|
|
|
|
|
lifedays-seite
moment
in time
|
|
|
|
|
04.3
Märchen
Ut Oler Welt
Wilhelm Busch
Die schwarze
Prinzessin
Es
war einmal ein König und
eine Königin, die kriegten gar keine Kinder. Da sagte die
Königin: »Ich
wollte, ich kriegte ein Kind und wenn es auch vom Teufel
wäre.« Nicht
lange darnach ward die Königin schwanger und gebar ein kleines
Kind, das war eine Dirne. Sie ward, wie sie wuchs, von
Tage zu Tage schöner, so daß sie ein jeder, der sie sah, von Herzen
gerne leiden
mochte. Den Tag aber vor ihrem fünfzehnten Geburtstage sagt sie auf
einmal zu
ihrem Vater: »Morgen, Vater, muß ich sterben.« »Mein liebes
Kind,« sagte der König, »sprich mir doch nicht von
sterben.« »Doch Vater! Ich weiß gewiß, daß ich morgen sterben muß.
Eins
mußt du mir aber versprechen: daß mein Sarg in der Schloßkirche vor den
Altar
gestellt und ein ganzes Jahr lang jede Nacht Wache dabei gehalten wird.
Wenn
sich dann unter der Wache Einer findet, der nichts Schlechtes gethan
hat, so
kann der mich wieder erlösen.« Das mußte der König versprechen und
ihr die
Hand drauf geben.
Wie die Königstochter
gesagt hatte, so kam es auch. Den andern Tag nahm sie noch von Vater
und Mutter
Abschied, legte sich in den Sarg und starb und ward darnach
kohlschwarz. Der König ließ sie
nun in ihrem Sarge in die Schloßkirche vor den Altar stellen mit einer
Wache
dabei, wie die Prinzessin es verlangt hatte. Des Nachts, da die Glocke
gerade
Zwölf schlug, fuhr die Prinzessin aus ihrem Sarge, packte die Wache,
drehte ihr
den Hals um und warf sie in ein finsteres Gewölbe, das da unter der
Kirche war.
Sobald aber die Glocke Eins schlug, mußte sie wieder in ihren Sarg
hinein.
In
der zweiten Nacht ging es ebenso. Als die Glocke Zwölf schlug, fuhr die
Königstochter aus ihrem Sarge, drehte der Wache den Hals um und warf
sie in das
Gewölbe, das unter der Kirche war. In jeder folgenden Nacht ging es
ebenso;
jeden Morgen war die Wache verschwunden und kein Mensch wußte, wo sie
geblieben
war. Nun wollte zuletzt keiner mehr bei der Königstochter wachen. Da
ließ der
König im ganzen Lande bekannt machen: wer seine Tochter erlösen könnte,
der
sollte sie zur Frau haben und König werden.
Nun war da ein junger
Schäfer mit gelben Haaren, der hieß Jakob, der reiste nach der
Königsstadt und
ließ sich anstellen als Wache bei dem Sarge der Prinzessin. In der
ersten
Nacht, da es kurz vor Zwölfe war und der Schäfer daran dachte, daß die
andern
Wachen alle so sonderbar verschwunden waren, da ward er bange und
wollte
weglaufen. Da rief eine Stimme hinter ihm her: »Jakob, geh nicht
fort, du
kannst mich erlösen, wenn du drei Nächte hintereinander an meinem Sarge
wachst.« Da kehrte der Schäfer wieder um und versteckte sich unter
den
Sarg der Prinzessin. Als nun die Glocke Zwölf schlug, fuhr die
Königstochter
aus ihrem Sarge und suchte die ganze Kirche durch; in dem Augenblick
aber, wo
sie an den Sarg kam und den Schäfer eben fassen wollte, schlug die
Glocke
gerade Eins; da mußte sie wieder in ihren Sarg hinein.
In der zweiten Nacht, da
es wieder bald Zwölfe war und der Schäfer daran dachte, daß es ihm auch
ergehen
könnte wie den andern Wachen, da ward er bange und wollte weglaufen. Da
rief
eine Stimme hinter ihm her: »Jakob, geh nicht fort; du kannst mich
erlösen.« Als der Schäfer das hörte, kehrte er wieder um und
versteckte
sich in das Gewölbe, wo die Leichen der früheren Wachen lagen. Er
beschmierte
sich Gesicht und Hände ganz mit Blut, deckte einige der Toten über sich
und
verhielt sich so ruhig, als ob er auch eine Leiche wäre.
Als nun die Glocke
Zwölf schlug, fuhr die Königstochter wieder aus ihrem Sarge,
durchsuchte die
ganze Kirche und kam auch zuletzt in das Gewölbe, wo der Schäfer unter
den
Leichen lag. »Dem die Füße warm sind, der ist's!« rief sie
und
tastete zwischen den Leichen herum. Schon war sie dem Schäfer ganz
nahe, das
Blut gerann ihm in den Adern, da schlug die Glocke Eins. Nun mußte die
Prinzessin wieder zurück in ihren Sarg. –
Am andern Morgen kam der König mit
seinem ganzen Hofstaate in die Kirche, um nach dem Schäfer zu sehen,
und als
sie das viele Blut in seinem Gesicht und an seinen Händen sahen,
erschraken sie
und meinten nicht anders, denn es sei ihm ein Leid widerfahren. Jakob
aber
sprach: »Wisset, daß ich gesonnen bin, auch noch die dritte Nacht
Wache zu
halten; Morgen früh Glocke Sechs, da kommt mit Pauken und Trompeten und
der
ganzen Musik, denn entweder bin ich todt oder die Prinzessin ist
erlöst.« Das mußte ihm der König versprechen.
Kurz vor Zwölfe in der
Nacht kroch der Schäfer unter den Sarg der Prinzessin, und als sie nun
mit dem
Schlage Zwölf herausfuhr, legte sich der Schäfer schnell selber in den
Sarg
hinein. Nun suchte die Prinzessin die ganze Kirche durch; als sie aber
zuletzt
auch an den Sarg kam, da schlug die Glocke Eins. In demselben
Augenblick fing
die Prinzessin an zu sprechen und sagte: »Jakob, ich danke dir
viel
tausend Mal; du hast mich nun erlöst.«
Von Stund an begann sie auch
allmählich weiß zu werden, und Morgens Glock sechs stand sie da in
voller
Schönheit und weiß wie zuvor. Da kamen auch der König und die Königin
mit ihrem
ganzen Hofstaate und vielem Volk, mit Pauken und Trompeten und voller
Musik;
und als nun Jakob mit der Prinzessin an der Hand aus der Kirche trat,
da rief
alles Volk: »Vivat, unser König Jakob!« und wollte des
Jubilierens
kein Ende werden.
____________________
|
lifedays-seite - moment
in time |
|
|
|
|
|
|
|