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Literatur


04.2



Erlebte Gedichte

Otto Julius Bierbaum


Glück im Fluge

 

Es giebt heute recht mässigen Sonnenschein,
Und der Himmel schaut recht ledern d’rein,
Als ob ein Rezensent er wär’,
Dem plötzlich fällt das Schimpfen schwer.
Die Strassen sind schon mehr Morast,
Und die Menschen rennen mit alberner Hast:
Wohin Du trittst ist eine Pfütz’,
Die Weiblein lupfen das Gewand,
Und dennoch trieft der Unterrockrand -.
Dies Hundewetter ist gar nichts nütz . . .
 
Und doch, und doch, was mag das sein,
In mir lacht leuchtender Sonnenschein,
Wie Kobolde purzeln her und hin
Vergnügte Gedanken in meinem Sinn,
Als käm’ ich eben direkt vom Wein,
Als hätt’ ich mein Leibgericht gegessen
Und mit guten Freunden zusammengesessen,
Und bin doch so nüchtern, als sein es kann
Zum höchsten ein frömmlicher Muselmann.
 
Ich möchte die ganze Welt umschliessen,
Und gar nicht würd’ es mich verdriessen,
Wenn drunter ein Schock Theologen wäre,
Ja, käme mir selbst ein Kerl in die Quere,
Der sich’s erwählt als höchsten Beruf,
Mit witzelndem Hohn und Lug und Spott
In den Koth zu zieh’n, was ein Besserer schuf:
Selbst solch einem Schuft, heut würd’ ich, bei Gott,
Mit Lächeln ihm ins Antlitz gucken
Und würde vergessen, auszuspucken. –
 
Ja, Himmel und Erde, woher der Jubel?
Woher dieser jauchzende Herzenstrubel?
Hat Dame Fortuna mir hold gelacht,
Irgend was Extra-Gut’s gebracht?
War einer vielleicht von den löblichen Boten
Herrn Stephans da mit den rosa-rothen
Papieren, die schimmern wie Glücksverheissung,
Und welche benannt sind: Postanweisung?
Ach nein, ach nein, ach nein, ach nein -:
Der Freude Grund muss ein anderer sein. –
 
Hat irgend ein gütiger Unbekannter
Meine Schulden bezahlt alle miteinander
Und hat mir geschrieben: „In Freundlichkeit
Zu ähnlichen Diensten auch ferner bereit?“
Ach nein, ach nein, ach nein, ach nein -:
Der Freude Grund muss ein anderer sein. –
 
Oder hat sich vielleicht ein Verleger gefunden,
Der meine Schriften, schön eingebunden,
Dem Publikum will präsentieren
Und pränumerando honorieren?
Ach nein, ach nein, ach nein, ach nein -:
Der Freude Grund muss ein anderer sein. –
 
Und auch mein Schatz – das könnt’ ich noch preisen
Als Glückes-Lächeln in jubelnden Weisen –
Und auch mein Schatz, von Liebe bewegt,
Hat nicht seine Sprödigkeit abgelegt
Und sich mit einem schnellen Schwunge
An die Brust mir geworfen und glühend gehaucht:
„Da bin ich, da nimm mich, mein Herzensjunge!“ –
 
-Und doch bin ich ganz in Freude getaucht . . .
-Und seh’ ich nach genau und klar,
Was mir denn Liebes geschehen war,
So muss ich grad offen herausgestehn:
Nichts Sonderliches ist mir geschehn:
Als dass ich ein liebliches Kind gesehn.
Schnell schwand es vorüber im Menschengewimmel
Und leuchtete doch mir ins Herz einen Himmel.
Bracht’s fertig mit seinen klar-fröhlichen Blicken,
Meine ganze Trübsal zum Teufel zu schicken.
 
Eins . . . zwei – vorbei! Wie schnell es entschwand,
Das liebliche Bild, ich hab’ es gebannt,
Fest eingeschlossen als Talisman,
Dass nicht die grämlichen Stunden nah’n. –
 
Sonst hat das Glück mir nichts beschieden,
Aber, beim Himmel! ich bin zufrieden.


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Traum im Wald


 
Ein lichter, grüner Schleier über mir, und
um mich her ein lichter grüner Schleier . . .
Es singt und klingt aus weiter, weiter Ferne
Musik, vergehend, weich . . . Durch die Maschen
des Schleiers flirrt und blinkt ein goldiger
Schein. Der malt sich in Kringeln, in tanzenden
huschenden, bebenden Tupfen hell aufs dunkel-
grüne Moos. –
 
Was singt das ferne, ferne Lied . . .?
Lauschen will ich . . . Holde, weiche Frauen-
stimme, leise, leise . . . Wiegenliedsang . . .
Schlage die Augen auf, glückliches Kind siehe
liebreich schimmern zwei gütige Sterne der
wachenden Liebe hernieder, schlafe, schlafe
du glückliches Kind, umsungen vom Liede
der Mutterliebe . . . Wehend theilt sich der
grüne Schleier; wie eine Wolke umhüllt er
ein Weib. Das naht mit schwebend langsamem
Schritt. – Bist du das Glück, Weib, bist du
die Liebe? . . . Selige Milde strömt aus den
blauen, himmlisch gütigen Augen mir lösend
ins Herz . . . Bist du die Liebe, Weib? . . .
Wie es klingt und duftet . . . Was hebt mich
empor? Ein Quillen und Schwellen in mir:
süssen Singen, ferne nahe; Geigen schwirren,
lang aussäuselnd; Blüthen schaukeln herab
durch warme wogende Düfte, - ah, der
Athem der Frau mir nahe. Ihre Blicke strömen
wie heisse Fluthen glühend mir ins Herz, -
ein Kuss auf meinen bebenden Lippen . . .
Bist du die Liebe, Weib?
 
