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Märchen der
Völker
Stefan Mart
Sindbad der
Seefahrer
Märchen aus 1001
Nacht
_____________________________
Zweite
Reise - Das Ei des Vogels Roch
ls
Sindbad, der Seefahrer, die Erzählung seiner ersten Reise beendet
hatte, befahl er dem Sklaven, seinen Zuhörern neue Speisen und Getränke
vorzusetzen. Als er nun merkte, daß alles in heller Lust und Freude
war, erhob der Seefahrer von neuem seine Stimme und begann mit der
Erzählung seiner zweiten Reise:
"Wisset,
meine edlen Herren, daß ich nun ein Leben in Zurückgezogenheit und
Andacht führte und nur mit Schrecken an die Abenteuer meiner ersten
Fahrt zurückdachte. So ging es eine Zeit, - bis es mich eines Tages
wieder packte. Ich verließ mein Haus; meine Seele, die von Sehnsucht
erfüllt war, zog mich wieder hinaus auf das Wasser. Mit einer Anzahl
Kaufleuten fuhr ich fort, um, wie ich mich selbst zu täuschen
versuchte, Tauschhandel in aller Welt zu betreiben; in Wirklichkeit
aber war es das Meer, das mich lockte. So segelten wir eine Zeitlang,
bis wir an eine hübsche Insel gelangten, aus deren dunklem Laubbestand
Früchte in scharlachner Reife schillerten, Blumen dufteten, Vögel in
süßen Weisen sangen und der Bäche Spiegel flimmerten. Wir gingen alle
Mann an Land. Wohl war ich in Erinnerung der Insel meiner ersten Fahrt
vorsichtig geworden; ich prüfte die
Erde auf das genaueste, damit mir
ein ähnliches Schicksal nicht widerfahren konnte. Dieses Mal war es ein
wirkliches Land. Doch bei meinem Studiengang durch die Insel hatten
mich die anderen Passagiere aus den Augen verloren. Als ich mir der
neuen Gefahr kaum bewußt wurde, war das Unglück auch schon geschehen.
Mein Kapitän war in dem Glauben davongefahren, ich sei in meiner
Kajüte. So war ich wieder dem Seeteufel, der mich auf einsamer Insel in
seinem unermeßlichen Reiche gefangen hatte, auf Gnade und Ungnade
ausgeliefert. Ich bereute bitterlich, daß ich Bagdad verlassen hatte,
wieder auf das Meer hinausgefahren war und mich neuern Verderben in die
Arme gestürzt hatte. Von einem hohen Baume aus hielt ich nach rechts
und links Ausschau. Als ich schärfer ausspähte, bemerkte ich einen
großen weißen Gegenstand in der Ferne; ich verließ den Gipfel des
Baumes und ging auf das leuchtende Etwas zu, bis ich es erreicht
hatte. Und siehe
da, es war eine große hoch in die Luft
ragende weiße Kuppel von
mächtigem Umfang. Als ich mir noch den Kopf zerbrach, was es mit diesem
gewaltigen Bau für eine Bewandtnis haben könnte, an dem ich keinen
Eingang zu entdecken vermochte, ging der Tag bereits zur Neige und die
Sonne näherte sich ihrem Untergang.
Plötzlich
verfinsterten sich die letzten Sonnenstrahlen und verhüllten sich vor
meinen Augen. Zuerst glaubte ich, es sei eine Wolke; doch als ich meine
Blicke zum Himmel erhob, sah ich einen riesigen Vogel von gewaltigem
Leibesumfang und weit klafternden Schwingen. Jetzt erinnerte ich mich,
daß auf einer einsamen Insel ein riesiger Vogel, der Roch geheißen,
lebte, der seine Jungen mit Elefantenbabies groß füttern sollte. Nun
wurde mir klar, was diese gewaltige Kuppel darstellte - es war ein Ei
dieses Riesenvogels. Bald nach dieser Feststellung ließ
sich der Vogel
auch schon auf die Kuppel nieder, breitete seine Schwingen zum Brüten
darüber und schlief auf ihr ein, indem er seine Füße nach hinten auf
die Erde streckte. Als ich dies gewahrte, löste ich den Turban von
meinem Haupte, faltete ihn zusammen und drehte ihn, bis er einem
Stricke glich; dann gürtete ich ihn mir mitten um den Leib und band
mich fest an die Krallen des Vogels. - "Vielleicht wird er mich in ein
Land mit Städten und Bewohnern tragen, was besser sein wird, als hier
auf dieser Insel einsam gefangen zu sitzen." Ich
hatte richtig gedacht. Als
das Frührot aufstieg, erhob sich der Vogel mit einem gewaltigen Schrei
von dem Ei und
stieg mit mir so hoch in die Luft empor, daß ich schon
glaubte, er hätte die Wolken am Himmel erreicht; alsdann ließ er sich
langsam mit mir zum Wasser nieder, bis er sich dann schließlich auf die
Spitze eines hohen Berges setzte, der aus schäumender Brandung
emporragte. Sobald ich den Boden erreicht hatte, löste ich schnell, vor
Angst zitternd, wiewohl der Vogel nichts von mir merkte, meinen Turban
von seinen Füßen und machte mich aus dem Staube. Der Vogel aber packte
nun etwas von der Erde mit seinen Klauen und stieg wieder zu den Wolken
des Himmels empor; als ich den Gegenstand ins Auge
faßte, sah ich, daß
es eine Schlange von ungeheurer Länge war. Verwundert hierüber schritt
ich weiter und gewahrte, daß ich mich am Eingang einer Schlucht befand,
deren Talboden von riesigen Haufen faustgroßer Diamanten übersät war.
Es glitzerte derartigt, daß meine Augen schmerzten. Darum schlich ich
mich mit geschlossenen Augen hinein und griff so viel von dem
funkelnden Edelgestein als meine Taschen tragen konnten. Jetzt erst
bemerkte ich, daß es um mich herum raschelte und zischte; ich riß meine
Augen auf und sah mit Entsetzen, daß der ganze Talgrund von Schlangen
und Vipern wimmelte, von denen jede einzelne so lang war wie ein
Palmenbaum. Wie durch
ein Wunder entkam ich diesen gräßlichen
Ungeheuern. Nun wußte ich,
woher der Vogel Roch seine Nahrung holte. Als ich, glücklich dem Tod
entronnen, wieder in freier Luft auf des Berges Gipfel stand, sah ich
mit freudiger Genugtuung, daß sich eine Fregatte dem Eiland näherte. Es
waren Kauffahrer, vielmehr Glücksritter, die in ihrem Äußeren nicht
gerade sehr vertrauenerweckend aussahen. Sie hatten von dem Schatz
dieser Insel gehört und wollten sich nach ihren Aussagen auf die Suche
begeben. Da ich den Undank und die Habgier der Menschen kenne,
verheimlichte ich ihnen meinen Fund und beteuerte, dass ich seit einem
Monat mit Aufwand aller Energie und Findigkeit am Werke sei, diesen
vermeintlichen Schatz aufzuspüren; alles sei nur ein albernes
Ammenmärchen. Sie schenkten mir Glauben, fuhren von dannen und brachten
mich in meine Heimat zurück. Die Beute aber, die ich dem Seeteufel, der
mich wieder mal leimen wolltet abgerungen hatte, betrug das
Hundertfache meiner gesamten Habe."
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