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04.3
Lina’s Mährchenbuch
Eine Weihnachtsgabe
von
Albert
Ludwig
Grimm.
Erster
Band und
Zweiter Band
Mit
fünf
colorierten Kupfern.
Zweite
Auflage.
Grimma,
Verlag
von
Julius Moritz Gebhardt
************
Von
seltsamer Freundschaft zwischen einer
Katze, einem Kaninchen und einem Perlhuhn
Es
war einmal ein gar
muntres Kätzchen, das Mimi hieß, und von einem frommen Mägdlein gut
gepflegt
und genährt wurde. Und weil es so gar gespielsam war und gut, durft’ es
oft bei
dem frommen Mädchen in der Stube sein und mit ihr spielen. Das verdroß
aber den
Jagdhund, der Ryno hieß, und den großen Hofhund Kalif. Denn die durften
nicht
so viel in der Stube sein, weil sie groß waren, und nicht so artig, als
das
kleine Mimikätzchen.
Darum
sagte eines Morgens
der Jagdhund Ryno zu dem großen Kalif: „Höre, lieber Freund, ich muß
dir nur
sagen, ich bin recht böse über die garstige Schmeichlerin, die graue
Katze; die
hat sich gar gewaltig eingeschmeichelt bei unserer kleinen Herrin, und
wir
kriegen kein gutes Wort mehr. Die kriegt alle gute Bissen, und wird oft
gar auf
dem Schooße gehalten, und gestreichelt und geschmeichelt, daß ich
verbersten
möchte vor Neid, wenn ich’s gerade mit ansehen muß. Aber wir müssen uns
Alles
gefallen lassen. Wenn sie gute Bissen kriegt von dem
Teller der Herrin, so müssen wir oft noch lange warten, und dann
kriegen wir
erst nur eine schlechte Suppe von trockenem Brot und Wasser, an der
Salz und
Schmalz gespart ist. Und doch müssen wir für das ganze Haus arbeiten.
Du
bewachst es vor Dieben, und ich gehe mit auf die Jagd, daß der Jäger
die Hasen
und Feldhühner schießen kann, die ich ihm aufspüre. Und die Katze sitzt
ruhig
zu Hause, und leckt sich die Pfoten, und putzt sich den ganzen Tag, und
hat das
beste Leben. Denn arbeiten kann sie gar nichts. Wenn sie auch einmal
ein
Mäuschen fängt, so thut sie das aus Leckerei, weil es sie gern frißt,
und nicht
darum, daß sie die Mäuse im Hause vertilgen will. Denn das wär’ ihr ja
gar ungelegen,
wenn es einmal keine Mäuse mehr gäbe.“
„Ja,“
antwortete der Kalif,
„ich hab’s auch schon lange gedacht; sie ist eine rechte Faullenzerin,
und
frißt ihr Brot in Sünden. Ich bin ihr ja auch so feind, wie du, und
hätte sie
gern schon manchmal oben am Halse gepackt mit den Zähnen, und sie
tüchtig
herumgeschüttelt. Aber die Katzen trauen uns Hunden nicht, und sind
immer vor
uns auf der Flucht. Und wenn ich sie auch erwischen könnte, so fürchte
ich mich
doch immer vor ihren langen Nägeln, womit sie einem immer nach den
Augen
hauen.“
„Ei,“
sagte der Jagdhund,
„wir müssen ihr einmal nachspüren, wo sie Nachts schläft, und sie da im
Schlafe
überfallen.“
„Ich
weiß das wohl, wo sie
schläft,“ sagte der Haushund, „aber was nützt uns das? Sie wird jeden
Abend in das
kleine Stübchen neben der Waschküche gesperrt, weil es da oft von dem
Kessel
warm ist, der neben an der Wand steht. Denn das wissen unsere
Herrschaften
wohl, daß die Katzen gern im Warmen liegen. Da dürfen wir auch nicht
hinein,
als nur bei Tage, wenn es einmal offen steht.“
„Und
wenn wir auch hinein
dürften, und wenn wir sie auch kriegen könnten,“ sagte Ryno, „so dürfen
wir ihr
öffentlich nichts thun; denn wenn es herauskäme, daß wir es gethan
haben, so
sind wir nur übler dran, und werden desto schlimmer gehalten, oder
werden
vielleicht gar vom Jäger todt geschossen.“
„So
müssen wir sie denn
ganz gehen lassen?“ fragte der Haushund Kalif, „das ist doch ärgerlich!
