|
|
|
|
|
lifedays-seite
moment
in time |
|
|
Gedichte
Der Rauch der Opfer
Ein Frauenbuch zum Kriege 1916
Eleonore
Kalkowska
____________________________________
Den bangenden Frauen
und den trauernden Frauen
zu eigen
Eeine
schweigt seitdem sie die Nachricht empfing . . .
Hemmungslos
stürzen durch uns wie durch Rohre,
Wälzen
sich in die Weite die Brände
Flammender
Not.
Keine
ist Anfang und keine ist Ende,
Über uns
alle strömt gleich fort die Flut
Des
Schmerzes, wie über flaches Gelände
Der
Wassertod.
Keine
ist Anfang und keine ist Ende!
Heulend
durchbraust uns wie Sturm das Graun,
Und ein
Windstoß fegt hoch empor alle Hände
Ins Himmelblaun!
zurück
Über das
wunde, zerklüftete Land
Schauert
ein Ruf. Wie ein sturmflügelnd Band,
Aus
tausend blutroten Fäden geknüpft,
Zuckt
es und gleitet und wirbelt und schlüpft,
Steigt
starr in den Himmel und fällt in sich zusammen,
Wie
tote Flammen,
Und
erwacht von geheimen Schlägen geschwellt . . .
Über
die wunde, zerklüftete Welt
Schauert
ein Ruf.
Es
ruft das Blut,
Das
junge gebäumte, mähnenschüttelnde Blut,
Und
es ruft grauer Stunden wimmernde Brut,
Es
ruft irren Schmerzes blühende Narretei,
Und
der Angstschweiß der Einsamkeit löst sich als Schrei
Und
ruft, ruft. . . .
Wann
hört je die Welt solch fragendes Rufen?
Es
taumelt dahin über Straßen und Stufen,
Stürzt
in Schule und Hörsaal und Arbeitsstätte,
Durchfegt
leerer Zimmer erblindete Kette,
Klirrt
an den Gläsern verlassner Gastmähler,
Fliegt
spähend über Berge und Täler,
Betastet
Schiffswracke, geborstene Schwingen
Stolzer
Luftvögel, und flieht zu den Dingen,
Den
kleinen, herrenlos wordenen Dingen,
Hängt
sich an zerfallende Kleider als Kette
Und
sinkt in die Knie vor einem Bette,
Einem
glatten, leeren, weißblühenden Bette
Im
verlassenen Zimmer . . .
Und
verbrennt die Lippen und wühlenden Hände
Und
schreit nach dem Ende!
Kriecht
durch
der Nacht geöffnetes Tor
Das unaussprechliche
Grauen hervor . . .
zurück
Wer sagte, daß
sie tot sind?
Die Nacht
spricht:
Tot sind
sie, tot, und
alles ist zu Ende!
Fühlt
ihr denn nicht die Leere eurer Hände,
Die
steife, starre Leere, die sich nie,
Niemals
mehr füllen läßt. Fühlt ihr denn nicht
Das
Welken eures schmal gewordnen Mundes,
Der
nie mehr blühende Zärtlichkeiten formt
Und
draus die Worte schwer zur Erde fallen,
Leblos
wie Steine. Und seid ihr nicht alle
Nachtwandelnde
und mondscheinkranke Kinder,
Die
sich längs kalter, feuchter Wände tasten
Und
offne, nie gefüllte Augen haben,
Um
die die reiche Welt vergebens wirbt?
In
eurer Dunkelheit schwingt eine Glocke,
Und
diese Glocke trägt nur einen Ton,
Dumpf
hallt er durch die aufgebrochnen Stunden,
Die
keinen Anfang und kein Ende haben;
Und
ist so wie zwei dürre, schwache Arme,
Die
um ein Leeres in die Luft gespannt,
Tot
. . . tot . . . tot . . .
zurück
Der Tag
spricht:
Wer
sagte, daß sie tot sind?
Ist
der Weltäther denn nicht voll von ihnen,
Fast bis zum Bersten, so wie eine Glocke
Aus
Glas, die durch zu schweren Ton gefüllt?
Und
hat ein Gott die Luft nicht so gestaltet,
Daß
sie bewahrt den Umriß der Entschwundenen,
Und
nur mit mattem Glanze ihn umhüllt?
Wer
sagte, daß sie tot sind?
Seht
ihr sie nicht an eurem weißen Tische
Beim
Abendmahl, in ihren Lieblingssessel
Geschmiegt
und lehnend an der dunklen Wand
Des
Zimmers , , , Dort in eures Bücherschrankes
Lastendem
Schatten, in dem Grell des Spiegels
Aufzuckend
und — so
wie ein Bild gespannt —
In
jeder offnen Türe willigen Rahmen?
