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04.3
Märchen
Ut Oler Welt
Wilhelm Busch
Der Mordgraf
Vor
tausend Jahren oder
länger ist mal ein König gewesen, der hatte eine wunderschöne Tochter.
Da trug
es sich zu, daß zur selben Zeit ein Mann an ihres Vater Hof kam, der
nannte
sich Graf von Schwarzburg und bewarb sich um ihre Hand, und weil er
schön von
Ansehn war, so wurde ihm die Prinzessin von Herzen zugethan und
versprach ihm
die Ehe. »Aber, mein Schatz, wo bist du denn her und wo liegt dein
Schloß?« fragte ihn einstmals die Prinzessin. »Mein Schloß«,
entgegnete er, »liegt hinter dem Walde in der Haide, da wohne ich
ganz
allein; wenn du mich da besuchen willst, so komm den Mittwoch, dann
will ich
sicher zu Hause sein.« Die Prinzessin sagte es zu; ging aber nicht
Mittwoch, sondern Freitag; »denn, dachte sie, es wird meinem
Bräutigam
wohl jederzeit recht sein, wenn ich komme, ihn zu besuchen.« So
ließ sie
denn am Freitag vier schwarze Pferde vor ihre Kutsche spannen und nahm
nur eine
einzige Junfer zu ihrer Begleitung mit. Als sie nun an den Rand des
großen
Waldes kamen, sahen sie ganz einsam in der weiten Haide des Grafen
Schloß. Da
stieg die Prinzessin, die ihren Bräutigam zu überraschen gedachte, mit
ihrer
Junfer aus und befahl dem Kutscher zu warten bis sie wiederkämen. Als
sie nun
vor das Schloß kamen, lag in einer Hütte vor dem Thor ein großer,
großer Hund,
der schlug mit lauter Stimme drei Mal an. »Hau! Hau!
Hau!« und an dem
Giebel des Schlosses hing ein Käfig mit einem großen Vogel, der rief
drei
Mal: »Zurück! Zurück! Zurück!« Dann war wieder alles ganz
still. Es
ließ sich auch kein Mensch blicken und war so öde und unheimlich da;
das Schloß
stand so allein auf der weiten Haide; der große Hund, der sonderbare
Vogel; die
Prinzessin wurde ganz beklommen, so schaurig kam ihr alles vor; doch
ging sie
weiter und in das Schloß hinein. Da stand auf der Diele ein Klotz,
darüber war
ein weißes Laken gelegt, und als sie das aufdeckte, so lag ein großes
blankes
Beil darunter, und der Klotz war über und über voll Blut; die
Prinzessin wurde
ganz beklommen, so schaurig kam ihr das alles vor; doch ging sie weiter
und in
den Keller hinein. Da standen viele große Fässer, die waren voll von
eingesalztem Menschenfleische, in dem einen die Finger, in dem andern
die Arme,
in dem dritten die Füße, in dem vierten die Beine, in dem fünften die
Rümpfe,
aber die Köpfe fehlten. »O weh!« sprach die
Prinzessin, »wir
sind in einem Mörderhause.« Weil aber alles still blieb, so gingen
sie
auch noch die Treppe hinauf; in dem ersten Zimmer standen zwei gemachte
Betten,
in dem zweiten drei, in dem dritten vier, und in dem vierten Zimmer da
hingen an
den Wänden herum lauter Mädchenköpfe, das konnte man wohl erkennen an
den
langen Haaren. »O weh!« sprach die Prinzessin; »mein
Liebster
ist ein Mörder und Mädchenräuber.« Indem daß sie das sagte, sah
sie durch
das Fenster, wie ein Mann über die Haide dahergeritten kam, der
hatte vor sich auf dem Pferde ein Mädchen sitzen. »Da kommt er
schon!« rief die Prinzessin und wurde blaß wie der Tod; »da
kommt er
schon, das ist sein Pferd; wenn er uns hier findet, so ist uns der Tod
gewiß!« Und schnell sprangen die beiden Mädchen die Treppe hinab
und
wollten aus dem Hause hinaus, aber in demselben Augenblicke ritt auch
der
Mörder schon auf den Hof; da blieb den beiden nichts anderes übrig als
sich in
den dunkeln Entenstall zu verstecken, der an der Diele unter der Treppe
lag und
mit einer Gitterthüre verschlossen war. Kaum waren sie drin, so kam der
Graf
mit einem wunderschönen Mädchen in das Haus. Er holte ihr aus dem
Keller ein
Glas Wein und gab ihr davon zu trinken und sprach: »Nun, mein
Kind, wie
schmeckt dir dieser Wein?« »Sehr süß!« sagte das Mädchen.