Ich
möchte gar zu gern hinter sie.“
„Sei
nur ruhig,“ antwortete
Ryno. „Ich weiß was. Wir müssen sie durch List um die Gunst ihrer
Herrin
bringen. Das wird am besten helfen.“
„Ja,
durch List?“ sagte
Kalif. „Wie sollen wir aber das anfangen?“
„Das
weiß ich selbst noch
nicht,“ antwortete Ryno, „aber mit der Zeit wird’s schon eine
Gelegenheit geben.
Hab nur Geduld, und gib du nur Acht, was im Hause vorgeht, wenn ich auf
der
Jagd bin. Wenn ich dann am Abend nach Hause komme, dann erzählst du mir
Alles.
Vielleicht find’ ich dann leicht etwas, wodurch wir der grauen
Schmeichlerin
einen rechten Possen spielen können!“
Damit
gingen die zwei
neidischen Hunde auseinander. Ryno mußte mit dem Jäger auf die Jagd,
und der
große Kalif wurde wieder am Thore an die Kette gelegt, wo er immer den
Tag über
liegen mußte.
Als
der Jagdhund aber nach
Hause kam, und der Haushund am Abend auch wieder von seiner Kette
gelöst war,
daß er die Nacht im Hofe herumlaufen konnte, fragte Ryno den großen
Kalif: „Nun
erzähle! was hat es Neues gegeben den Tag über?“
„Ach,“
sagte der Hofhund,
„nicht viel. Ich weiß eigentlich gar nichts, als daß des Herrn
Schulmeisters
Wilhelm unsrer kleinen Herrin einen Hasen geschenkt hat, den sie ein
Seidenkaninchen nannten. Und der ist jetzt auch daneben in das kleine
Stübchen
eingesperrt. Sie hat eine gewaltige Freude an ihm, wie es scheint; denn
sie ist
gleich in den Garten gesprungen, und hat ihm
Krautblätter und Klee geholt.“
„Ei,“
fragte der Jagdhund
begierig, „wo schläft denn da heute die garstige Katze?“
„Wo
wird sie schlafen?“
brummte da der große Kalif, „das Stüblein ist groß genug, sie haben
alle Beide
Platz genug darin.“
„O,
das ist gar gut,“ sagte
Ryno, „da wird unsere Feindin, die Katze, gewiß bald um die Gunst
unserer
Herrin kommen. Denn die Katzen und die Kaninchen leben mit einander in
Feindschaft, und die Katzen sind stärker, als die Kaninchen. Wenn sie
nun diese
Nacht das Kaninchen todt beißt und auffrißt, wie das die Katzen so gern
thun,
dann kriegt sie morgen gewiß tüchtige Schläge, und wird in Zukunft
gewiß nicht
geschmeichelt. Wenn sie es aber nicht frißt, so sehen doch die Leute
morgen,
wie sich das Seidenhäschen vor ihr fürchtet, und dann ist’s eben so
gut, als ob
sie es gefressen hätte, und noch besser!“
„Ei,
wie kann denn das eben
so gut sein?“ fragte der Haushund Kalif.
