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Literatur


04.3


Lina’s Mährchenbuch

Eine Weihnachtsgabe
von
Albert Ludwig Grimm.
Erster Band und Zweiter Band

Mit fünf colorierten Kupfern.
Zweite Auflage.
Grimma,
Verlag von Julius Moritz Gebhardt 

 

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Ein lustiges Mährlein vom kleinen Frieder mit seiner Geige - Teil I


Es war einmal ein Bürschlein, das war im Wuchse nicht gar wohl geraten, denn es war viel kleiner geblieben, als es für sein Alter hätte sein können; auch standen ihm die Beine gar schief unter dem Leibe. Dabei war es aber immer muntern, aufgeweckten Sinnes, und der Kopf stak ihm voller Schalkheit.
 

Seine Eltern waren ihm aber früh gestorben, und hatten ihm gar nichts zum Erbe hinterlassen. Darum hatte er sich zu einem Bauer als Knecht verdingt. Als er aber drei Jahre in diesem Dienste gestanden, trat er eines Tages vor seinen Herrn, den Bauer, und sagte: „Sehet, ich hab Euch nun drei Jahre redlich gedient nach allen meinen Kräften, und gedenke nun weiter in die Welt zu gehen, und mein Glück zu machen. Darum seid so gut, und gebt mir meinen verdienten Lohn, und lasset mich ziehen.“

Da ging der Bauer an seinen Wandschrank, und schloss selbigen auf, und suchte lang unter seinem Gelde,  und brachte endlich drei Hellerlein hervor, und gab ihm solche und sprach: „Sieh, hier hast du deinen Lohn, für jedes Jahr ein Hellerlein. Ich denke, ein so klein Bürschlein wie du kann gar wohl damit zufrieden sein. Und wenn du sie gut anlegst, so kannst du schon damit dein Glück machen. Wer aber den Heller nicht ehrt, der ist des Talers nicht wert. Ich wünsch dir viel Glück auf den Weg.“

Da nahm der kleine Frieder die drei Hellerlein, steckte sie freudig in einen ledernen Beutel, den er sich aus einer Maushaut gemacht hatte, und verbarg ihn in seiner Tasche. Darauf nahm er von der Frau und den Kindern des Bauern Abschied, und zog fort in die Welt.

Wo er sich setzte, um auszuruhen, oder wo er zu Nacht unter einem Baume sein Nachtlager nahm, oder bei guten Leuten in einer Scheune Obdach fand, da zog er auch sein maus haaren Beutelein heraus, und zählte seine drei Hellerlein, ob er sie auch noch alle habe, und ob ihm keiner davon verloren gegangen wäre.
 

So war er etliche Tage in die Welt hinein gelaufen, und noch war ihm keine Gelegenheit aufgestoßen, sein Geld gut anzulegen. Da kam er eines Abends an ein großes felsiges Gebirge, das war an vielen Orten so felsig, dass kaum ein wenig Moos da wuchs. Aber die Felsen waren so steil. dass man sich auf dem Wege nur mühsam zwischen durch hinaufwinden konnte. Wo sich aber zwischen den Felsen ein wenig Erde angeschwemmt hatte, da wuchsen hier und da hohe Schwarztannen empor, die machten zwischen den nackten, grauen Felsen dem Berg ein recht unfreundliches Ansehen. Und zwischen den Tannen hörte man nichts, als das Gekrächze der Raben und das Brausen wild herabschäumender Felsenbäche, sodass es Einem in dieser Umgebung, bei der eben einbrechenden Dämmerung, recht unheimlich und ängstlich hatte zu Mut werden können.
 

Den kleinen Frieder kümmerte aber das alles nicht. Er stieg gutes Mutes den Felsenpfad hinan, und pfiff sich dabei ein lustiges Lied. Als er aber auf dem Gipfel des Berges ankam, war es Nacht worden, und er hätte schon längst den Pfad nicht mehr gesehen, wenn ihm nicht der Mond über die Tannengipfel und Felszacken herein geschienen hätte. Denn es war gerade Vollmond. Und oben sah er sich nun um, wohin er seinen Weg zu nehmen habe, um ein Dorf oder eine Mühle zu erreichen, wo er übernachten könnte. So weit ihm aber das Mondlicht zu sehen verstattete, sah er jenseits nichts als Wald und Waldgebirge. Darum beschloss er zu bleiben, wo er war, und suchte sich einen Platz, der mit weichem Moose bewachsen war, und legte sich auf selbigem zurecht, um da die Nacht zu schlafen. Ehe er aber einschlief, zog er wieder sein mausledernes Beutelein hervor, zu sehen, ob ihm keiner von seinen Hellerlein verloren sei.