»Ja!« sprach der Graf, »sehr süß! aber süßer ist das
Leben!« Dann brachte er ihr ein ander Glas und ließ sie wieder
trinken und
fragte: »Nun, mein Kind, wie schmeckt dir denn dieser
Wein?« »Sehr
bitter!« sagte das Mädchen. »Ja, sehr bitter!« sprach
der
Graf; »aber bitterer ist der Tod; du mußt jetzt sterben!« Da
mußte
sie sich ganz nackt ausziehen; und ob sie gleich laut weinte und
jammerte und
vor dem Bösewicht auf ihre Knie fiel und um ihr Leben flehte, so half
es ihr
doch alles nichts; er schleppte sie an den Klotz, er hob das weiße
Laken, er
hackte ihr mit dem blanken Beile alle ihre schönen Finger ab. Auf dem
einen
Finger steckte aber ein schöner Goldring, und es traf sich, daß der
Finger von
dem Hiebe bei Seite sprang und sprang durch die Gitterthüre in den
Entenstall
und der Prinzessin grade in den Schooß. Da fing der Mörder nach dem
Finger zu
suchen an, des Ringes wegen, und kam mehrmals dicht vor den Entenstall.
Den
beiden Mädchen, die darin versteckt saßen, stockte das Blut; sie
hielten den
Athem an; hätten sie den geringsten Laut von sich gegeben, so wären sie
verloren gewesen. Zum Glück gab der Mörder sein Suchen auf und ging
wieder zu
dem unglücklichen Mädchen zurück, das weinte und jammerte laut und bat
um sein
Leben; aber es half ihr alles nichts; der Bösewicht hackte ihr Arme und
Beine
ab und zuletzt den Kopf und trug die Stücke in den Keller und salzte
sie ein.
Darauf setzte er sich wieder auf sein Pferd, das vor der Thüre
angebunden
stand, und ritt fort.
Als nun die Prinzessin
und
ihre Jungfer vernahmen, daß der Graf fort war, kamen sie aus ihrem
Versteck
hervor und sahen ihm nach; da war er schon wieder weit hinten auf der
Haide.
Den Finger mit dem Goldringe wickelte die Prinzessin in ihr
Taschentuch, und
nun liefen sie eilig aus dem Hause; der große Hund schlug dreimal
an: »Hau! Hau! Hau!« der Vogel schrie; sie liefen über die
Haide in
den Wald, sie stürzten sich in den Wagen, sie befahlen dem Kutscher auf
die
Pferde zu schlagen; so jagten sie in einem fort bis auf den königlichen
Hof; da
brachen die Pferde todt zusammen.
Den
andern Tag kam der
Bräutigam der Prinzessin wieder zum Besuch auf das königliche Schloß;
sie ließ
sich aber nichts merken, sondern that ganz freundlich und stellte ein
großes
Gastmahl an. Da sie nun bei Tische saßen, brachte die Prinzessin einen
Vorschlag, es sollte ein jeder nach der Reihe eine Geschichte erzählen,
sie sei
kurz oder lang. Da sprach der Graf, der ihr an der Tafel gegenüber saß:
wer den
Vorschlag gethan, der müßte auch, wie billig, den Anfang
machen. »Mir
recht!« entgegnete die Prinzessin; »so will ich einen Traum
erzählen,
der handelt von dir, mein Schatz! Mir hat heut Nacht geträumt, ich
wollte dich
besuchen und käme durch einen dunklen Wald auf eine weite, weite Haide;
da
stand dein Schloß; und vor dem Schloß da lag ein großer Hund, der
bellte: ›Hau!
