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04.3
Lina’s Mährchenbuch
Eine Weihnachtsgabe
von
Albert
Ludwig
Grimm.
Erster
Band und
Zweiter Band
Mit
fünf
colorierten Kupfern.
Zweite
Auflage.
Grimma,
Verlag
von
Julius Moritz Gebhardt
************
Vorrede
für Eltern
Indem
ich dieses Märchenbuch dem Publikum übergebe,
glaube ich einigermaßen zur Rechenschaft über den Inhalt desselben
verbunden zu
sein. – Leicht wird man in Mordi’s Garten die Fabel des Singspieles
Zemire und
Azor, sowie in dem Knüppel aus dem Sacke ein anderes bekanntes
Volksmährchen
wieder erkennen, das ich unter dieser Gestalt, die ich für die
ursprünglichste
halte, am häufigsten fand. Das Märchen von dem kleinen Frieder mit
seiner Geige
geht ebenfalls, obgleich nur selten, noch im Volke umher. Ich habe es
aus
Ayrer, einem Nachfolger des Hanns Sachs genommen, wo es dramatisirt
steht, und
einige Redensarten sind ganz von ihm beibehalten. Das Märchen von
Brunnenhold
und Brunnenstark verdanke ich mit allen darin beibehaltenen
Nebenumständen der
Lina’s Mährchenbuch 2 Erinnerung an meinen siebenzigjährigen Großvater,
einen
schlichten Bürgersmann, der es mir in meinem sechsten und siebenten
Jahre nebst
den meisten Märchen der Tausend und einen Nacht so oft erzählte, dass
ich es
mit diesen ganz in eine Reihe zu stellen gewohnt ward, und es sogar in
der
Tausend und einen Nacht suchte, als ich sie später einmal in die Hände
bekam.
Woher er den köstlichen Stoff dieses Märchens geschöpft, ist mir bis
diese
Stunde noch unbekannt, so sehr ich auch allenthalben darnach forschte.
Selbst
meine gelehrten beiden Namensverwandten übergehen es in ihrem von
ungemeiner
Belesenheit zeugenden Anhange zu dem ersten Teile ihrer „Kinder- und
Haus-Märchen,“ und das Märchen selbst besitzen sie nur in einem, durch
des
Volkes Mund sehr verunstalteten und skizzenartigen Fragmente.
Die
Tierfabel von der Freundschaft des Perlhuhns
mit dem Seidenhäschen u.s.w. ist durch ein auffallendes Beispiel
freundlichen
Beisammenwohnens und Zusammenspielens jener Tiere entstanden. Ich habe
nur den
Tieren Sprache gegeben; und so ist diese Erzählung geworden, die eher
Wahrheit,
als Fabel, zu nennen wäre. Das Märchen von der schwarzen Zither ist
durch einen
unvergesslich wunderbaren Traum aus meinem frühesten Kindesalter
veranlasst, zu
dessen weiterer Erzählung hier nicht die schickliche Stelle zu sein
scheint.
Über die Behandlung der Stoffe und das Gewand, in welchem diese
Mährchen
erscheinen, bedürfte es eigentlich keiner weiteren rechtfertigenden
Auseinandersetzung. Eine ähnliche Sammlung hatte sich eben sowohl einer
ermunternden Beurteilung in mehreren öffentlichen Blättern zu erfreuen,
als sie
auch von den Kindern aller Stände mit gleicher Lust gelesen. Und wieder
gelesen
wurde. Selbst auf einem einsamen Bauernhofe fand sie einer meiner
Freunde in
den Händen eines Bauerknaben, der sich sogar durch die ungewöhnliche
Ankunft
des Fremden nicht stören ließ, sondern mit unermüdlichem Eifer darin
fort las.
Solche Erscheinungen sind die günstigsten Recensionen für
Jugendschriftsteller.
Gleichwohl finde ich mich durch die Vorrede meiner Herren
Namensverwandten in
dem ersten Teile ihrer Sammlung zu einigen Worten darüber veranlasst.
In
kindlicher Einfachheit müssen freilich die Märchen für Kinder erzählt
werden.