Wie er sie aber auf seiner Hand im Mondschein zählte, fiel ihm auf einmal ein sonderbarer neblichter Schatten auf die Hand. Da schaute er in die Höhe, und sah vor sich stehn einen Mann, dessen Gesicht war ganz bedeckt mit einem grauen Barte, der ihm bis auf die Füße herunter wallte; und sein Gewand hing ihm in vielen Falten weit um den Leib, und ein Stück davon hatte er sich über den Kopf geschlagen, dass man nur sein Gesicht sah. Und obgleich der Mann ruhig stehen blieb, so schien doch sein Kleid in einem fort rings um ihn, und auf und ab an ihm, in immerwährender Bewegung zu sein. Diese Bewegung und die graue Rauchfarbe des Gewandes und des Bartes gaben dem Manne ein gespenstisches Aussehen. Denn er schien eben so wohl eine aus der Erde gerade aufsteigende Rauchsäule zu sein, als ein Mensch. Er war aber auch kein Mensch. Denn als unser lustig klein Bürschlein so aufschaute, und nicht recht klug aus ihm werden konnte, und ihn bald für einen Menschen, bald wieder für eine Rauchsäule hielt, kam ihm doch am Ende ein gewaltiges Grauen an, und all sein froher und beherzter Mut schien ihn verlassen zu haben. Er steckte eilig seine drei Hellerlein in seinen Beutel, und raffte sich von der Erde auf, und wollte von dannen fliehen.

Als er sich aber im Aufstehen eben schon zum ersten Schritte anschickte, um davon zu laufen, fühlte er sich von hinten an den Haaren fest gehalten, und ob er sich gleich vor der Erscheinung fürchtete, musste er doch wieder zurücksehen. Und nun schien ihm die Figur wieder ein alter Mann in einem grauen Regenmantel. Aber der Mann merkte seine Furcht, und redete ihn gutmütig an: „Fürchte dich nicht, Frieder, ich tue dir nichts!“

Da atmete klein Friederlein wieder leichter, und sagte: „Nun, das ist doch schön von dir, dass du endlich einmal sprichst, dass ich doch einmal weiß, dass du ein Mensch bist. Noch schöner ists aber, dass du mir nichts tun willst. Willst du mir auch meine drei Hellerlein nicht nehmen, die ich in drei Jahren verdient habe?“

„Wofern du mir sie nicht am Ende gutwillig gibst,“ antwortete der Graue, „sollst du sie alle drei wieder mit dir von hinnen nehmen.“

„Nun,“ sagte klein Friederlein, „dann hat’s gute Wege; dann sollst du mir ein willkommener Schlafgeselle sein.“

„Ich will dein Schlafgeselle nicht sein,“ brummte der Graue unwillig in den Bart. „Aber,“ fuhr er fort, „um mein Geschäft gleich mit dir abzutun (denn ich muss diese Nacht noch eine Reise von hundert Meilen machen) so sag mir, was willst du für deine drei Heller haben?“

Da merkte klein Friederlein aber wohl, dass er’s weder mit einem Menschen, noch mit einem Dampfe zu tun habe, sondern dass es wohl ein starker Berggeist sein müsse, der seine drei Hellerlein darum haben wollte, weil sie aus dem Kupfer geprägt seien, das aus der Tiefe dieser Berge vielleicht gegraben wäre. Denn er war gar listig und klug. Deswegen antwortete er auch zu ihm, und sprach: „Ja, einen meiner drei Hellerlein wollt ich dir wohl geben, wenn du mir ein Vogelrohr geben wolltest, mit dem ich jeden Vogel erlegen kann, auf dem ich daraus schieße.“
Da reichte ihm der Graue schnell, und ehe Frieder nur sehen konnte, woher er es nahm, ein schönes Vogelrohr dar, das war bald noch einmal so lang als klein Friederlein selbst. Aber Frieder sprach: „Ja, vorher muss ich’s auch erproben, ob’s gut ist, eh’ ich dir’s bezahle!“ und merkte sich ein Blatt an einem fernstehenden Baume, und schoss danach, und das Blatt flog weg, als ob es nie da gewesen wäre. Da reichte ihm Frieder fröhlich den Heller. Aber der Graue sagte: „Du hast dir eben nichts Besonderes gefordert. Nimm dich nun mehr in Acht bei dem zweiten Heller, und fordere dir etwas Besseres.“  „Ja, ja! lachte klein Friederlein. Sieh, ich kann freilich selbst nicht tanzen, weil mir die Beine zu schief gewachsen sind; aber doch hab ich gar gewaltige Lust am Tanzen, und es ergötzt mich über die Maßen, wenn ich Andere so recht in toller Lust herumspringen sehe. Darum begehre ich für meinen zweiten Heller nichts, als eine Geige, nach der Alles tanzen muss, wenn ich darauf siedle, es mag nun tanzlustig sein, oder nicht.“
Da gab ihm der Graue auch die Fiedel, die er sich gewünscht hatte, samt dem Fiedelbogen dazu. Und Frieder hatte wieder nicht gesehen, woher er es genommen hatte. Indem er sie ihm aber gab, sagte er zu ihm: „Das war auch wieder ein recht alberner Wunsch, Frieder! Nun kommt der letzte Heller; nun wünsche dir etwas Gescheiteres!“

