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Märchen der
Völker
Stefan Mart
Sindbad der
Seefahrer
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Sechste
Reise - Die Schätze der Toten
un
lebte ich in Bagdad auf meinen Gütern in höchster Gemächlichkeit,
Zufriedenheit und Heiterkeit. Gerade so, wie wir jetzt anstoßen wollen,
meine edlen Herren, kreiste allabendlich der Wein in den Bechern, in
froher Runde meiner Gefährten und Freunde; jeder war des Dankes voll
und lobpreiste den Herrn, daß ich nach all den Irrsalen meiner
abenteuerlichen Fahrten nun endlich, in meinem Vorsatz gefestigt,
gesund und mit heiler Haut, in Wohlstand und Sicherheit gelandet war."
Sindbad der Seefahrer erhob seinen Becher und trank seinen Zuhörern
einen kräftigen Schluck zu. - "Doch," fuhr er mit erhobener Stimme
fort, "ich hatte des Seeteufels nicht gedacht, der draußen auf dem
weiten Meere nach wie vor auf mich lauerte. Auf einem harmlosen
Spaziergang am Strande war ich ahnungslos - mag der Himmel wissen, wie
es geschehen - unter Kaufleute auf ein Schiff geraten, welches, ohne
daß es mir so recht bewußt wurde, schon die Anker gelichtet hatte und
mit flottem Winde der offenen See zueilte. Der
Teufel hatte mir ein Schnippchen geschlagen und hatte mich wieder in
seinem Bereiche. Wieder
war es eine ferne Insel, an der
wir Schiffbruch erlitten. Wieder lobte
ich Gott für meine Rettung und kroch, um mich vor einem furchtbaren
Unwetter zu schützen, in eine Höhle, deren Eingang wie eine
Tempelfassade in den Felsen des Meeresgestades gehauen war. Als ich
tiefer in das Verließ eindrang, bot sich mir ein unvergeßlicher
Anblick. Hier auf dem steinigen
Höhlenboden lagen wohlgeordnet wohl
hunderte von menschlichen Gerippen, die mit wertvollen Schmucksachen
aus Gold und Edelsteinen geschmückt waren. Einige trugen Kronen aus
gediegenem Golde, andere waren mit Halsbändern, Schnüren, Ringen und
den verschiedenartigsten Kleinodien behangen; Juwelen, Perlen und die
seltensten Steine erstrahlten. Nun erinnerte ich mich, daß es Völker
gegeben haben soll, die ihre Toten mitsamt ihrem Schmucke zu Grabe
trugen. Mir schwand vor solch unerhörten Reichtümern der Verstand; doch
das bessere Ich in mir siegte; ich wollte die Toten nicht berauben.
Übrigens gedachte ich meines eigenen Reichtums, dessen Umfang ich
selbst nicht zu ermessen vermochte. Mit ruhigem Gewissen legte ich
mich, während draußen zuckende Blitze die Nacht erhellten, zwischen die
mit Gold und Edelstein geschmückten menschlichen Gebeine und schlief
den Schlaf eines ehrbaren Menschen.
Als
ich am nächsten Morgen die Höhle verließ, sah ich vor der Insel auf der
ruhigen Wasserfläche einen herrlichen Kauffahrer liegen. Nun entdeckte
ich auch einige Menschen, die an den Strand gerudert waren. Innerlich
beglückwünschte ich mich zu diesem unerwarteten Zufall. Freudestrahlend
ging ich auf die Leute zu. Der Schiffsherr, der mir meinen gebotenen
Salem erwiderte, war höchlichst erstaunt, hier auf diesem
weltverlassenen Meerfelsen ein Lebewesen anzutreffen. Er hatte während
der letzten stürmischen Nacht die Orientierung verloren und war hier
ratlos vor Anker gegangen. "Nehmt mich nur an Bord, edler Herr, ich
alter vom Teufel gejagter Seefahrer werde schon den richtigen Kurs für
euch finden. Doch
vorher nehmt als Dank für meine Errettung das Geheimnis von dem
unermeßlichen Schatz dieser Insel; geht dort durch jenen Felseingang,
ihr werdet euch wundern!" Der
Schiffsherr mit seinen Leuten
stürzte hinein. Nun begann ein
ameisenhaftes Treiben; bald waren den Toten ihre Reichtümer abgenommen
und restlos auf das Schiff gebracht. Jetzt bedachte ich erst, daß es
unklug von mir gehandelt war, den geldgierigen Menschen die geweihte
Totengabe eines untergegangenen Volkes preisgegeben zu haben. Nur der
Not gehorchend betrat ich die Planken des Schiffes, das jetzt von
dem
Fluche der Toten verfolgt werden mußte. Meiner Befürchtung war bald die
grausige Wirklichkeit gefolgt. Ohne Veranlassung, ohne daß ein Sturm
auch nur eine Rahe knickte oder eine Schiffsplanke leck wurde, versank
das Schiff, wie von einer Geisterhand ins Wasser gezogen. Alles ertrank
elendig; nur ich konnte, als
begleite mich ein guter Geist, mühelos
eine kleine Insel erreichen. Der Strand dieses Eilandes war dicht mit
den Habseligkeiten und Gütern gestrandeter Schiffe bedeckt. Mir wurde
schwindelig; auch hier wieder fand ich unerhörten Reichtum. Ein neues
und banges Ahnen in meiner Brust sagte mir, daß dieses überreichliche
Glück keinen guten Ausgang nehmen könne. Es mußte einem Menschen zum
Verderben werden. Drei Tage lang hielt ich Einkehr in meine Seele und
läuterte sie von allen schlechten Eigenschaften, von denen besonders
die Gier nach Besitz die verderbenbringendste ist. Trotzdem nahm ich
mir vor, so viel wie nur möglich, von dem Reichtum, der in Haufen um
mich verstreut lag, nach Bagdad zu schaffen, um es den wirklich
Bedürftigen zugute kommen zu lassen. Aus
dem verschiedenartigsten Material,
das mir zur Verfügung stand, baute
ich ein stattliches Floß, ließ es auf den Fluß der Insel gleiten und
häufte alle Schätze darauf, deren ich habhaft werden konnte. Nun fing
ich an, mit einem Brett das Floß vorwärts zu rudern. Ich sagte mir:
"Dieser Fluß muß ebenso ein Ende haben, wie er einen Anfang hat; er muß
unbedingt irgendwo in ein bewohntes Land
führen". Der Fluß aber hatte
einen unterirdischen Lauf; bald umgab mich tiefe Finsternis, während
das Floß von der Strömung immer weiter getragen wurde. Nach drei Tagen
kam der Fluß, der unter mächtigen Bergen dahinfloß, wieder ans
Tageslicht. - Hier umringten mich eine Anzahl Inder und Abessinier mit
mißtrauischen und gehässigen Mienen. Ich erhob salbungsvoll meine Arme
und sprach sie an: "Friede sei mit euch, meine Brüder, ich bringe euch
Glück, Segen und lange Gesundheit." Dieser Stamm der Abessinier aber
war unversöhnlich; sie haßten jeden Fremdling und hätten mich in Stücke
zerrissen, wenn ich nicht alles, was das Floß trug, unter sie
verschenkt hätte. Lange mußte ich dieses Mal auf meine Erlösung warten.
Endlich, nach Monaten erst, zeigte
sich ein beheimateter Kauffahrer,
der mich nach Bagdad zurückführte."
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