Aber dazu gehört ein ganz idealer Erzähler, den man nicht in der ersten
besten
Kindermagd unserer Tage findet, und fehlt dieser, so muss der Dichter
seine
Stelle vertreten. Der selige Runge hat in ihrer Sammlung zwei
wunderschöne
Märchen unnachahmlich in plattdeutscher Sprache erzählt. Sie sind aber
gewiss
nicht so aus dem Munde des Volkes aufgeschrieben. Die meisten ihrer
übrigen
Märchen tragen noch das Gepräge eines ganz gewöhnlichen Erzählers aus
dem Volke
mit allen seinen Fehlern, wie es denn überhaupt an der übrigens so sehr
verdienstlichen Sammlung zu bedauern ist, dass nicht sorgfältiger davon
abgeschieden wurde, was dochaugenscheinlich durch die Länge der Zeit,
während
diese Märchen Volkseigentum waren, von verschiedenen Erzählern
Schlechtes und
Unpoetisches in Form und Stoff zugemischt ist, woher es auch kommt,
dass man
unter verschiedener Form dasselbe Märchen oft zwei- oder dreimal in
demselben
Buche findet.
Als
ein Buch, das Kindern in die Hände gegeben
werden kann, darf man jene Sammlung aber keineswegs ansehen, wenn auch
alles
Erwähnte unerwiesen oder unschädlich wäre. Ich habe es immer nur mit
dem
größten Missfallen in Kinderhänden gesehen. Statt weiterer hier nicht
am
rechten Orte stehender Erörterungen verweise ich nur auf Nr. 12, und
Väter und
Erzieher werden hier, wie an noch mehreren Orten, Ursache genug finden,
ihm
nicht den Namen einer Kinderschrift beizulegen, was es auch nach der
Ansicht
der Herren Herausgeber wohl gar nicht sein soll. Sollten sie es aber
doch auch
dazu bestimmt gehabt haben, so möchte hier das alte Sprüchlein
anzuwenden sein:
„Niemand
kann zweien Herren dienen.“
Nur
das Reinste kann Stoff für die Phantasie des
Kindes sein, und Halbreines ist hier schädlicher, als völligUnreines.
In dieser
Überzeugung ist Lina’s Mährchenbuch entstanden, und Niemand wird in
dieser
Rücksicht ein Ärgerniss daran zu nehmen Ursache finden.
So
nehmt es denn hin! und möchten sich recht viele Kinder seiner erfreuen,
wie
sich viele der ersten Sammlung erfreuten.
Dass
ich dieses Buch aber gerade Lina’s Märchenbuch nenne, werden sich alle
Kinder, so Knaben als Mädchen, schon gefallen lassen, wenn ich ihnen
sage, dass
Lina dasselbe gute Mädchen ist, von dem in dem Mährchen von der
Freundschaft
des Perlhuhns mit dem Seidenhäschen u. s. w. erzählt wird, und dem alle
jene
Tiere gehörten.
A.
L.
G.
Weinheim,
im Christmonate.
Zur
Erklärung des Titelkupfers.
Auf
der Höhe ruht der Sänger,
Mild
umspielt vom Abendwind
Zu
den Füßen seiner Lieben;
Neben
ihm ein lieblich Kind.
Unter
ihm auf blauen Wellen
Still
dahin die Schiffe ziehn,
Und
die alten Schlösser schauen
Ernst
aus dunklem Blättergrün.
Über
ihm regt seine Schwingen
Stolz
ein silberweißer Schwan,
Und
der Abendstern blickt grüßend
Den
verzückten Dichter an.
Aus
den Felsenritzen tönet
Neckischlust’ger
Gnomen Chor;
Über
ihren braunen Häuptern
Lacht
ein bunter Blütenflor.
Der
Poet lauscht bald der Sage,
Bald
des Märchens süßem Sang,
Und
berührt vom Schmetterlinge
Rauscht
der Zitter Saitenklang.
Liebe
flüstert mild zur Sage,
Sage
spricht zum Dichter mild;
Er
erzählt dann Sag’ und Märchen,
Tief
im Tal dem frommen Kind.
Karoline
Leonhadt-Lyser.
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