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Literatur





Gedichte
Der Rauch der Opfer
Ein Frauenbuch zum Kriege 1916
Eleonore Kalkowska

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Den bangenden Frauen
und den trauernden Frauen
zu eigen

Als jäh der Blitz in meine Krone fuhr,
Da fielen von mir alle Blätter, Blumen,
Wie bei der Schur
Vin dem betroffenen und entsetzten Lamm,
Der weißen Wolle leichte Wolkenkrumen.
Ich ward ein ausgebrannt, gehöhlter Stamm.
Nicht mehr. Und Tropfen quollen auf, benetzten
Den Schaft, den tief in seinem Mark verletzten.
 
Doch in mir brannt‘ noch das Gefühl der Leere.
Da sah ich um mich. Und da war manch Leid,
Das irrt‘ umher und trug ein heiß Begehren
Nach Unterschlupf. So öffnet‘ ich mich weit,
Und höhlt‘ mich mehr noch aus zur bloßen Rinde,
Daß alles Leid in mir die Heimat finde.
 
So gingen in mich ein Leid, Schmerz und Grauen
Und Tränenflut von viel Millionen Frauen
Und bleichen Munds gestammeltes Brevier;
Ich ward das Ohr und ward der Herold-Rufer,
Ich ward das Flußbett, und ich ward die Ufer,
Des Geistes und des Stromes: Wir.
 
Schwill auf, schwill auf, mein Strom, und künde
Dein brausend Lied. Mit deinem breiten Lauf
Befruchte die verdorrten Seelengründe,
Nimm Tränen auf, nimm Qual und Kampf und Leid -
Und münde
Sie alle, alle in die Ewigkeit.

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Fragt nicht: warum?           
Bleibt stumm
Bleibt groß!

Der heiße Sommer lag, gleich einem Tier,      
In brünstiger Umarmung auf der Erde,

Und alles atmet Glut und süße Gier . . .
 
. . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . 
Nur manchmal – nachts – erschauerten die Pferde.

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Da kam der Tag . . . Tief in der Erde Schoß
Begann ein Beben, Klopfen, Drängen, Stampfen,
Die Erde wankte und begann zu dampfen
Und lauschte in sich selber atemlos . . .
Und fühlte: wie in ihr das Ungeheuer
Den lästigen Schlaf verstieß, und riesengroß
Emporreckt seinen Leib aus Blut und Feuer,
Bis er mit heißem Druck das Land umwand,
Und sah, wie ihrer frohgefüllten Scheuer
Kornschwere Garben sanken in den Brand.

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Durch alles Land   
Die Glocken hallten,
Trafen uns Frauen
In allen Gauen
Bei friedlichem Walten 
Trafen uns mitten ins Herz.
 
Und das Herz, getroffen,
Brach auf als Wunde
Und füllt die Stunde
Mit langsamem Sickern schwerdunkeln Bluts.
Und als es geronnen,
Da flog’s in die Sonnen,
Und als schwarzer Fleck für ewig dort ruth’s.

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Durch strahlende Straßen, in langen Zügen,
Flutet das Leben mit stolzer Gebärde  
Flutet hinaus in den Tod.
 
Und ist doch einst, wie aus kostbaren Krügen,
Aus uns hinausgeströmt auf die Erde
In Stunden der seligsten Not . . .
 
Und wir stehen dabei und können’s nicht wenden,
Wir stehen mit fest gefalteten Händen,
Daß der Schmerz in uns bleibt wie im Kreis.
 
Wir stehen, die Hände zusammengeschlagen
Wie im Gebet:
Gott, hilf es tragen!

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Liebe und Tod, zwei ungleiche Zecher,   
Kreuzen die randgefüllten Becher,
Trinken mit dunklem, mit schwerem Saft:
Brüderschaft.
 
Liebe und Tod rücken dicht zusammen;
Liebe leiht sich vom Tod neue Flammen,
Tod leiht sich von der Liebe rauschendes Rot;
Wachsen aneinander: Liebe und Tod.

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Nach Größe ruft die Zeit
Hört ihr den Ruf?

Er stürzt vom Berg herab zu Tal,
Wie losgelassner Wasser Strahl,
Wie funkensprühnder Pferdehuf!
Hört ihr den Ruf?
Macht euch bereit!
Nach Größe ruft die Zeit.
 
War’n nicht wir Frauen immer schon das Ohr
Für jeden starken Ruf der Neuverkündung,
Nicht jeder Flamme aufgetanes Rohr,
Nicht jeden jungen Stromes willige Mündung?
Und nahmen wir nicht Most, noch eh er gor,
Oft froher Hoffnung voll in uns hinein,
Bis in uns seine Trübe sich verlor,
Bis daß er ward zum Wundervater Wein?!
Hört ihr den Ruft der Zeit?
Macht euch bereit!
 
Nach Größe ruft die Zeit.
Hört ihr den Ruf?
Macht euch bereit!
Spannt euch so wie die Klinge vor dem Stoß!
Fragt nicht:warum?
Bleibt stumm,
Bleibt groß!
Laßt hinter euch der frühen Tage Zwerge,
Spannt euch zum Turm, spannt euch zum Berge,
Zum Höhnwegweiser für die künftige Zeit.
Hört ihr den Ruf?
Macht eich bereit!

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Vielleicht nie wieder . . .

O letzte Nacht, die er zuhaus verbringt,
Geschützt von unsrer Liebe breitem Dache!
Wie eine Woge hebt sich, schwebt und sinkt
Sein Atem in die Nacht. Wir halten Wache.
 
Und sehn ihn an. Das Auge wird zum Mund
Und trinkt die Züge, alle Zeichen, Narben
Und Schatten. Um dereinst, selbst todeswund,
Nach diesem Bild vergebens nicht zu darben.
 
Die samtne Nacht quillt durch das offne Fenster
Und grüßt mit einem flügelzarten Wind;
Das weiße Bett steht fester und begrenzter
Im Dunkel, das wie lautlos Wasser rinnt.
 
Wie möchten wir im Dunkel ewig kauern!
Und in uns denkt’s: Wird erst die Erde fahl,
Schleicht sich der Morgen scheu durch unsre Mauern,
Dann . . . und wir rufen Gott in tiefster Qual:
 
„Der du die Erd zur Sonne ziehen läßt,
Beschenk sie heut mit andrem Wind und Segeln,
Und nagle mit den hellen Sternennägeln
Den dunklen Mantel an den Himmel fest!
 
Halt auf der Zeiten Rad, das gräßlich surrt!
Du nahmst den Isaak vom Opferblocke,
Eh ihm vom Haupt gefallen eine Locke,
Da Abraham nicht gegen dich gemurrt.
 
Wir trugen alles still jahraus, jahrein;
Doch diesen Kelch nimm, Herr, von unsrer Lippe,
Wir lagen lächelnd nie in einer Krippe
Und nie umwebte uns der Glorienschein . . .
 
Schwach sind wir, elend, Herr, und voll Gebrechen;
Drum rette uns!“ Da, wie wir’s schluchzend sprechen,
Wälzt sich von Osten grau das Ungeheuer,
Von seinem Rücken Blut in Strömen rinnt,
Und speit ins Antlitz uns sein schwelend Feuer,
Der Tag, der Tag, der letzte Tag beginnt!

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