Hau! Hau!‹ und an dem Giebel hing in einem Bauer ein wunderlicher
Vogel, der
rief: ›Zurück! Zurück! Zurück!‹ Es war aber alles nur ein Traum. Ich
ging
weiter in das Haus; da warst du, mein Schatz, nicht daheim, denn ich
war den
Freitag zu dir gekommen und nicht den Mittwoch, da stand auf der Flur
ein
Klotz, der war mit einem weißen Laken zugedeckt, und als ich das Laken
aufhob,
fand ich ein großes blankes Beil, und der Klotz war über und über von
Blut
roth.« »Halte ein wenig ein, mein Schatz«, sprach der Graf und war
ganz
blaß geworden; »ich will mal hinaus; es wird mir hier so
heiß.« »Ach
nein!« sprach die Prinzessin; »gleich bin ich zu Ende. Es war
alles
nur ein Traum, aber es kam mir vor, ich ginge in den Keller, da standen
viele
große Fässer, die waren alle voll von eingesalztem Menschenfleische,
und als
ich die Treppe hinauf in deine Zimmer kam, da standen in dem ersten
zwei
gemachte Betten, in dem zweiten drei, in dem dritten vier, und in dem
vierten
Zimmer hingen an den Wänden herum viele Mädchenköpfe, das sah ich an
den langen
Haaren. Ist das nicht schrecklich? Es war aber alles nur ein Traum. Und
als ich
aus dem Fenster sah, da kamst du, mein Schatz, über die Haide daher
geritten.« »Halte ein wenig ein, mein Schatz, ich muß mal hinaus;
es wird
mir hier so heiß.« »Ach nein, mein Schatz! Bleib noch ein wenig
hier;
gleich ist mein Traum zu Ende. Wo blieb ich doch! Ja so! Und als ich
aus dem
Fenster sah, da kamst du über die Haide dahergeritten und brachtest auf
dem
Pferde eine schöne Dame mit. Ich aber, denke dir nur, mein Schatz, ward
bange
vor dir und lief in Eile die Treppe hinab, da versteckte ich mich in
den
dunklen Entenstall. Es war aber alles nur ein Traum. Da kamst du mit
der
schönen Dame in das Haus und gabst ihr rothen Wein zu
trinken.« »Halte ein
wenig ein, mein Schatz; ich muß mal hinaus; es wird mir hier so
heiß.« »Ach nein, mein Schatz; bleib noch ein wenig hier; gleich
ist mein
Traum zu Ende. Wo blieb ich doch? Ja so! Du kamst mit der schönen Dame
in das
Haus und gabst ihr rothen Wein zu trinken, du schlepptest sie an den
Klotz, du
hörtest nicht auf ihr Weinen und Wehgeschrei, du hacktest ihr mit
dem blanken Beile die zarten Finger ab. Da sprang der eine Finger,
worauf ein
schöner Goldring stak, abseit und fiel mir mitten in den Schooß. Du
suchtest
ihn, mein Schatz, du konntest ihn nicht finden – hier ist der Finger
mit dem
Ring!«
Bei den Worten warf die Prinzessin den Finger mit dem Goldring auf
den Tisch.
Da wurde der Mörder blaß wie der Tod, er sprang auf, zückte sein
Messer und wollte die Prinzessin erstechen; aber die Gäste faßten ihn
und
banden ihn und übergaben ihn der Wache, und eine Zeit darnach ward der
Bösewicht gerichtet, wie er es verdient hatte.
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