„Ja!“
antwortete Ryno, der
Jagdhund, „es ist eben so gut und noch besser. Denn wenn hernach einmal
niemand
im Hofe ist, und das Kaninchen da herumspringt, dann fang ich’s, und
fresse es
selbst auf. Aber den Kopf und die Haut schleppe ich in den Heukorb
in der
kleinen Stube, wo die Katze immer liegt, und dann wird unsre Herrin und
Jedermann glauben, sie habe das Kaninchen gefressen, weil man
gesehen
hat, wie sich das Kaninchen vor ihr fürchtete, und daß sie eine
Feindschaft
gegen einander tragen.“
„Das
ist wahr!“ sagte
Kalif. „So verliert sie auf jeden Fall die Gunst unserer Herrin. Ach,
das ist
recht gut, daß du das so ausgedacht hast. – Aber,“ fragte er weiter,
„wenn sie
nun morgen recht freundlich zusammen wären, und das Kaninchen sich
nicht vor
der Katze fürchtete?“
„Ei,
wo denkst du hin?“
rief da der Jagdhund lachend. „Das müssen wir Jäger verstehn, das
geschieht
meine Lebtage nicht.“ Und damit gingen sie beide von dannen, und
warteten, bis
der Tag anbrach.
Aber
die Katzen haben feine
Ohren, die hörens ja, wenn ein Mäuslein ganz sacht aus seinem Loche
hervorschleicht. Darum hörte auch das graue Kätzchen in der kleinen
Stube gar
deutlich, was die beiden Hunde miteinander sprachen, und war traurig
und dachte
für sich: „O weh, jetzt bin ich übel dran, jetzt bin ich verloren, ich
mag’s
machen, wie ich will. Ja, ein Ausweg wäre freilich da, wenn ich
Freundschaft
mit dem Kaninchen machte, und morgen, wenn wir herausgelassen
werden, recht
freundlich mit ihm wäre, und es freundlich mit mir wäre, und sich nicht
vor mir
fürchtete, und nicht scheu vor mir davon liefe. Dann dürfte der
Jagdhund nicht
trauen, ihm etwas zu thun, weil die Leute dann nicht glauben würden,
daß ich
meinen Freund umgebracht hätte.“
Indem
es so dachte, sah es
hin nach dem Seidenkaninchen. Das saß traurig hinter einem Siebe in
einer Ecke des
kleinen Stübleins, und das Herz klopfte ihm, und es mußte sehr hart
schnaufen
vor Angst.
Da
rief ihm das Kätzchen
zu: „Lieb Seidenhäschen, warum bist du so bange? Ich thu dir ja
nichts.“
„Ach,“
sagte das Kaninchen,
„du hast mir freilich noch nichts gethan, aber ich fürchte mich doch
gar sehr.
Denn ich weiß ja wohl von meiner Mutter, die hat mir gesagt, daß ihr
Katzen den
Kaninchen nachstellet und uns umbringet und freßt. Und wenn du mich
auch nicht
umbringst, so weiß ich doch, daß ich noch einen Feind hier habe, der
nach
meinem Fleisch trachtet, so wird der große Jagdhund mich fressen.“
„Hast
du denn auch gehört,
was die zwei garstigen Hunde eben mit einander sprachen?“ fragte da
fröhlich
das Mimikätzchen.
„Freilich!“
antwortete das
Seidenkaninchen. „Wir Thiere vom Hasengeschlechte haben gar große,
lange Ohren, damit wir Alles besser hören können, was uns Gefahr droht,
weil
wir wehrlos sind, und uns nicht vertheidigen können. Ach, ich hab’ alle
Worte verstanden.“
„Ei,
das ist dann ja gar
gut,“ sagte das Kätzchen, „da hast du ja selbst gehört, was es mir
schadet,
wenn ich dich fresse, oder dir irgend ein Leid zufüge. Da wird meine
Herrin
böse auf mich, und jagt mich von sich, und läßt mich nicht mehr in die
Stube zu
sich, und füttert mich nicht mehr, und streichelt mich nicht mehr. Ach,
und das
wäre mir ja so gar leid, denn sie ist so lieb und gut, und spielt so
schön mit
mir, und streichelt mich so sanft, denn sie hat gar ein weiches
Händchen, das
thut mir gar zu wohl, wenn sie mir damit über den Rücken streicht. –
Sieh,
darum wollt’ ich dir nichts thun, wenn ich auch drei Tage Hunger
gelitten
hätte. Drum sei nur fröhlich, du gutes Thierchen, und fürchte dich
nicht, so
thut dir auch der garstige Hund nichts. Denn wenn er sieht, daß wir
freundlich
zusammen sind, so darf er dir ja nichts thun, sonst merkens
gleich die
Leute, daß er’s gethan hat, und dann kriegt er Schläge vom Jäger. Darum
komm
nur hinter deinem Siebe hervor, und sei ohne Furcht! Komm, wir wollen
Freundschaft schließen mit einander.“
Als
sie das gesagt hatte,
kam sie unter dem Ofen hervor, und das Seidenkaninchen ging auch
hinter seinem
Siebe hervor, und schmeichelten einander, und versprachen sich Treue
und
Freundschaft so lange sie lebten.
