und tranken und waren trotz ihrer
nassen Kleider
guten Mutes. Doch als sie sich hinterher zum Schlafen legen wollten,
wurden sie
aufgestört. Zwei Männer zu Pferde ritten auf ihr Lager zu. Don Quixote
zweifelte keinen Augenblick daran, fahrende Ritter vor sich zu sehen. -
"Sancho, Sancho!" flüsterte Don Quixote, "Ein Abenteuer ist
nahe." - "Der Himmel möge geben, daß es ein gutes sei,"
antwortete der Knappe, indem er sich gähnend die Augen rieb. - Ein
fremder
Ritter in klirrender und blitzender Rüstung sprang von seinem Pferde;
sein
Knappe aber, der eine gewaltig große und blaue Nase hatte, blieb auf
seinem
Esel sitzen. - "Seid Ihr von der Zahl der Vergnügten oder von der Zahl
der
Mißmutigen?" rief der goldschillernde Ritter herüber. - "Von den
Mißmutigen!" erwiderte Don Quixote. "Kommt heran, wenn Ihr ein ganzer
Mann seid." Bald saßen alle vier mit verschränkten Beinen unter der
Korkeiche und erzählten von blutigen Abenteuern und von grausigen
Schicksalen
tapferer Ritter. Der Waldknappe mit der gewaltigen und blauen Nase
flößte
Sancho Pansa heimlichen Schrecken ein; auch gefiel ihm die Rüstung von
dessen
Herrn nicht, deren Gold wie gewöhnliche Bronze stumpf und billig
aussah; dazu
entdeckte er viele kleine
Spiegel, die an allen Ecken und Kanten dieser sonderbaren Rüstung
angebracht
waren. Er wollte seinen Herrn durch
einen Wink darauf aufmerksam machen; aber Don Quixote hörte mit
angespanntem
Interesse den außergewöhnlichen Erzählungen des fremden Ritters zu. -
"Ich
habe ganz Spanien durchstreift und alle fahrenden Ritter, selbst die
stärksten
und edelsten, zum Zweikampf herausgefordert und sie besiegt", erzählte
der
bronze- und spiegelgeharnischte Ritter mit bramarbasierendem Pathos.
"Ich
habe sogar, worauf ich am meisten stolz bin," fuhr der
großsprecherische
Recke fort, "einen Kampf mit dem berühmten Ritter Don Quixote von la
Mancha siegreich bestanden und habe ihm das Geständnis abgerungen, daß
meine
Gebieterin schöner sei, als seine Dulcinea von Toboso!" Da sprang Don
Quixote in heftigem Zorne auf und rief: "Ihr lügt, nichtswürdige
Kreatur!
Denn wisset, ich selbst bin Don Quixote von la Mancha! Kommt heran zum
Kampfe,
wenn Ihr Mut dazu habt!" - "Es ist schon zu dunkel, um zu
kämpfen;" entgegnete ganz kaltblütig der goldene Waldritter, "im
Dunkeln kämpfen nur Räuber und Spitzbuben!" - "Steh, feiger Hund!"
Don Quixote drang mit dem Schwert auf den mit Spiegeln übersäten Ritter
ein.
Gleichzeitig war Sancho Pansa aufgesprungen und schlug seinem
unangenehmen
Berufsbruder mit einem gewaltigen Faustschlag auf die verhaßte blaue
Hakennase.
Zu seinem größten Erstaunen fiel die Nase aus dem Gesicht des
Waldknappen, es
war eine schlecht fabrizierte Pappnase. Schnell hob Sancho sie vom
Boden auf
und lief zu seinem Herrn, der den glitzernden Strauchritter mit einem
Schwertstreich zu Boden geschlagen hatte und schrie: "Seht hier diese
Nase, gnädiger Herr! Wir haben mit elenden Betrügern zu tun!" Don
Quixote
schnaubte vor Wut. Die Rüstung der am Boden liegenden vergoldeten
Heldengestalt
war auch aus Pappe, und der darin steckte, war kein anderer als Sanson
Carrasco, der Schuster und Nachbar Sancho Pansas aus dem gemeinsamen
Heimatdorfe.
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