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Literatur





Gedichte
Der Rauch der Opfer
Ein Frauenbuch zum Kriege 1916
Eleonore Kalkowska

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Den bangenden Frauen
und den trauernden Frauen
zu eigen



Aber leise, kaum daß wir es selber wissen,
Beginnt uns das Atmen nun Freude zu spenden,

Und wir sitzen in Sonne, gekost von den linden
Jung-Frühlingswinden,
Wie von lieben, vertrauten, trostreichen Händen;
Und die Seele beginnt leis ihr Segel zu hissen,
Ganz schüchtern, und läßt sich zur Hoffnung tragen
Von den heiligen Erdauferstehungstagen.
 
Und die Sonne strömt Glut:
In die junge Birke, die Weide, die Kastanie, die Linde,
In die Vögel und ihre leis zirpende Brut,
Und in unsrer Adern blasses Gewinde.
 
Und die Erde läßt ihren Saft strotzend steigen
In den Gräsern, den Stämmen, den Ästen und Zweigen,
Und die Pflanzen können den Saft nicht mehr halten,
Sie brechen auf:
In farbigen Blumen von tausend Gestalten.
 
Ganz sacht schließt in uns der Schmerz seine Lider,
Und in der Menschenpflanze ragenden Schaft
Strömt herauf der heilige Erdensaft,
Strömt die Sonne hernieder.
 
Und uns durchrieselt ein seliger Schauer —
Weltatem strömt durch uns und trägt uns weit fort,
Und es eint sich mit dem All unser Sein, unsre Trauer
Zum vollen Akkord.                    

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Frühling lockert Zärtlichkeiten
Jung und stark, in unsren Seelen,
Und sie drängen in die Weite,
Und sie flattern scheu umher —
Vögel, die ihr Nest verfehlen.
 
Und in unsren Händen wachsen
Liebkosungen ungezählt,
Langgestielte zarte Nelken,
Und verwelken —
Blumen, denen Sonne fehlt.
 
Jung und stark erwacht ein Strahlen
Manchmal doch in unserm Blick,
Und zerschellt jeh an den Klippen
Schwarzen Nichts. Und sinkt zurück
In sich selbst. Und unsre Lippen
Beben manchmal, zucken manchmal,
So als ob sie küssen müßten . . .
Und erstarren, schamverworren,
Und verdorren —
Mitten in des Frühlings Glück.     

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Ach, daß du wieder da bist. Dieses Eine –
Und ist doch alles – unserm Mund entquillt
Wie sprudelnd Wasser, wie die erste Blume
Nach Regen dem verdürstenden Gefild.
 
Im schmalen Brunnen ruht ein klares Wasser,
Die ganze große Sonne hat drin Platz,
So unser tausendstrahlig Glückumfangen
In diesem einzigen kurzen Freudensatz:
Ach, daß du wieder da bist!

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Sommer kam, die Fenster aufzureißen,
Und die Zimmer sind nun voll von weißen,
Schlanken Flügeln, wie bereit
Aufzufliegen in die heiße,
Sonnenfrohe Sommerszeit! 

Warmes Leben quillt durch harte Quadern,
Und ein jedes Haus
Ist nur eine der unzähligen Adern,
Von dem gleichen Blut durchbraust;
Und wir selbst sind kleine, blasse Venen,
Die sich heiß dem Puls entgegensehnen.
 
Und der Vögel zage Liebsbitte
Und die Hast und Last beschwerter Schritte,
Duft und Windessäuseln in den Blättern,
Bange Frage, frohes Siegesschmettern,
Ein verirrtes Wort, ein Trambahnschwirren,
Ein erinnerungschmerzlich Sporenklirren —
Und der Duft der üppigen, verfrühten
Sommerblüten
Sinkt in unser selbstversunknes Brüten . . .
 
Und dort fern in dämmergrünen Weiten,
Tief von Gärten eingesponnen,
Ganz versonnen,
Tanzt mit leichtem Schwung ein Bogen
Auf den sanft gespannten Saiten
Seiner Geige . . .
 
Schluchzend kommt das Lied gezogen,
Taumelt durch der Stunde Leere,
Wiegt am Wege Blüte, Beere,
Jedes Blatt am Baum . . .
Nimmt uns auf in seinen Reigen,
Und wir fliegen, und wir steigen,
— Frei von aller Erdenschwere,
Von dem blutigen Daseinstraum —
Sonnenstäubchen, durch den Raum.

