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Gedichte
Der Rauch der Opfer
Ein Frauenbuch zum Kriege 1916
Eleonore
Kalkowska
____________________________________
Den bangenden Frauen
und den trauernden Frauen
zu eigen
Eine steht,
kaum atmend, in scheuer Gier
Vor
der Türe des Zimmers, das ihm gehört.
Die
Stille dahinter brütet, wie ein unwirsches Tier,
Das
man oft schon in seiner Ruhe gestört.
Endlich
drückt sie die Klinke. Mit leichtem Wanken
Weicht
die Tür zurück. Das Tier reckt sich hoch,
Wirft
ihr auf die Schultern die lastenden Pranken,
Ganz
dicht am Hals.
Und
die Dinge, die er so oft berührt,
Die
er geliebt und zum Licht verführt,
Das
Bett, der Tisch, die Stühle, der Ständer,
Die
gebrauchte Feder, der halbabgerissene Kalender
Wachen
auf, rächen ihr Abseitsliegen,
Kommen
sich an sie sie zu drängen, zu schmiegen.
Stürzen
ihre Seele hinein,
Saugen
sich fest, als sollt sie verbluten,
In
den Hals gräbt das Tier fest die Pranken ein . . .
Da
packt sie des Fensters weißstarrend Gestelle,
Reißt
es auf; Taglärm taumelt über die Schwelle,
Luft
kommt sie, gesegnet, zu überfluten,
Gesang.
In des Abends entgleitenden Schimmer
Ziehen
Rekruten.
Und
sie lauscht. Lauscht mit leise verlöschendem Blick . . .
Und
hinter ihr, im fröstelnden Zimmer,
Sinken
lautlos die Dinge in
sich zurück.
zurück
Da
draußen, wo
die Häuser inmitten der magern Junggärten,
wie Tiere, die ihre Herde
Freudig
entsprungen, im Grünen sich lagern,
Pflegt
eine, — im Wind schwarz ihr Schleier weht —
Mit
unendlicher Sorgfalt und zarter Gebärde
Ein
blumenbesätes, schmal-hohes Beet,
Und
neigt sich und liebkost mit Andacht die Erde
Und
lächelt geheim, wenn ein Wind niedergeht:
„Erde
pocht an Erde und trägt still-bereit
Bis
zu dir meine bebende Zärtlichkeit;
Wind
atmet in Wind und schmiegt um dein Grab
Den
Duft all der Blumen, die ich dir gab.“
zurück
Zwei Frauen.
Sie haben sich früher gekannt.
Ein
Zufall. Sie reichen sich wieder die Hand.
Ein
Zögern: „Ist’s wahr, dein Mann an der Front,
Freiwillig,
sage, wie hast du’s gekonnt?“
Ein
Lächeln. „Wir sind aus dem gleichen Holz,
Wir
zwei. Ich fühlt‘, daß er anders nicht konnt,
So
ließ ich ihn ziehen — mit freudigem Stolz
An
die Front.“
„Ja,
aber wenn er nun draußen fällt,
Was
wird dann mit dir – allein in der Welt?“
Ein
tiefes Lächeln das Antlitz durchsonnt.
„Leben
trennt, Tod eint. Der gleiche Stich,
Die
gleiche Kugel für ihn und mich,
An der Front.“
zurück
Doch hat
Einer der Brand,
der ringsum entfacht,
Erfüllung
ihres Schicksals gebracht.
Schnell
kam es, wie schwirrender Kugelflug,
Des
Alltags leeres Gefäß zerschlug.
Einquartierung.
Im Mai. Auf eine Nacht,
Irgendwo,
in der Welt. Nahe der Schlacht.
Er
und sie. Sonst nichts. Sie zwei. Er und sie.
Und
ein Feuer, das Himmel und Erde spie.
Und
eine Hand, die sie hart, die sie degenscharf,
Ohne
Widerred ineinander warf.
Und
die Stunden der Nacht schlagen eilig und stumm
Feurige
Büsche rings um sie herum.
Die
erste Kugel, in erster Schlacht,
Hat
ihm seines Schicksals Erfüllung gebracht.
Sie
aber lebt weiter im feurigen Ring,
Damit
sie für immer ihr Schicksal umfing.
zurück
Aber eine
— ihr Antlitz ist dämmerweit —
Gießt
leise in eines Augenpaars Locken,
Mit
kaum hörbarer Stimme und währendem Stocken,
Ein
seltsames, strahlendurchflochtenes Leid:
Weißt
du, all das unausgelebte Leben,
Das
dort auf dem Feld, in den blutigen Gräben
Hinausgeströmt
aus zuckenden Wunden
Ins
All, kommt in den wallenden Stunden
Der
Dämmerung flügelnd mich zu umschweben;
Und
ich kann’s nicht beschwören:
Ich
muß ihm gehören.
