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Märchen der
Völker
Stefan Mart
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König Midas
hat Eselohren
Antikes
griechisches Märchen
Schauen
wir zurück in das antike Sagenland der Griechen! - Vergegenwärtigen wir
uns hier ein Bild: Über der hellenischen Küste wird Licht. Aurora, die
Morgenröte, gleitet in die glutvollen Arme des Sonnengottes Helios, der
aufsteigt im rossegezäumten Flammenwagen. - Arkadien in Glanz und
Glorie: Grünende Fluren - Hirtenflöten - im Spiele tanzende Najaden -
in dunklen kühlen Hainen marmorne Tempel auf dorischen Säulen; -
bockspringende Faune - rasende Mänaden - kämpfende Centauren. - Götter
halten Zwiesprache mit Königen, senden ihre Boten zu den Menschen. -
Die Welt Homers - die Welt, die jetzt versunken und vergessen. - Nun, -
lassen wir eine, von all den vielen Sagen erstehen! Etwas Lustiges von
Menschen und Göttern: Midas, dazumal ein König, so riesig reich wie
dumm (es gab auch dumme Könige), mußte dafür büßen, daß er nicht wußte,
wie dumm er war. Er maß sich selbst in seinem Unverstand mit Göttern.
Bacchus, der Gott der Trauben, gab es auf, ihn zu belehren, erfüllte
ihm daher, nur um ihn los zu sein, jeglichen Wunsch. Und
König Midas hatte täglich neue Wünsche. "Mache, liebster Gott, daß
alles Gold wird, was ich je berühre!" - bat einst der König
unbedenklich. Dem Gotte kam der anspruchsvolle Wunsch nicht
überraschend; er gab dem Menschen seine Hand und sprach mit
wohlverstellter Miene: "Wohlan, es sei gewährt!" und König Midas ging
beglückt von dannen. - Der Stein am Weg, den seine Hand berührte wurde
Gold. Ähren, Äpfel, Blumen, Schüssel, Tisch und Wände, alles wurde
blankes Gold. Doch wehe, auch die Speisen wurden hartes Gold und
brachen ihm die Zähne ab. Ein kühler Trunk rann ihm als goldener
Klumpen in die Kehle. So ging es eine Zeitlang. Bis endlich, elend und
dem Hungertod verfallen, der unermeßlich reiche König vor des Bacchus
Tempel lag und flehte: "Hilf! o Gott, ich sterbe!" Gott Bacchus lachte
ob der wohl verdienten Strafe und gab ihm gnädig die Erlösung. Nach
dieser kleinen Episode, in der vermessentlich ein Mensch, wie König
Midas, einem Gotte lästig wurde, sollte man denken, daß der Besagte,
wenn dieser auch in Anstands- und Verstandessachen unbegabt,
respektvoll seine Lehren zieht. Nicht so der Midas. Wir hören nun, daß
unser unverbesserlicher König mit Gott Apoll, dem Herrn der Töne, schon
bald darauf in eine Fehde kam, woraus die unwahrscheinlich komische
Geschichte sich erklärt, daß einem König schimpflich Eselsohren
wuchsen. - Nach jener tüchtigen Lektion erging sich König Midas zur
Erholung auf Arkadiens schönen Fluren. Es führte ihn sein Weg durch
einen Zirbelhain. Die
Blätter an den Zweigen wisperten und rauschten, ein munterer Quell
sprang lustig plätschernd aus dem Felsgestein, die Käfer und die Falter
summten und kleine wie auch große Vögel trillerten und jubilierten. Das
alles im Zusammenklang war ein Konzert von wundervoller Harmonie. Man
sollte meinen, einem Menschenkinde sei dieses Weben, Klingen der Natur
vom Himmel eine Offenbarung, ein Festgeschenk von einem gnädigen Gotte.
Wie alle dummen Sterblichen, war König Midas solcher Gnade
unempfänglich. Im Gegenteil, es wirkten diese Stimmen der Natur auf
seine Ohren gar wie lästige Geräusche. Das ärgerte Apoll, den Gott der
Lieder, der hier im helligen Haine seine Tempelstätte hatte. Er trat
dem König in den Weg, griff in die Saiten seiner Leier und fiel mit
Sang und Klang in die Musik des Waldes ein, daß in der Luft ein Klingen
lag, berauschend schön wie ein Orchester wohl aus hunderten von
Instrumenten. Statt andächtig zu lauschen und respektvoll sich zu
beugen, regte sich in König Midas Brust einzig und allein der Wunsch,
sich selbst hervorzutun. Obgleich er für die Kunst der Töne kein
Verständnis hatte, versuchte er, in der Verblendung seiner Eitelkeit,
Verständnis vorzutäuschen. Er kritisierte dies und das, bemängelte den
Rhythmus wie das Adagio, und störte ungeniert die göttliche Musik durch
lautes Zwischenreden. Der Gott Apollo winkte schließlich ab; doch
widersprach er nicht dem unverbesserlichen König und meinte scheinbar
heiter: "Für meine edlen Melodien sind deine Ohren wohl ein wenig kurz,
mein König!" Dem Störer wuchsen plötzlich lange Ohren, die ihm am Kopfe
wackelten nach Eselsart. - So
strafte Gott Apoll die Dummheit. Der Schreck war groß. Nun hieß es,
diese Schande zu verbergen. Und Midas floh in seiner Gärten Einsamkeit
und rief nach Zeus, dem Göttervater, er möge ihm verraten, welcher
Schuld er solche Ohren zu verdanken habe. "Der Dummheit!" - tönte wie
ein Donnerkeil des Gottes Stimme. In seiner Not grub Midas sich ein
Loch an einem Tümpel und rief sein Leid hinein wohl zwanzigmal, worauf
er es mit einem Stein beschwerte. Auf diese Weise vertraute er der Erde
sein Geheimnis an und glaubte fest, es sei vergraben und vergessen.
Doch daß die Erde weiblich ist und alles Weibliche nicht schweigen
kann, das wußte der dumme König nicht. - Schon flüsterte das Schilf am
Wasser: "König Midas hat Eselsohren!" Dann wußten es die Bäume, Vögel,
Wind und Wolken und jedes Haus. Im ganzen Land ging das Geheimnis um:
"König Midas hat Eselsohren." - Da endlich sah der König seine Dummheit
ein, band sich ein graues Fell um seinen Leib und ging zur Buße unter
eine Herde Esel. - Fürwahr ein königlicher Esel! - Die Götter aber, die
die Dummheit strafen, erhoben im Olymp ein schallendes Gelächter.
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