Da gab ihm Frieder den zweiten Heller, und sagte: „Nun, so wünsch ich dann, dass mir niemand die erste Bitte abschlagen kann, die ich an ihn tue.“

„Nun, das ist einmal doch etwas Gescheites!“ sagte der Graue. „Diesen Wunsch erfüll’ ich dir mit Freuden. Geh nur hin, es ist so.“ Und Frieder gab ihm auch den dritten Heller. Indem wehte aber ein lindes Lüftchen über die Berggipfel hin, und es schien unserm kleinen Bürschlein nun ganz, indem der Graue von ihm ging, als [sei er wieder nur ein neblichter Dunst, der von den Winden weggeweht werde. Denn als der Wind nun stärker hinter ihm herwehte, so schien er auch viel schneller von dannen zu eilen, und bald vermischte er sich ganz mit den fernen Nebeldünsten der Nacht.

Aber Friederlein lachte in sein Fäustchen, und freute sich von Herzen über seine köstlichen Geschenke, und hüpfte herum auf einem Beine, und hielt in der einen Hand sein Vogelrohr, in der andern seine Fiedel, und rief ein mal über das andre mal: „Das war ein närrischer Kerl in seinem Nebelkleide! Das war ein närrischer Kerl!“ Und schlafen konnte er jetzt nicht die ganze Nacht hindurch. Denn er fürchtete, wenn er nun einschliefe, so möcht’ er morgen früh erwachen, und alles möchte dann nur geträumt gewesen sein. Aber ruhen musste er doch, denn er war den ganzen Tag über weit hergewandert. Darum setzte er sich nieder, und erwartete wachend den Morgen.

Als aber die Sterne jetzt bleichten, und die Lüftchen frischer über den Bergrücken herwehten, und der Morgen den Himmel mit einem roten Streifen übergoss, da stand unser klein Bürschlein auf von seinem Sitz, und wanderte bergabwärts auf der andern Seite nach einer Stadt zu, die es von Ferne in der Ebene liegen sah, und freute sich schon zum Voraus, wie es die Leute nach seiner Geige wollte tanzen machen, wo es hinkäme, und lachte schon für sich selbst.

Es war aber schon eine gute Strecke gegangen, und war den hohen Felsberg schon herunter gestiegen, und hatte jetzt nur noch die vorderen, niedrigen Bergabsprünge zurückzulegen, da gesellte sich ein Mönch zu ihm, der von einem Dorfe im Gebirge kam, wo er für sein Kloster gesammelt hatte; und auf seiner Schulter trug er den Terminirsack, gefüllt mit Dürrfleisch und Eiern und andern Gaben, die ihm wohltätige, fromme Hausmütter für sein Kloster geschenkt hatten. Als der Mönch aber zu ihm kam, grüßte ihn das kleine Bürschlein, und fragte: „Wo kommt Ihr denn her, so früh schon?“

„Ich komme dort vom nächsten Dorfe,“ sagte der Mönch, „und habe da für mein Kloster gesammelt, und jetzt geh’ ich nach der Stadt da unten, und will sehen, was mir dort gute Leute mitteilen werden.“

„Ei,“ sagte Friederlein, „da gehn wir ja mit einander! Ich geh’ auch dahin.“

„Ja?“ sagte der Mönch, und stöhnte dabei. „Es ist heut Jahrmarkt dort. Da willst du gewiss mit deiner Geige Eins aufspielen, und dir was verdienen?“

„Ja, ja,“ antwortete Friederlein, „das hab ich im Sinne!“ und ging weiter mit ihm, und lachte für sich; denn es dachte schon auf einen Possen, den es dem Mönch spielen wollte. Und als sie so weiter gingen, sah der Mönch auf einem Baum, etwas vom Weg ab, eine wilde Taube sitzen, und sagte zu Frieder, ehe sie noch dort waren: „Sieh, mein Sohn, was für ein fettes Täubchen dort sitzt!“

„Ja, das ist ein schön Täublein!“ sagte Frieder. „Ich hab die Tauben gar gern; sie sind so ein sanftmütiges Vieh, und tun niemand etwas zu leid.“