Und
als nun am andern
Morgen die Hunde angebunden waren, kam das fromme Mädchen, die Herrin
der
Thiere, und machte das kleine Stübchen auf, und rief der Katze: „Mimi,
Mimi,
Mimikätzchen, komm!“ und dem Kaninchen rief sie: „Hänschen, Hänschen,
komm.“ Da
sprang das Kätzchen und das Kaninchen aus dem Stübchen heraus in den
Hof, und
schmeichelten ihr, und waren gar freundlich mit einander, und spielten
mit
einander, und sprangen einander nach, und purzelten über einander
herum, und
zogen sich im Spiel einander an den Ohren, die Katze das Kaninchen, und
das Kaninchen
die Katze, daß das Mädchen sich sehr darüber freute, und seiner Mutter
hinauf
rief: „Mutter, liebe Mutter! komm doch, und sieh mein Mimikätzchen und
mein
Hänschen mit einander spielen!“
Da
kam ihre Mutter herab,
und brachte einen Teller mit Milch, und stellte ihn hin, und lockte den
beiden
freundlichen Thieren, und ließ sie die Milch trinken. Da setzten sie
sich recht
einträglich zusammen hin, und schlappten mit ihren Zünglein die Milch,
und das
Kätzchen knurrte nicht, wie es sonst die Katzen thun, wenn andere
Thiere mit ihnen fressen wollen. Und als sie fertig waren,
spielten sie wieder
einträchtig zusammen.
Aber
als die beiden Hunde
das sahen, ärgerten sie sich gewaltig an ihren Ketten, und Ryno sprach
zu
Kalif: „Das ist was Unerhörtes, das ist noch nie geschehn, seit es
Katzen und
Kaninchen in der Welt gibt, daß sie einträchtig bei einander waren oder
gar mit
einander spielten. Davon hab ich noch kein Beispiel gehört.“ Und als
sie am
Abend von ihren Ketten gelassen wurden und zusammen kamen, sagten sie
zu
einander, daß nun ihr Anschlag vereitelt sei, und daß sie auf eine
bessere
Gelegenheit warten müßten.
Das
hörten aber die Katze
und das Kaninchen auch wieder, und freuten sich darüber, und spielten
am andern
Tage wieder untereinander, und gefielen dadurch ihrer Herrin immer
mehr, und
wurden von ihr recht wohl gehalten.
So
ging es etliche Tage. Da
bekam das gute Mädchen auch einmal aus der Stadt von einem vornehmen
Herrn ein
Perlhuhn geschickt. Denn die Leute wußten wohl, daß sie die Thiere so
lieb hatte
und gut pflegte. Weil es aber keinen andern Stall für das Perlhuhn
hatte, ward
dieß auch am Abend in die kleine Stube neben der Waschküche gesperrt,
zu der
Katze und zu dem Kaninchen. Aber das Perlhuhn war beim Abschied
von seiner
Mutter, die es aus einem Ei gebrütet hatte, gewarnt worden, es sollte
sich vor
den Katzen hüten, die stellten den jungen Hühnern gar gerne nach. Darum
flog es
gleich auf den Ofen, und dachte: „Hier kann sie mich nicht so leicht
kriegen.
Und wenn sie auch herauf springt, so kann ich ihr doch noch entwischen;
so
flieg ich nur in die Höhe, und fliege oben herum an der Decke; und wenn
sie
wieder vom Ofen hinunter springt, so setz’ ich mich wieder darauf, und
ruh aus,
bis sie wieder kommt. Und so soll sie mich schon nicht kriegen.“
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