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Märchen der
Völker
Stefan Mart
Sindbad der
Seefahrer
Märchen aus 1001
Nacht
_____________________________
Erste
Reise - Die lebende Insel
eine
Geschichte, ihr edlen Herren, ist wunderbar. Von zu Hause aus mit
Gütern gesegnet, lebte ich in Bagdad, der Stadt der Freuden,
verschwenderisch in den Genüssen des Lebens und glaubte, mein Reichtum
nähme nie ein Ende. Ich wurde eines andern belehrt. Um der Armut, der
Not zu entgehen, kehrte ich alles zusammen, was mir geblieben, machte
aus meinen Grundstücken einige tausend Dirhem, kaufte ein stattliches
Schiff, rüstete es aus, befrachtete es mit guter Ware und schickte mich
an, wie viele andere Kaufleute, zur See Handel und Wandel zu treiben.
Ich nahm mir einen erprobten Kapitän, der mein Schiff steuerte und die
Mannschaft befehligte. So fuhren wir denn hinaus auf das Meer. Basra
war mein erstes Ziel. Nach etwa sieben Tagereisen erblickten wir eine
kleine sonnige Insel, die außer mit Buschwerk und niedrigem
Palmenbestand mit seltenen Kräutern bewachsen war. Wir warfen Anker,
und ich begab mich allein mit einem Holzbottich auf das Eiland, um von
den Kräutern zu sammeln, die ich für eine Haschischspeise zu verwenden
beabsichtigte. Als ich ahnungslos das Beste herauspflückte, rief auf
einmal der Kapitän hoch vom Schiffsbord aus, so laut er konnte:
"Sindbad, rettet Euer Leben und kommt aufs Schiff, so schnell ihr
könnt! Die Insel ist keine wirkliche Insel, sondern ein großer mitten
im Meere feststehender Fisch!" - In
diesem Augenblick tauchte das Ungeheuer aus dem Wasser. Es brauste und
zischte - die See donnerte - ich wurde in hohem Bogen
zusammen mit dem
Holzbottich in die Wellen geschleudert. Mein Kapitän hatte den Kopf
verloren, war aus Furcht schleunigst davongesegelt und überließ mich
meinem Schicksal. Mitsamt dem Schiffe war er bald meinen Augen
entschwunden. Um der Süßigkeit des Lebens willen schwang ich mich
rittlings auf den Bottich, zog meine Schuhe aus und begann darauf mit
meinen Füßen wie mit Rudern im Wasser zu arbeiten. Fische, große und
kleine, von den bizarrsten Formen, in allen Farben schillernd, sprangen
aus dem Wasser und begleiteten, wie um mich anzufeuern, meine
sonderbare Fahrt. Aus Leibeskräften ruderte ich drauf los. Was ich so
versuchte, um mich zu retten, erwies sich bald als ein aussichtsloses
Beginnen. Ein Sturm kam auf, packte mich gewaltig und schleuderte mich
die Wasserberge hinauf und hinunter. Ich war meines Unterganges gewiß.
In solcher Lage brach die Nacht über mich herein. Endlos und
hoffnungslos trieb ich in der Finsternis dahin, bis ich vor Müdigkeit
und Entkräftung die Besinnung verlor. -
Als
ich
erwachte - o gnädiges Schicksal! - hatten mich Wind und Wellen an das
Ufer einer hohen Insel geworfen, deren heller Sand im glänzenden
Morgenlicht leuchtete. Mein
erster Blick, als ich meine Augen öffnete, fiel in das dunkelhäutige
Gesicht eines Schwarzen, der sich erstaunt über mich gebeugt hatte. -
"Wer bist du, woher kommst du?!" rief er mich an. - "Ich bin ein
Fremdling, der Wunderbares erlebt hat", erwiderte ich höflich und
versuchte aufzustehen. Als ich aber meine Füße, die ich gleich Rudern
im Wasser gebraucht hatte, auf den festen Boden der Insel setzte, fand
ich, daß sie erstarrt und an den Sohlen von Fischen zernagt waren. Doch
nicht genug damit: Muscheln, Krabben, kleine Seesterne und sonst noch
allerhand mögliche und unmögliche Wassertierchen hatten sich an ihnen
festgesetzt und ließen sich nicht so ohne weiteres entfernen. Bekümmert
um dieses neue Ungemach setzte ich mich in den weichen Sand zurück.