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In der Sommerabendluft,
Sind die Stimmen alle weich,

Klangbeschwingt und faltergleich,
Und sie taumeln , wie der Duft
Aus den schwerbeblühten Zweigen,
Durch die Nacht in leichtem Reigen . . .
Stimme spricht der Stimme: „flieg!“
Und versunken ist der Krieg.
 
Taubeperlt, taubeschwert
Und von einem matten Glanze,
Wie die Blätter, die zum Tanze
Heiß der Abendwind begehrt,
Sind die Augen, sind die Stimmen,
Sorge, Tag und Krieg verschwimmen
In der Ferne, in der Nacht . . .
 
Von Balkonen, Bänken, Gärten
Flirrt das Plaudern sonnensatt . . .
Plötzlich, einer Stimme Kreischen,
Wie gebieterisches Heischen:
„Kriegszeitung und Abendblatt!“
In den Augen ein Erhärten,
Und die Stimmen – scharfe Gerten –
Zucken, schwirren durch die Stadt.
 
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Die Trauerfenster gefallener Recken
Als Grabgirlande durchs Land sich erstrecken

 


Wir gehn durch der Straßen gedehnte Trichter,
— Ist es nicht seltsam, wie Enge zur Weite wird —
Um uns fallen und steigen Gesichter,
Taumeln verirrt . . .
Und wir gehn ziellos, gleich Blättern, gleich Herbstwind-
                                                     verwehten,
Wir gehen mit kurzen und harten Schritten,
Als könnten das Zuviel, das wir gelitten,
Wir von uns fort, in die Erde, treten.
 
Und uns ist, als müßt irgendwo dahinten
Schutz, Ruhe, Anhalt und Ende liegen,
Dort fern, wo gleich Freunden, gleich wohlgesinnten,
Die Häuser sich dicht aneinanderschmiegen.
Und wir gehen scheu, gedrückt an die Mauerwände,
Doch der Raum und die Leere vor uns ohne Ende . . .
 
Und der Blick klimmt bis hoch an die Häuserränder.
Trauer haben viel Fenster angelegt,
Der Gardinen frohe Windtanzgewänder
Hat der große Sturm mit sich fortgefegt,
Und den schwarzen Raum kommt kein Antlitz zu modeln,
Düster starrt er hinein in der Straße Brodeln;
Die Trauerfenster gefallener Recken
Als Grabgirlande durchs Land sich erstrecken.
 
Aber hier und da fängt mit roten Zetteln
Das Leben frech an, um den Vorrang zu betteln,
Und die feiste Schrift drauf schreit laut: Zu vermieten!
Und von ihrem rechtmäßigen Platze verdrängt,
Hat die Trauer sich in die Straße gesenkt,
Kommt mit schüchterner Geste sich uns zu bieten,
Und wir nehmen die fremde Trauer noch mit.
 
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Eine ist — ihre kindlich zarte Gestalt
Ist vom Witwenkleid und Schleier umwallt,
Ihre Lippen sind rot, zuckend und schmal,
Wie ein Wundrand, den jäh ein Dolchstoß gerissen,
Doch bebt manchmal um sie eines Lächelns Strahl,
Wie bei Kindern, die um ein Geheimnis wissen.
 
Ihre Augen sind ganz durchsichtig und klar,
Wie ausgewaschen vom vielen Weinen,
Und man sieht durch sie durch, alles Hehles bar
Ihre Seele scheinen,
Und zu unterst, tief leuchtend, liegt auf dem Grund
Das gleiche Lächeln wie um den Mund.
 
Als er tödlich verwundet lag, frugen sie ihn
Nach seinem Wunsche. – „Ein Blatt!“ – Und er schrieb
 O des heiligen Quells, der die Kraft ihm geliehn —
Fünf Worte: „Ich hab dich so lieb“ . . .
 
Seinem Zettel des Hauptmanns Brief war gesellt,
Worte wie Geigenton zart:
„Gut, tüchtig, lieb und brav“ und „Andenken bewahrt“
Und ein Trompetenstoß drunter: „ein Held!“
 
Und als sie den ersten Schmerz von sich geweint,
Stieg ein Lächeln empor und verblieb,
Und nun flüstert’s und schlucht’s und oft  jubelt es gar:
„Ein Held und hatte mich lieb!“        

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