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Literatur


04.3


Lina’s Mährchenbuch

Eine Weihnachtsgabe
von
Albert Ludwig Grimm.
Erster Band und Zweiter Band

Mit fünf colorierten Kupfern.
Zweite Auflage.
Grimma,
Verlag von Julius Moritz Gebhardt 

 

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Ein lustiges Mährlein
vom kleinen Frieder mit seiner Geige Teil II

Aber Friederlein drohte, ihm noch einmal den Hupfauf zu spielen, wenn er nicht gleich das Geld herausgebe, wie er versprochen. Da bat ihn der dicke Mönch, er möge doch das nicht tun, er wolle ihm Alles geben, was er verlange. Und damit nahm er seinen Terminirsack herunter. Als er aber sah, wie all seine Eier zerbrochen und herausgeflossen seien, da seufzt’ er tief, und sprach: „Ach, die gute Gottesgabe ist so verdorben! Wie manch ein gutes Fastenessen hätte man davon bereiten können! und jetzt kommt’s keinem Menschen gut!“

Klein Friederlein lachte aber und sprach: „Ei, lasst Euch die Eier nicht reuen, Herr Pater! Habt Ihr ja doch einen lustigen Eiertanz dafür gehalten. Greift nur hinein in die gelbe Brühe, und fischt Euern Geldbeutel heraus,  und besinnt Euch nicht lang, sonst lass ich Euch vorher noch Eins tanzen.“

Da seufzte der Mönch: „Dass Gott sich’s erbarme!, in welches gottlosen Schelmen Gewalt bin ich kommen!“ und griff in den Terminirsack hinein, und zog sein Geldsäcklein hervor. Und klein Friederlein nahm sein rot Käpplein ab, und hielt’s ihm dar, und der Mönch leerte ihm das Geld da hinein. Unser schelmisches Bürschlein steckte aber das Geld in seine Tasche, und sprach zu dem Mönch: „Nun, ich dank Euch, dass Ihr mich so gut bezahlet für meine geringe Mühe!“ „Ja,“ sagte der Mönch, „ich wollt’ ein Andrer müsste dich noch bezahlen, der dich bezahlte, wie du’s verdienst.“

Klein Friederlein lachte aber, und antwortete ihm nicht, und ging nun fröhlich weiter, und der Mönch ging unmutig neben ihm auf der andern Seite des Weges. Als sie aber drauf in die Stadt kamen, und am Wirtshaus zum Schwanen vorbeigingen, da sagte das Bürschlein: „Nun, lebt wohl, Herr Pater!, lasst Euch zu Mittag das fette Täublein recht wohl schmecken, und sammelt recht viel für Euer Kloster, dass  Ihr Euers Verlustes wieder beikommt! Ich will nun da hinein, und will mich da einmal hören lassen, und den Leuten Eins aufspielen, dass sie auch fröhlich werden und tanzen.“ Und somit ließ er den Mönch weiter gehen, und ging die Treppe hinauf, und setzte sich hinter den Tisch in der Stube, und forderte sich ein Schöpplein. Und als er nun eine Weile da gesessen fing er an zu geigen, und alle Gäste fingen mit großer Lust an zu tanzen, und der Wirt tanzte unter den Gästen herum mit den Aufwärtern.

Es gefiel aber Allen wohl, denn es waren lauter lustige Gesellen. Und sie bezahlten reichlich, und wenn er aufhörte, so ließen sie sich immer wieder ein Neues von ihm aufspielen, und die Leute, so auf der Gasse vorbeigingen, tanzten auch, wenn sie die Geige hörten.

Der Mönch war aber gar böse auf den kleinen Frieder, dass er ihm sein Geld all genommen, und ging hin vor den Richter des Städtleins, und verklagte ihn bei demselben. Da sprach der Richter: „Ja, wenn wir wüssten, wo der Schalk sitzt, so wollten wir ihn schon strafen für seine Possen.“
„Ei,“ antwortete der Mönch, „da schickt nur den Haltfest, Euern Büttel, nach ihm aus, er soll sehn, ob nicht im Wirtshaus zum Schwanen ein klein Bürschlein sitzt mit krummen Beinen, das eine Geige bei sich hat, und ein lang Vogelrohr.“

Da schickte der Richter seinen Büttel nach ihm aus. Als der aber hinkam nach dem Wirtshaus zum Schwan, war da ein gewaltig Gelärme. Vor dem Hause tanzten die Leute herum auf der Gasse, und drinnen im Hausgang und in der Stube. Und Friederlein stand auf dem Tisch, und fiedelte mit schalkhaften Mienen, und ergötzte sich an den Tanzenden um ihn her. Als aber der Büttel Haltfest die Geige hörte, kam ihm auch beinahe die Lust zu tanzen in die Füße. Und ein Glück war’s, dass Friederlein gerade ausruhte, und dem Tanz ein Ende machte, sonst hätte der Haltfest auch mit herumtanzen müssen.