Nun
erkundigte ich mich bei dem Neger nach dem Stand und den Eigenschaften
der Insel. - "Diese Insel", hub der Gefragte an, "gehört dem König
Mihrdschan; jedoch liegt die Stadt des Erlauchten gerade
entgegengesetzt diesem Teile der Insel, auf dem wir uns befinden. Diese
Hälfte ist einsam und wird jahrein, jahraus von keines Menschen Fuß
betreten. Nur ein Zufall führte mich hierher. Die Rosse des Königs
waren ausgebrochen, um im Meere zu baden; auf der Suche nach ihnen kam
ich hierher und fand euch, mein Herr." - Glücklich und dankbar für
meine Rettung aus Seenot und Einsamkeit ging ich daran, mir aus dem
Holz, das über den Strand verstreut lag, Krücken zu verfertigen, damit
ich mit ihrer und des Negers Hilfe die Stadt des erlauchten König
Mihrdschan erreichen könne. Ohne
Aufenthalt machten wir uns auf. Lauer Wind wehte, üppige Früchte und
viele süße Quellen zeigten sich uns zu beiden Seiten des Weges. Als wir
uns der Stadt näherten, hatte der König schon Bericht bekommen und
verlangte nach mir. Ich wurde ihm zugeführt, und als ich vor ihm stand,
begrüßte ich ihn, worauf er mir den Salem erwiderte und mir mit dem
Wunsche für ein langes Leben einen herzlichen Willkomm bot. Dann fragte
er mich nach meiner Geschichte. Ich erzählte ihm von Anfang bis zu
Ende, was mir widerfahren war und was ich geschaut hatte. - "O mein
Sohn, du bist wunderbarlich errettet!" meinte der König, der sich wohl
über meine Abenteuer und Erlebnisse sehr verwunderte, doch ständig
verstohlen meine Füße betrachtete und kaum sein Lachen unterdrücken
konnte. - "Wäre deine Lebenszeit nicht lang bemessen, du wärest diesen
Drangsalen nicht entronnen." Als ich
nun von dem Gegenstand meiner größten Qual berichtete und von meinen
Füßen sprach, gab es kein Halten mehr. Unverhohlen ließ König
Mihrdschan seine Lust am Lachen aus und wurde über die Maßen vergnügt.
- Der
König erwies mir seine Gunst und machte mich zum Hafenmeister und Registrator aller
einlaufenden Schiffe. Ich stand diesem Amte
gewissenhaft vor und war mit meinem Los zufrieden. Nur Eins kränkte
mich und zwar die Tatsache, daß der König, so oft er mich zu Gesicht
bekam, mir vergnügt mit einem Auge zuzwinkerte, woraus unzweideutig zu
entnehmen war, daß er in mir einen Scharlatan sah, dessen
abenteuerliche Erzählungen nicht ernst zu nehmen, vielmehr als amüsante
und phantastische Dichtungen zu bewerten seien, mit denen ich mich bei
ihm in Gunst, Amt und Würden eingeschmuggelt hätte. Ich wünschte nichts
sehnlicher, als dem König diese falsche Vorstellung von mir nehmen zu
können. Und es geschah - mein Wunsch wurde erfüllt. Eines Tages, es war
in früher Morgenstunde, lief ein prächtiger Kauffahrer ein. Was glaubt
ihr, meine edlen Herren, wem dieses Schiff gehörte? - Es war mein
eigenes! - Nach
einigem Hin und Her erkannte mich auch der Kapitän. Dieser bestätigte
dem König, nachdem ich ihn dazu aufgefordert hatte, unsere gemeinsame
Fahrt bis zur lebenden Insel - das übrige bewiesen meine Füße. Da
ich noch immer barfuß ging, füllte der König heimlich meine Schuhe mit
Gold und auserlesenen Edelsteinen und überreichte sie mir mit dem
Ausdruck ehrlicher Reue, mich so über die Maßen verkannt zu haben. Dann
ließ er durch seine Sklaven Teppiche und wertvolle Stoffe als Geschenk
auf mein Schiff bringen, das bald von den Bordplanken bis unter die
Rahen voller Schätze gestapelt war. Dann machte ich mich zur Heimreise
klar. Auf der Meerterrasse hatte sich der König Mihrdschan mit seinem
gesamten Hofstaat versammelt. Er lächelte mir wohlwollend zu und
entließ mich mit großen Ehren. Man merkte ihm an, der Abschied wurde
ihm schwer. - "Nie", so äußerte er, "würde er wohl einen Menschen
wiederfinden wie gerade mich, Sindbad den Seefahrer, der nicht nur in
Wirklichkeit so wundersame Geschichten erlebte, sondern auch diese so
großartig und formvollendet wiederzuerzählen verstand." - Alles winkte
ein Wiedersehen. Bald wurde die Insel König Mihrdschans zu einem
schmalen Streif am Horizonte und verschwand dann ganz. In steter Fahrt
von Wind und Wetter begünstigt, erreichte ich in vierzehn Tagen Bagdad.
Nun wurde ich des Glückes voll. Reicher denn je, heil und gesund in die
Stadt meiner Väter zurückgekehrt, nahm ich mir vor, ein ruhiges und
beschauliches Leben zu beginnen. Um dies zu können, mußte ich besonders
darauf bedacht sein, meine Abenteuerlust zu unterdrücken, um nicht
erneut dem Seeteufel zu verfallen, der da draußen auf den weiten Meeren
mit seinen Launen und Tücken auf mich lauerte.
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