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Literatur





Gedichte
Der Rauch der Opfer
Ein Frauenbuch zum Kriege 1916
Eleonore Kalkowska

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Den bangenden Frauen
und den trauernden Frauen
zu eigen



Eine steht, kaum atmend, in scheuer Gier
Vor der Türe des Zimmers, das ihm gehört.
Die Stille dahinter brütet, wie ein unwirsches Tier,
Das man oft schon in seiner Ruhe gestört.
Endlich drückt sie die Klinke. Mit leichtem Wanken
Weicht die Tür zurück. Das Tier reckt sich hoch,
Wirft ihr auf die Schultern die lastenden Pranken,
Ganz dicht am Hals.
 
Und die Dinge, die er so oft berührt,
Die er geliebt und zum Licht verführt,
Das Bett, der Tisch, die Stühle, der Ständer,
Die gebrauchte Feder, der halbabgerissene Kalender
Wachen auf, rächen ihr Abseitsliegen,
Kommen sich an sie sie zu drängen, zu schmiegen.
Stürzen ihre Seele hinein,
Saugen sich fest, als sollt sie verbluten,
In den Hals gräbt das Tier fest die Pranken ein . . .
 
Da packt sie des Fensters weißstarrend Gestelle,
Reißt es auf; Taglärm taumelt über die Schwelle,
Luft kommt sie, gesegnet, zu überfluten,
Gesang. In des Abends entgleitenden Schimmer
Ziehen Rekruten.
 
Und sie lauscht. Lauscht mit leise verlöschendem Blick . . .
Und hinter ihr, im fröstelnden Zimmer,
Sinken lautlos die Dinge in sich zurück.

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Da draußen, wo die Häuser inmitten der magern Junggärten, wie Tiere, die ihre Herde
Freudig entsprungen, im Grünen sich lagern,
Pflegt eine, — im Wind schwarz ihr Schleier weht —
Mit unendlicher Sorgfalt und zarter Gebärde
Ein blumenbesätes, schmal-hohes Beet,
Und neigt sich und liebkost mit Andacht die Erde
Und lächelt geheim, wenn ein Wind niedergeht:
 
„Erde pocht an Erde und trägt still-bereit
Bis zu dir meine bebende Zärtlichkeit;
Wind atmet in Wind und schmiegt um dein Grab
Den Duft all der Blumen, die ich dir gab.“

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Zwei Frauen. Sie haben sich früher gekannt. 
Ein Zufall. Sie reichen sich wieder die Hand.
 
Ein Zögern: „Ist’s wahr, dein Mann an der Front,
Freiwillig, sage, wie hast du’s gekonnt?“
 
Ein Lächeln. „Wir sind aus dem gleichen Holz,
Wir zwei. Ich fühlt‘, daß er anders nicht konnt,
So ließ ich ihn ziehen ­— mit freudigem Stolz
An die Front.“
 
„Ja, aber wenn er nun draußen fällt,
Was wird dann mit dir – allein in der Welt?“
 
Ein tiefes Lächeln das Antlitz durchsonnt.
„Leben trennt, Tod eint. Der gleiche Stich,
Die gleiche Kugel für ihn und mich,
An der Front.“

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Doch hat Einer der Brand, der ringsum entfacht,
Erfüllung ihres Schicksals gebracht.
 
Schnell kam es, wie schwirrender Kugelflug,
Des Alltags leeres Gefäß zerschlug.
 
Einquartierung. Im Mai. Auf eine Nacht,
Irgendwo, in der Welt. Nahe der Schlacht.
 
Er und sie. Sonst nichts. Sie zwei. Er und sie.
Und ein Feuer, das Himmel und Erde spie.
 
Und eine Hand, die sie hart, die sie degenscharf,
Ohne Widerred ineinander warf.
 
Und die Stunden der Nacht schlagen eilig und stumm
Feurige Büsche rings um sie herum.
 
Die erste Kugel, in erster Schlacht,
Hat ihm seines Schicksals Erfüllung gebracht.
 
Sie aber lebt weiter im feurigen Ring,
Damit sie für immer ihr Schicksal umfing.

