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Märchen der
Völker
Stefan Mart
_____________________________
Das
magische Krokodol
Afrikanisches
Märchen
uf
der Insel Bimini, weit von der afrikanischen Küste entfernt, im
Atlantischen Ozean, lebte der große Mulungu, das magische Krokodil. Er
war über tausend Jahre alt, grün wie eine unreife Quitte, mit Moos und
Algen bewachsen. Seine schwefelgelben Augen phosphoreszierten mit
unheimlichem Glanze und hatten eine magische Kraft. Dieses uralte
Krokodil, das den Geist des großen Mulungu verkörperte, marschierte
aufrecht auf Hinterfüßen und Schwanz, lenkte Regen, Sturm, Blitz und
Donner und verstand sich auf alle Künste der schwarzen Magie. Darum
wurde es von dem Inselkönig "Jim Ra" und seinen Untertanen gefürchtet
und hoch verehrt. Keiner des Stammes zweifelte an seinen wunderbaren
Fähigkeiten, höchstens mal an seinem guten Willen, wenn hin und wieder
etwas nicht stimmte. Der Medizinmann Kohobbo und der weise Tumaan waren
schon oft bestraft worden, weil sie zuweilen ungläubig zu lächeln
wagten, wenn man ihren Worten keine Beachtung schenkte, sondern
blindlings dem großen Mulungu folgte, und Ana, der blaue Papagei, bekam
seiner unpassenden Bemerkungen wegen stundenlang kein Wasser. Eines
Tages nun, am Tage des Regenfestes, an dem der prophezeite Regen
ausblieb, bewegte sich das Krokodil unter dem feierlichem Tam-Tam
sämtlicher Trommeln und Pauken zum Könige und seine geheimnisvolle
Miene verriet, daß es etwas Großes zu verkünden habe. Im Dorf hielt
alles den Atem an; es hatten sich zu beiden Seiten zwei lebende
schwarze Mauern gebildet, um den Verkünder hindurch zu lassen. Die
Sitze der Ältesten des Dorfes waren voll besetzt, und der König "Jim
Ra", umgeben von einigen weißbärtigen Nachkommen seines uralten
Stammes, wartete ungeduldig auf den Propheten. Hochaufgerichtet
marschierte dieser heran. - "Mulungu, Mulungu..." murmelten die
erschrockenen Dörfler. Mulungu aber verhüllte seine gelben Augen,
drehte sich dreimal um sich selbst und schlug dreimal mit dem Schwanz
in den Sand. Die ängstliche Neugier ließ sämtliche Gesichter zu Masken
erstarren. Das Krokodil hub an mit von Tränen erstickter Stimme: "Ihr
seht meine Tränen fließen, wie meine Schuppen sich sträuben, mir graut
zum ersten Male in meinem Leben vor meinem Wissen; mein altes
moosbedecktes Haupt ist von unheimlichen Ahnungen umgeben. Nicht aus
eigenem Antriebe komme ich, um euch das geheimnisvolle Dunkel der
Zukunft zu enthüllen; das Geheimnis drängt mich, das furchtbare
Geheimnis, das seit Monden im schwärzlichen Moraste der Urwaldstille
brütet!" - Die ganze Dorfbevölkerung, die jetzt einen großen Kreis
bildete, warf sich mit dem Gesicht in den trockenen heißen Sand und
manche vergruben vor Furcht den Kopf darin. "Jim
Ra" wurde blaß unter seiner schwarzen Haut. - "Pulla, rum Pulla!" -
fuhr das Krokodil fort und wischte sich die langen Tränen ab." Vor weit
über tausend Jahren erhob sich die Insel Bimini durch eine Katastrophe
im Innern der Erde aus dem Meere. Öde und tot, von keinem Wesen belebt,
lag das Land da, nur im Schlamme lag 'Ovum', das Ei, aus dem der erste
Urahn des ehrwürdigen Bantu-Geschlechtes oder 'Ra' und ich geboren
wurden. Dann kam Sonnensegen, Regen und 'Lo Lama', der Erdgeist,
brachten dem Urahn die Frau 'Mi'. Nun, nach jahrhundertelangem Gedeihen
- oh, daß ich nie aus dem Ei geschlüpft wäre, Euch solche Kunde bringen
zu müssen, - nun, in drei Monden wird unsere schöne Insel im Meere
verschwinden, wie sie aufgetaucht ist. Die Insel Bimini wird also
untergehen!" Mulungu, das Krokodil verhüllte seine tränenerfüllten
Augen, drehte sich dreimal um sich selbst, schlug dreimal mit dem
Schwanz in den Sand und verschwand. - In seinem Morast angekommen,
hatte Mulungu seine Krokodilstränen schnell getrocknet; es riß den
Rachen auf und lachte, daß es ihm aus den Ohren trompetete. Dann legte
es sich erwartungsvoll in den Schlamm und lauerte. Meereicheln,
Meerschweinchen schmeckten ihm schon lange nicht mehr und Affen waren
ihm ganz zuwider; die schmeckten nur nach Bananen und Johannisbrot. Ihn
gelüstete nach schmackhaftem Menschenfleisch. Das heuchlerische
Krokodil hatte sich nicht verrechnet. Es
dauerte gar nicht lange, da rauchten im Dorf die Herde und dampften die
Wasserkessel. Alle Schweine, Ziegen, Hühner, Enten des Dorfes wurden
geschlachtet und gebraten, alle Vorräte an Getreide in die Kessel
geworfen und gekocht, alle Kalebassen mit Bier und starken Getränken
geöffnet und es ging ein Feiern und Schmausen los, daß es eine Art
hatte. Die Dörfler wollten, den sicheren Tod vor Augen, wenigstens
vorher noch einmal tüchtig feiern und sich gütlich tun. Vergebens
versuchten der Medizinmann Kohobbo und der weise Tumaan dem Treiben
Einhalt zu gebieten und den teuflischen Plan des Mulungu aufzudecken.
Die Leute aber ließen sich in ihrem Festrausch nicht stören. - Jetzt
war es an der Zeit. Mulungu schlich sich an den Tumult heran und holte
sich erstmal Kohobbo, seinen Widersacher und den weisen Tumaan; dieses
Mal rollten ihm Schlemmertränen aus den falschen Augen. Keiner im Dorfe
merkte etwas davon. Mulungu konnte sich also ungestört die besten
Happen holen. Als letzter blieb der König "Jim Ra" übrig und den fraß
Mulungu in aller Freundschaft. Das magische Krokodil war so groß und
dick geworden, wie ein vorsintflutliches Ungeheuer, und die Insel
Bimini, zu klein geworden, versank mit ihm im Meere.
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