Er ging aber jetzt hin zu ihm, und kriegt ihm beim Ärmel, und sagte: „He, guter Freund!, treff ich dich hier an? Komm einmal mit mir.“ Klein Friederlein war aber begierig, was er wollte, und ging gutwillig mit ihm. Denn er dachte: „Ich kann ihm ja am Ende immer noch bitten, dass  er mich frei gehen lässt; die erste Bitte muss mir ja jedermann erfüllen.“

Da ihn der Büttel aber vor den Richter führte, bei dem der Mönch saß, merkte er wohl, dass ihn der Mönch verklagt habe. Und als ihn der Richter fragte: „Gesteh nur aufrichtig, du Schalk!, hast du getan, wie der ehrwürdige Herr da sagt?, hast du deine Schalkspossen mit ihm getrieben, und hast ihm sein Geld noch oben drein abgenommen?“  „Ja, Herr Richter,“ sagte da unser Friederlein, „ich kann’s nicht leugnen, ich hab’ es getan.“

Da fuhr ihn der Richter an, und rief zornig: „du Schalksknecht! kannst du nicht Possen treiben mit deinesgleichen? Musst du denn den ehrwürdigen Mann da zu deinem Spiel brauchen? Weißt du auch nicht was im letzten Gebot enthalten ist, dass du dich nicht sollst gelüsten lassen nach Allem, was deines Nächsten ist? – Wart’, ich will dir lohnen, wie du verdienet! Aufhängen will ich dich lassen am lichten Galgen, allen Schalksnarren und Dieben zum Exempel!“ Und damit ließ er den Henker zu sich rufen, und übergab ihm unser klein Bürschlein, dass er ihn auf der Stelle hinausführe zum Galgen, und allda aufhänge.

Da nahm ihn der Henker und band ihm einen Strick um den Leib, und führte ihn mit sich. Und der Richter ging mit hinaus, zu sehn, ob der Henker sein Geschäft auch recht mache; und der Mönch ging auch mit, dass er ihn auf dem Wege vermahnete, und draußen unterm Galgen noch einmal beten lasse. Aber hinten drein lief vieles Volks, Männer, Weiber und Kinder, die sehn wollten, wie das arme Spielmännlein gehängt würde.

Als ihm aber der Mönch Trost zusprechen wollte, sagte klein Friederlein: „Ach, lasst mich nur gehn, ehrwürdiger Herr! ich hab’s ja verdient; mir geschieht schon recht. Freilich hab’ ich’s nicht so böse gemeint; ich seh’ nur gern, wenn die Leute recht lustig tanzen, und ergötze mich daran, und hätt’ nicht geglaubt, dass das eine so große Sünde wäre. Könntet Ihr Fleisch in den Fasten essen, dacht’ ich, was Euch verboten ist, so könntet Ihr ja auch einmal tanzen.“

Indem kamen sie an den Galgen. Da stellten sich die Leute in einem weiten Kreise um ihn her. Dann ward die Galgenleiter angestellt, und der Henker machte dem armen Friederlein den Strick los vom Leib, und legte ihm denselben um den Hals, und stieg ein Paar Sprossen an der Leiter hinauf, und sagte zu ihm: „Komm, steig mir nach, mein Sohn!“ Und Friederlein stieg ihm ein Paar Sprossen nach auf der langen Galgenleiter. Da dacht’ er aber, es sei doch jetzt Zeit, seinen ersten Wunsch an den Richter zu tun, sonst möchte es ihm doch zu spät werden, wenn er noch ein Paar Sprossen höher droben wäre. Darum wandte er sich zu dem Richter und sprach: „Ach, Herr Richter, ich hab’ eine gar große Bitte noch an Euch, eh’ ich vollends da hinauf steige, die Ihr mir wohl gewähren könnt.