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Aber eine — ihr Antlitz ist dämmerweit —
Gießt leise in eines Augenpaars Locken,
Mit kaum hörbarer Stimme und währendem Stocken,
Ein seltsames, strahlendurchflochtenes Leid:
 
Weißt du, all das unausgelebte Leben,
Das dort auf dem Feld, in den blutigen Gräben
Hinausgeströmt aus zuckenden Wunden
Ins All, kommt in den wallenden Stunden
Der Dämmerung flügelnd mich zu umschweben;
Und ich kann’s nicht beschwören:
Ich muß ihm gehören.
 
Und eine Hand zwingt mich nieder und zwingt mich zu
                                                                               lauschen
Hinaus und hinein,
Und da ist ein Raunen, da ist ein Rauschen,
Das fremd meinem Sein;
Und die Nebelgestalten, da draußen, sich bauschen,
Sinken mit mattem Silbergeflimmer
Ins Zimmer,
Bringen Geschenke voll trübem Gedenken
Mit blutigem Schein . . .
 
Bringen Kraft, fremdem Wesen entquollen,
Mir angeschwemmt,
Bringen ein Leben-nicht-lassen-wollen,
Das mir sonst fremd,
Bringen ein heißes Umfangen von Dingen,
Die kaum ich geahnt,
Und ein Tasten und Suchen und Vorwärtsdringen
Auf Wegen, die Fremde gebahnt.
 
Und die Nacht, die jählings vom Blitze zerrissen,
Durchströmt meinen Reichtum ein Schauer der Scham,
Daß mein Sein, ganz ohne mein Wollen und Wissen,
Vom Schlachtfeld ein fremdes Eigentum nahm.

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Sturm tat ihr wohl!

Der einen, der jungen, der festen, der herben
Kam er die Erdoberfläche zu kerben,
Zerrt‘ die Bäume heraus und die Nester hohl,
Wie ward ihr wohl!
In ihr erwacht urweltlicher Gesang
Längst verblichner Geschlechter,
Und heißer Kampf und Vernichtungsdrang
Durchtobt sie wie Siegesgelächter.
 
Krieg kam übers Land!
Wie vertausendfacht da die Gesänge erwachten
Wie sah sie auf die zarten Glieder, die Hand
Herab mit herbem Verachten.
Wie lauscht sie da draußen den kampffreudigen Rhythmen,
Dann, schnell überdacht,
Ging sie dem Roten Kreuz sich zu widmen,
Doch ganz nahe der Schlacht.
 
Schlachthöllenspuk gellt!
Klumpen, aus Leibern und Erde gemischt,
Spritzen hoch in die Luft, wie purpurner Gischt;
Bajonette und Säbel schlagen die Scharten,
Aber sie, außer Schußweite, fern im Zelt
Sicher gestellt,
Darf nur die Verwundeten warten.
 
Kühl versieht sie ihr Amt,
Ohne unnützes Mildevergeuden;
Ist sie’s, die zum letzten Mut ihn entflammt
Mit brausenden Worten von heldischem Kampf
Und von Walhallas Freuden.

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Ihr junges Antlitz ist so vom Schmerz zerwühlt
Als hätte ein Tonbild, da kaum es vollbracht,
Eine reißende Sturzwelle überspült
Und zunichte gemacht.
 
Ihre Augen sind aufgerissene Straßen,
Grundlos und in ewiges Dunkel getaucht,
Als ob Sonne  und Mond ihrer ewig vergaßen
Und nur Schnee und Nebel in ihnen geraucht.
 
Und dem, der an ihr vorübergeht,
Wird sein eignes Gesicht zum Spott,
Und es entflieht seinen Lippen wie Stoßgebet:
Ihr helfe Gott! 

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Sie bat um die Wahrheit. Solch hilflos Flehn
Sah er nie. Da konnt er nicht widerstehn,
Und sagte es ihr:
 
Drei Stunden lag er in Grauen und Not,
Drei Stunden wußte er seinen Tod
Und rief nach ihr . . .
 
Und griff in die Luft und griff in den Wind
Und rief wie ein krankes, gequältes Kind:
„Mutter, Mutter, hilf!“
 
Und rief— schon lag auf den Augen der Flor —
Zwischen Blut, zwischen Schaum noch rang sich’s hervor:
„Mutter, Mutter, hilf!“
 
Und sie war fern, war fremd seiner Qual,
Und wußt’s nicht einmal . . .
 
.  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .
 
Darüber  zerbrach sie gleich dürrem Schilf.

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