„Ach! und sie schmecken so gut!“ sagte der Mönch, und blieb stehn, und sah hinüber. „Ja, ja!“ fuhr er fort, „die ist recht fett! das müsst’ ein gar gut Leckerbisslein sein, wenn die gebraten wär’ und hübsch gefüllt! Ach, mein Sohn, du hast da ein langes Vogelrohr! Komm, schieß mir das fette Täubchen herunter, wenn du kannst.“

„Warum das nicht!“ sagte Frieder. „Aber Ihr müsst sie selbst holen; denn sie fällt gerad in die Hecken, und über die kann ich nicht hinaussteigen mit meinen kurzen Beinen. Ich fürcht’ mich auch gar für den Dornen, die würden mich gewaltig zerkratzen.“

„Ei, liegt sie nur einmal da drinnen, so will ich sie schon kriegen!“ sage der Mönch. „Meine Kutte ist dick; da stechen die Dornen nicht durch.“

„Aber es ist ja jetzt in der Fastenzeit, da dürft Ihr ja kein Fleisch essen,“ erwiderte Frieder. „Geht, lasst das arme Tierlein leben. Aufbewahren könnt Ihrs ja doch nicht, bis Ihr wieder Fleisch essen dürft.“

„Ei,“ antwortete der Mönch, „du wirst mich nicht verraten, und wenn’s sonst niemand sieht, so ess’ ich auch Fleisch in der Fasten. Da ist’s keine Sünde.“

„So?“ sagte Frieder, „was niemand sieht, ist also keine Sünde?“

„Nein, nein, mein Sohn!“ antwortete der Mönch.

Da verdross klein Friederlein des Mönchs Lüsternheit und seine Gewissenlosigkeit, und dachte für sich: „Nun, warte nur, du sollst mir dafür büßen!“ und wandte sich wieder zu ihm und sagte:

 „Nun ja, wenn Ihr sie holen wollt, so schieß’ ich sie herunter,“ und schoss sie herunter. Und sie fiel recht mitten in die Dornbüsche. Da machte sich der Mönch schnell hin, und stieg über die vorderen Dornenbüsche, und hob die Taube auf. Aber klein Friederlein hatte indes seine Geige zur Hand genommen, und fing an mit dem Fiedelbogen drauf auf und ab zu spielen, und sprach: „Ich muss doch sehen, ob meine Fiedel auch gut ist.“ Und indem er mit dem Fiedelbogen drauf auf und ab strich, gabs doch einen recht lustigen Tanz, ob er gleich in seinem Leben nie geigen gelernt hatte.


Als aber der Mönch den lustigen Tanz hörte, da fing er in seinem Dornbusche an zu tanzen, so sauer es ihm auch ankam, denn er war sehr dick und wohlgenährt. Und er hob bald den rechten Fuß und hüpfte auf dem linken, und bald den linken und hüpfte auf dem rechten hoch in die Höhe; und tanzte, dass ihm die Eier alle in seinem Terminirsack zerbrachen, und die gelbe Brühe herabträufte auf seine Kutte; und er hüpfte, dass ihm die dicken Backen wackelten und sein fetter Bauch, dass er keuchte und dazwischen schrie: „Hör auf, mein Sohn! hör auf, mein Sohn! sonst ist’s mein letztes End!, sonst tanz ich mich zu tod!“

„Nein,“ sagte Frieder, „gebt Acht, jetzt gibt’s erst den Hupfauf, das ist ein noch lustigerer Tanz!“ und fiedelte von Neuem, und der Mönch musste von Neuem tanzen, dass er fast den Atem verlor. Das ergötzte das kleine Bürschlein gar sehr, besonders weil die Hecken und Dornen sich dabei immer an der Kutte des Mönches anhängten und ihn festhielten, dass er im Tanzen sich immer losreißen musste, und die Stücke seiner Kutte am Dornbusche hängen blieben. Und der Mönch mochte bitten und flehen so viel er wollte, das schalkhafte Bürschlein fiedelte immer darauf los.
Da schrie der Mönch endlich: „Ich will dir auch all mein Geld geben, das ich zusammen terminiert habe, wenn du aufhörst. Um Gottes Willen, so hör nur auf; ich bin sonst des Todes!“
Da hörte klein Friederlein endlich auf, und ließ ihn ausschnaufen. Er wischte sich aber den Schweiß von dem Gesichte, und atmete tief, und wickelte seine Kutte los aus den Dornen, und kam heraus. Als aber klein Friederlein ihm sein Geld abforderte, wollte er’s ihm nicht geben, und schalt ihn noch aus dazu, dass er ihn mit seiner verzauberten Geige zum Tanzen gezwungen, da er doch Ehrfurcht vor ihm hätte haben sollen.

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