Da klingt’s wie Wiegenliedsang so weich,
beruhigend, seliger Wehmuth voll von den
Lippen der Frau: „Vergehe im Traum, schlaf
ein im Tod, unruhiges Kind: schlafe, schlafe,
mein Kind im Tod, siehe die Liebe lebt.“

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Rabenflug
 

 

Mattheller Wintertag. Wie goldene Bronce
Liegt auf dem Schnee der Sonne schwacher Schein.
Das Leben schläft in träumender Agonie.
War Frühling einst? In dieser grauen Luft
Hat farbiges Falterschwingenspiel geweht
Und Blumendüften? Wo das kalte Weiss
Starr liegt und eben, wogte Maiengrün,
Von buntem Blumensternenschmelz durchflockt?
Wie ist es still geworden, todesahnungsstill .  .  .
Der Park ist offen. Niemand trat durchs Thor.
So einsam ist’s, als wär’s die Todteninsel.
Die Marmorgötter auf den hohen Sockeln,
Von Schnee behaubt, stehn da wie Gräbermale;
Die Tannallee, schnurgrad hinausgezogen
Vom weissen Schloss bis an die Mauerthürme,
Ist eine schwarze, steife Leichengarde,
In Reih’ und Glied zum Trauern kommandirt. .
Von jedem Schritte knistert, wie in Schmerz, der Schnee
Mein Hauch dampft aus in grauen Nebelwölkchen.
Bin ich allein das Leben in dem Tod?
Mein warmes Herz, du nimmer müder Quell
Voll rothen, heissen Lebensweines, ströme
Die Purpurwogen voller Liebe aus.
Giess aus durch meinen Leib die Fluth der Liebe,
Denn leben will ich, heiss in Liebe leben!
Wo ist die Bank, da die Syringentrauben
Violenblau aus dunklem Laube winkten?
Im hellen Lindgezweig, das drüber dachte,
Barg sich ein Finkenpaar im kleinen Nest,
Ein Marmorfaun auf rothem Porphyrsitze
Liess sich die Liebe einer kleinen Nymphe,
Die eng sich schmiegte seinem feisten Leib,
Mit Grinsen wohlthun . . . Suchend geh’ ich schneller
Und finde meine Laube. – Armer Faun!
Die kalte Flockenmütze sitzt ihm schief,
Sein armes Nymphchen ist ihm schier verdeckt,
Ihr Schmiegen sieht mir gar nicht mehr wie Liebe,
Ach sieht nur noch wie bittres Frieren aus.
Das Finkenpaar? Ein alter Rabe sitzt
Im krummen Knorrgeäst der kahlen Linde
Und presst die Flügel an den kalten Balg.
Du schwarzer Leichenbitter, kannst du sagen,
Wo jetzt die Liebe weilt? Er hebt die Flügel,
Und krächzend, schwanken Fluges, schwebt er fort
Und fliegt zur Stadt. Schnell bin ich nachgegangen
Der Richtung seines Flug’s. Und sollt’ man’s glauben?
Ich fand auf dieses alten Raben Weg
Ein kleines Haus, darin die Liebe wohnt.

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Innocentia
(Nach Franz Stucks Gemälde)

 

Der klare Blick gradaus, weit in Welt,
Und eine Welt in diesem klaren Blicke:
Da ruht die Liebe und der Schmerz im Traum,
Und Schönheit schlägt die Wogen drüber her
Wie Frühlingswind. Der schlanke Lilienstengel
In weisser Hand ragt unbewegt und heilig.
 
Die Augen schloss ich, und dasselbe Bild
Sah meine Seele, ganz denselben Blick,
So voller Reinheit, Schöne und voll Liebe,
Doch statt des Lilienstengels ruht im Arm
Ein schlafendes Bambino. Mutterunschuld!
 
Die Welt schien mir an diesem Tage schön.


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Abend


 

Die grauen Geierfittiche der Nacht
Rauschen über den See.
In seinen erzenen Fängern hält der Riesenvogel
Die Leiche des Tages.
Eine Blutspur hinter ihm her
Wellt nach Westen.
Die schwarzen Augen des Waldes
Heben die Nadelwimpern
Und starren stumm
Dem Fluge des Räubers nach,
Dem eine Schaar verdrossener Schatten folgt.
Vom Himmel herunter
In frostigen Winden
Haucht ein Gedanke:
Auf schwarzen Schwingen
Schwebt alles Leben
Schweigend
In das Thal des Todes.

 
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