Sehr
ihr sie nicht so, daß die Luft ihr streichelt
Und
die Berührung fühlt in leerer Hand? . . .
Wer
sagte, daß sie tot sind?! Seht doch nur,
Wie
alle Flammen windlos sich bewegen,
Die
glatten Wasser dunkle Töne raunen,
Und
Mondlicht durch verschlossene Türen bricht . . .
Wer
sagte, daß sie tot sind?! Glaubt es nicht!
zurück
Sie sind um
uns, wenn morgens flügelschnell
Die
Türen gehen mit schlaferwachtem Knarren
Sie
sind um uns, wenn aufsteigt das Gebell
Der
Hunde an den milchbeladnen Karren.
Sie
sind um uns, wenn aufwacht das Gestampf
Der
lastbeschwerten Tiere in den Gassen;
Sie
sind um uns, wenn leicht sich hebt der Dampf
Aus
den gefüllten, warmen Frühstückstassen.
Sie
sind um uns, wenn lärmfroh das Gemisch
Der
buten Kinder eilig flieht die Schule;
Sie
sitzen mit an unserm Mittagstisch
Und
nehmen Platz auf jedem leeren Stuhle.
Sie
sind um uns, wenn, wie in einem Horn
Ein
langvergessner Ton, in uns ein Lachen
Erklingt.
Und spein uns ihren Groll und Zorn
Ins
Antlitz aus den erdgefüllten Rachen.
Sie
sind um uns, wenn Straße um uns gähnt,
An
Ecken schwindend grüßen sie uns leise,
An
die Laternen stehen sie gelehnt,
Gleichsam
umwogt vom Glorienlichteskreise.
Sie
sind um uns in jedem Stundenschlag,
Sie
schieben vorwärts alles Uhrwerks Räder,
Sie
wandeln Tag in Nacht und Nacht in Tag,
Sie
drängen zwischen Bogen sich und Feder,
Sie
drängen zwischen Zunge sich und Hirn,
Sie
wandeln Wort und Klang in unsern Stimmen,
Sie
drängen sich vor Sonne und Gestirn,
So
daß ihr Licht uns wird zum matten Glimmen.
Sie
sind um uns und werden um uns sein;
Es
werden ihre Wunden ewig bluten
In
unser Leben, und ein roter Schein
Wird
unsern fernsten Tag noch überfluten.
zurück
Wie
ist uns der Tod jetzt vertraut!
Er
stieg von seinem flammenden Rosse,
Er
ward unser Tisch-, unser Bettgenosse
Und
jeden Wortes mitschwingernder Laut.
Es
hat sich der Tod mit dem Leben vermählt,
Zu
innigem Bund und täglichem Schalten;
Kein
Tod, dem rauschendes Leben heut fehlt,
Kein
Leben heut ohne Todeserkalten.
In
uns Lebenden wie unsäglich viel Tod,
Doch
das Leben der Toten ist in uns gedrungen:
Sie
stehen in uns blühend lebensrot,
Und
wir sprechen manchmal mit ihren Zungen.
Leben
und Tod ineinander verschlungen
Wie
Betender Hände. So wie im Brot
Getreide
verschiedenem Korne entsprungen,
Wie
Abendstille und flammendes Rot.
Leben
und Tod, ein einziges Sein,
Wie
See und Welle, wie Mörtel und Stein.
Wer
will die Schwellen des Windes nennen,
Wer
will die Flamme vom Holzscheit trennen?
Wir
Kinder der Eltern: Leben und Tod,
Wir
haben alle Grenzpfähle verloht.
zurück
Und
alle Tage empfangen wir
Totenbesuch,
ungebeten,
Wir
lassen schon immer halb offen die Tür . . .
Wir
halten schon immer Blumen bereit
Aus
duftenden, matt-farbenen Beeten,
Und
ein Licht durchflammt unsre Dämmerzeit . . .
Sie
brauchen nur einzutreten.
zurück
Eh unser
Tag zum Abend
verblaßt,
Kommt
immer zur Totenfeier ein Gast.
Denn
jeden Tag trifft es irgendwen,
Der
uns einmal in die Augen gesehn,
Irgendwie,
irgendwo, irgendwann . . .
Und
jeden Tag kommt solch blasser Schemen,
Und
jeder Tag ist ein Abschiednehmen
Von
etwas, das kaum war und doch jäh zerrann.
zurück
|
lifedays-seite
- moment in time |
|
|
|
|
|
|
|