Klein Friederlein mit seiner Geige


Sohn, wofern ich sie dir gewähren kann, antwortete der Richter.“

„Ach,“ sagte Friederlein, „ich hab’ meine Geige so lieb, und kann mich nicht von ihr trennen, eh’ ich noch einmal Eins darauf gefiedelt habe. Darum bitt’ ich, erlaubt mir, dass ich vor meinem Ende mich noch einmal mit ihr vergnüge, und mir und Euch zur Lust noch ein’s drauf fiedle.“

Da wandte sich aber auch der Mönch zu dem Richter, und sprach: „Herr Richter lasset ihm das nicht zu. Es ist sonst unser Aller letztes End, wenn er seine Geige spielet.“ Aber der Richter sprach: „Eine billige Sache darf man solch einem armen Schlucker nicht abschlagen, wenn er schon auf der Galgenleiter steht.“ Darauf wandte er sich zum Büttel, dem Haltfest, und befahl ihm, dem Kleinen seine Geige zu geben. Und Friederlein empfing sie mit Freuden, und fing an darauf zu fiedeln mit dem Fiedelbogen. Da fingen auch schon ringsum die Kinder an zu tanzen. Und Fiederlein fiedelte frisch drauf los. Da sprach der Henker: „Ich muss erst Eins tanzen, ich kann’s nicht lassen!“ und stieg hinunter, und tanzte unter dem Galgen herum. Und als der Richter noch ein wenig zusah, und sah wie auch der Haltfest, der Büttel, Friederleins Vogelrohr an die Leiter lehnte, um desto besser herum zu tanzen, und wie alle rings um ihn her tanzten, rief er: „Ei, wenn Alle tanzen, warum soll ich denn allein dastehn?“ Und tanzte auch drunter hinein. Als aber der Mönch das sah, rief er: „Ich muss tanzen mit allen Freuden!“ und tanzte auch in der Menge herum. Es ward ihm aber bald wieder sauer, weil er so wohl beleibt war. Darum schrie er zum Richter: „Ach, lieber Herr Richter! lasst ihn doch aufhören. Es ist ja eine Schande, dass wir da herumtanzen vor all den Leuten! Gelt, ich warnt Euch wohl? ich wusste wohl, wie es gehn würde.“

Aber der Richter war während des Tanzens ganz fröhlich worden, und rief ihm im Tanzen zu: „Ei, tanzt nur, Herr Pater, tanzt nur! Ich mag noch nicht aufhören; der Tanz klingt gar zu lustig.“

„Ja,“ sagte klein Friederlein, „gebt Acht, jetzt spiel’ ich Euch den Hupfauf. Ihr kennt ihn ja, Herr Pater! Nicht wahr, der geht erst recht lustig?“, und spielte nun aufs Neue; und das Volk umher, und der Büttel und der Richter tanzten mit einander herum, und Weiber, und Kinder, und Alles bunt durcheinander, dass es ein recht Gewimmel war unter dem Galgen und drum herum; und hüpften Alle in dem Tanz in die Höhe, und rief Mancher dabei: „Juchhe! so lustig ging’s sonst noch nie her, wenn Einer gehängt wurde!“ Da stieg aber klein Friederlein von seiner Leiter herab, und geigte aber immer dabei, und nahm sein Vogelrohr unter den Arm, und lief geigend durch das tanzende Volk, und lief auf und davon. Aber die Leute tanzten ihm all nach, und tanzten ihm so lange nach, bis sie sich so müde getanzt hatten, dass sie auf die Erde niederfielen an dem Wege. Da fiel zuerst der dicke Mönch, und keuchte, so hatte er sich außer Atem getanzt, und dann fiel der Richter, dann der Henker und der Haltfest, und bald da ein Paar, und bald dort eines. Und Friederlein lief und fiedelte immerfort, bis sie alle vor Müdigkeit hingefallen waren.

Als aber nun Alle da lagen, da lachte Friederlein von Herzen in’s Fäustchen, dass er sich so durch sein Geigen vom Galgen errettet hatte, und zog fort in andre Gegenden und andre Städte, und erwarb sich dort mit seiner Geige viel Geld, und riss mancherlei Possen, das man bald überall sprach von dem kleinen Frieder mit seiner Geige. Und er lebte so, lustig und in Freuden viele Jahre bis er ein alt Männlein war.

Als er aber starb, da sprangen all die Saiten von seiner Geige entzwei; und viele versuchtens, und zogen neue Saiten darauf. Wer aber nicht geigen gelernt hatte, konnte da auch nicht darauf geigen, wie auf jeder andern Geige; und wenn ein Tanz darauf gespielt ward, so musst’ auch Niemand danach tanzen, als wer eben sonst gerade Lust hatte zum Tanzen – und es war eben eine Geige wie jede andre Geige sonst auch.

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