Und
eine Hand zwingt mich nieder und zwingt mich zu
lauschen
Hinaus
und hinein,
Und
da ist ein Raunen, da ist ein Rauschen,
Das
fremd meinem Sein;
Und
die Nebelgestalten, da draußen, sich bauschen,
Sinken
mit mattem Silbergeflimmer
Ins
Zimmer,
Bringen
Geschenke voll trübem Gedenken
Mit
blutigem Schein . . .
Bringen
Kraft, fremdem Wesen entquollen,
Mir
angeschwemmt,
Bringen
ein Leben-nicht-lassen-wollen,
Das
mir sonst fremd,
Bringen
ein heißes Umfangen von Dingen,
Die
kaum ich geahnt,
Und
ein Tasten und Suchen und Vorwärtsdringen
Auf
Wegen, die Fremde gebahnt.
Und
die Nacht, die jählings vom Blitze zerrissen,
Durchströmt
meinen Reichtum ein Schauer der Scham,
Daß
mein Sein, ganz ohne mein Wollen und Wissen,
Vom
Schlachtfeld ein fremdes Eigentum nahm.
zurück
Sturm tat ihr wohl!
Der
einen, der jungen, der festen, der herben
Kam
er die Erdoberfläche zu kerben,
Zerrt‘
die Bäume heraus und die Nester hohl,
Wie
ward ihr wohl!
In
ihr erwacht urweltlicher Gesang
Längst
verblichner Geschlechter,
Und
heißer Kampf und Vernichtungsdrang
Durchtobt
sie wie Siegesgelächter.
Krieg
kam übers Land!
Wie
vertausendfacht da die Gesänge erwachten
Wie
sah sie auf die zarten Glieder, die Hand
Herab
mit herbem Verachten.
Wie
lauscht sie da draußen den kampffreudigen Rhythmen,
Dann,
schnell überdacht,
Ging
sie dem Roten Kreuz sich zu widmen,
Doch
ganz nahe der Schlacht.
Schlachthöllenspuk
gellt!
Klumpen,
aus Leibern und Erde gemischt,
Spritzen
hoch in die Luft, wie purpurner Gischt;
Bajonette
und Säbel schlagen die Scharten,
Aber
sie, außer Schußweite, fern im Zelt
Sicher
gestellt,
Darf
nur die Verwundeten warten.
Kühl
versieht sie ihr Amt,
Ohne
unnützes Mildevergeuden;
Ist
sie’s, die zum letzten Mut ihn entflammt
Mit
brausenden Worten von heldischem Kampf
Und
von Walhallas Freuden.
zurück
Ihr junges
Antlitz ist so vom Schmerz zerwühlt
Als
hätte ein Tonbild, da kaum es vollbracht,
Eine
reißende Sturzwelle überspült
Und
zunichte gemacht.
Ihre
Augen sind aufgerissene Straßen,
Grundlos
und in ewiges Dunkel getaucht,
Als
ob Sonne und Mond ihrer ewig vergaßen
Und
nur Schnee und Nebel in ihnen geraucht.
Und
dem, der an ihr vorübergeht,
Wird
sein eignes Gesicht zum Spott,
Und
es entflieht seinen Lippen wie Stoßgebet:
Ihr
helfe Gott!
zurück
Sie
bat um die Wahrheit. Solch hilflos Flehn
Sah
er nie. Da konnt er nicht widerstehn,
Und
sagte
es ihr:
Drei
Stunden lag er in Grauen und Not,
Drei
Stunden wußte er seinen Tod
Und
rief nach ihr . . .
Und
griff in die Luft und griff in den Wind
Und
rief wie ein krankes, gequältes Kind:
„Mutter,
Mutter, hilf!“
Und
rief— schon lag auf den Augen der Flor —
Zwischen
Blut, zwischen Schaum noch rang sich’s hervor:
„Mutter,
Mutter, hilf!“
Und
sie war fern, war fremd seiner Qual,
Und
wußt’s nicht einmal . . .
. . .
. .
. .
. .
. .
. .
. .
. .
. .
. .
. .
.
Darüber
zerbrach sie gleich dürrem Schilf.
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