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04.3
Märchen
Ut Oler Welt
Wilhelm Busch
Das harte Gelübbde
In
einem wilden, wüsten
Walde verirrte sich eine Frau. Als nun die dunkle Nacht hereinbrach,
überkam
die Frau eine große Angst, sodass sie seufzend sprach: »Weh! Wie
komme ich
zu Haus! Wenn doch wer käme und mir den Weg wiese aus dieser
Wildnis!« Da
trat aus dem Gesträuch ein graues Männchen. »Wenn du mir
versprichst,
Frau, was du jetzt unter deinem Herzen trägst, so will ich dich
hinausgeleiten,
dass du bald zu Hause bist.« Das versprach die Frau in ihrer
Angst, und
als sie es versprochen hatte, lachte das Männchen mit Hohn laut auf und
rief: »Der Knabe unter deinem Herzen ist mein! Nach zwölf Jahren
bringst
du ihn mir zu dieser selben Stunde, zu dieser selben Stelle, oder ich
fordere
ihn selbst. Dann will ich ihm drei Fragen aufgeben; kann er die
beantworten, so
habe ich keine Macht über ihn; sonst gehört er mir für alle Ewigkeit.«
Darauf brachte das graue
Männchen die Frau bald aus dem Walde, dass sie wieder zu Haus kam.
Eine Zeit danach kriegte
die Frau einen kleinen Jungen, der war ein stilles gutes Kind, wuchs
heran und
war so gelehrig, dass sich alle Leute darüber verwundern mussten. Seine
Mutter
aber hatte keine frohe Stunde mehr; immer und immer musste sie daran
denken,
dass sie ihr liebes gutes Kind dem Bösen versprochen hatte. Wenn sie
dann dem
Knaben sein Brot schnitt, so sah sie ihn immer so traurig dabei an und
konnte
das Weinen nicht lassen. Da fasste das Kind ihre Hand und
sagte: »Mutter,
warum seid Ihr nur so traurig und weint in einem fort? Gebt Ihr mir das
Brot
nicht gern, oder bin ich nicht gut und folgsam, dass Ihr immer weinen
müsst,
wenn Ihr mir das Brot gebt? Das sagt mir doch!« Aber sie weinte
nur immer
mehr und mochte es ihm nicht sagen, was ihr das Herz so schwer machte;
bis der
Knabe so lange bittend in sie drang, dass sie es doch endlich erzählte,
wie sie
sich in dem wilden Walde verirrt habe, wie das graue Männchen gekommen
sei und
dass sie ihm das Kind unter ihrem Herzen versprochen
habe. »Mutter,« sagte
da der Knabe, »das war hart! Doch lasst das Weinen und seid nur
wieder
froh; mit Gottes Hilfe mag noch endlich alles gut werden.« Darauf
ist der
Knabe noch lerneifriger geworden als vorher, und in der Schule haben
ihm seine
Lehrer alle Fragen, die nur zu erdenken gewesen sind, aufgeben müssen,
und als
er nun sein zwölftes Jahr erreichte, da hat er alle und alle Fragen
beantworten
können.
Zu der bestimmten Stunde
brachte die Frau den Knaben in den Wald, und gingen auch seine Lehrer
und viele
Leute mit. Als sie nun bald zu der Stelle kamen, mussten sie alle
zurückbleiben; da ging der Knabe allein freimütig in den Busch, und ob
ihm
gleich durch des Bösen Anstiften allerlei feurige Gespenster
begegneten, auch
ein Fuder Heu mit Ochsen bespannt auf ihn zu kam, ihn zu schrecken, so
ließ er
sich doch nicht wirren, ging weiter und kam zur Stelle, wo das graue
Männchen
ihn erwartete. »Es ist dein Glück, dass du gekommen
bist!« sprach
er; »nun gib mir Antwort auf drei Fragen; kannst du sie nicht
lösen, so greif
ich dich.« »Sag her!« erwiderte mit ruhigem Mute das Kind. Da
fragte
das Männchen: »Was ist härter als ein Stein?« Das Kind
antwortete:
»Mutterherz.« »Was ist weicher als ein Daunenbett?« Das Kind
antwortete: »Mutterschoß.« »Was ist süßer als Milch und
Honig?« Das Kind antwortete: »Mutterbrust.« Da ist das
Männchen
verschwunden und abgestunken.
Als nun das Kind
unversehrt
heraustrat, sahen die, welche zurückgeblieben waren, dass ihm der Arge
nichts
hatte anhaben können, und freuten sich, denn alle hatten das Kind lieb,
weil
es
so klug war
und so gut; da hat auch seine Mutter wieder frohe Tage erlebt.
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