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Literatur





Gedichte
Der Rauch der Opfer
Ein Frauenbuch zum Kriege 1916
Eleonore Kalkowska

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Den bangenden Frauen
und den trauernden Frauen
zu eigen


Eeine schweigt seitdem sie die Nachricht empfing . . .
Hemmungslos stürzen durch uns wie durch Rohre,
Wälzen sich in die Weite die Brände
Flammender Not.
 
Keine ist Anfang und keine ist Ende,
Über uns alle strömt gleich fort die Flut
Des Schmerzes, wie über flaches Gelände      
Der Wassertod.
 
Keine ist Anfang und keine ist Ende!
Heulend durchbraust uns wie Sturm das Graun,
Und ein Windstoß fegt hoch empor alle Hände
Ins Himmelblaun!

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Über das wunde, zerklüftete Land
Schauert ein Ruf. Wie ein sturmflügelnd Band,
Aus tausend blutroten Fäden geknüpft,
Zuckt es und gleitet und wirbelt und schlüpft,
Steigt starr in den Himmel und fällt in sich zusammen,
Wie tote Flammen,
Und erwacht von geheimen Schlägen geschwellt . . .
Über die wunde, zerklüftete  Welt
Schauert ein Ruf.
 
Es ruft das Blut,
Das junge gebäumte, mähnenschüttelnde Blut,
Und es ruft grauer Stunden wimmernde Brut,
Es ruft irren Schmerzes blühende Narretei,
Und der Angstschweiß der Einsamkeit löst sich als Schrei
Und ruft, ruft.  . . .
 
Wann hört je die Welt solch fragendes Rufen?
Es taumelt dahin über Straßen und Stufen,
Stürzt in Schule und Hörsaal und Arbeitsstätte,
Durchfegt leerer Zimmer erblindete Kette,
Klirrt an den Gläsern verlassner Gastmähler,
Fliegt spähend über Berge und Täler,
Betastet Schiffswracke, geborstene Schwingen
Stolzer Luftvögel, und flieht zu den Dingen,
Den kleinen, herrenlos wordenen Dingen,
Hängt sich an zerfallende Kleider als Kette
Und sinkt in die Knie vor einem Bette,
Einem glatten, leeren, weißblühenden Bette
Im verlassenen Zimmer . . .
Und verbrennt die Lippen und wühlenden Hände
Und schreit nach dem Ende!
       
Kriecht durch der Nacht geöffnetes Tor
Das unaussprechliche Grauen hervor . . .

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Wer sagte, daß sie tot sind?


Die Nacht spricht:
 
Tot sind sie, tot, und alles ist zu Ende!
Fühlt ihr denn nicht die Leere eurer Hände,
Die steife, starre Leere, die sich nie,
Niemals mehr füllen läßt. Fühlt ihr denn nicht
Das Welken eures schmal gewordnen Mundes,
Der nie mehr blühende Zärtlichkeiten formt
Und draus die Worte schwer zur Erde fallen,
Leblos wie Steine. Und seid ihr nicht alle
Nachtwandelnde und mondscheinkranke Kinder,
Die sich längs kalter, feuchter Wände tasten
Und offne, nie gefüllte Augen haben,
Um die die reiche Welt vergebens wirbt?
 
In eurer Dunkelheit schwingt eine Glocke,
Und diese Glocke trägt nur einen Ton,
Dumpf hallt er durch die aufgebrochnen Stunden,
Die keinen Anfang und kein Ende haben;
Und ist so wie zwei dürre, schwache Arme,
Die um ein Leeres in die Luft gespannt,
Tot . . . tot . . . tot . . . 

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Der Tag spricht:

Wer sagte, daß sie tot sind?
Ist der Weltäther denn nicht voll von ihnen,
Fast  bis zum Bersten, so wie eine Glocke
Aus Glas, die durch zu schweren Ton gefüllt?
Und hat ein Gott die Luft nicht so gestaltet,
Daß sie bewahrt den Umriß der Entschwundenen,
Und nur mit mattem Glanze ihn umhüllt?
 
Wer sagte, daß sie tot sind?
Seht ihr sie nicht an eurem weißen Tische
Beim Abendmahl, in ihren Lieblingssessel
Geschmiegt und lehnend an der dunklen Wand
Des Zimmers , , , Dort in eures Bücherschrankes
Lastendem Schatten, in dem Grell des Spiegels
Aufzuckend und — so wie ein Bild gespannt —
In jeder offnen Türe willigen Rahmen?
Sehr ihr sie nicht so, daß die Luft ihr streichelt
Und die Berührung fühlt in leerer Hand? . . .
 
Wer sagte, daß sie tot sind?! Seht doch nur,
Wie alle Flammen windlos sich bewegen,
Die glatten Wasser dunkle Töne raunen,
Und Mondlicht durch verschlossene Türen bricht . . .
 
Wer sagte, daß sie tot sind?! Glaubt es nicht!

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Sie sind um uns, wenn morgens flügelschnell
Die Türen gehen mit schlaferwachtem Knarren
Sie sind um uns, wenn aufsteigt das Gebell
Der Hunde an den milchbeladnen Karren.
 
Sie sind um uns, wenn aufwacht das Gestampf
Der lastbeschwerten Tiere in den Gassen;
Sie sind um uns, wenn leicht sich hebt der Dampf
Aus den gefüllten, warmen Frühstückstassen.
 
Sie sind um uns, wenn lärmfroh das Gemisch
Der buten Kinder eilig flieht die Schule;
Sie sitzen mit an unserm Mittagstisch
Und nehmen Platz auf  jedem leeren Stuhle.
Sie sind um uns, wenn, wie in einem Horn
Ein langvergessner Ton, in uns ein Lachen
Erklingt. Und spein uns ihren Groll und Zorn
Ins Antlitz aus den erdgefüllten Rachen.
 
Sie sind um uns, wenn Straße um uns gähnt,
An Ecken schwindend grüßen sie uns leise,
An die Laternen stehen sie gelehnt,
Gleichsam umwogt vom Glorienlichteskreise.
 
Sie sind um uns in jedem Stundenschlag,
Sie schieben vorwärts alles Uhrwerks Räder,
Sie wandeln Tag in Nacht und Nacht in Tag,
Sie drängen zwischen Bogen sich und Feder,
 
Sie drängen zwischen Zunge sich und Hirn,
Sie wandeln Wort und Klang in unsern Stimmen,
Sie drängen sich vor Sonne und Gestirn,
So daß ihr Licht uns wird zum matten Glimmen.
 
Sie sind um uns und werden um uns sein;
Es werden ihre Wunden ewig bluten
In unser Leben, und ein roter Schein
Wird unsern fernsten Tag noch überfluten.

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Wie ist uns der Tod jetzt vertraut!
Er stieg von seinem flammenden Rosse,
Er ward unser Tisch-, unser Bettgenosse
Und jeden Wortes mitschwingernder Laut.
 
Es hat sich der Tod mit dem Leben vermählt,
Zu innigem Bund und täglichem Schalten;
Kein Tod, dem rauschendes Leben heut fehlt,
Kein Leben heut ohne Todeserkalten.
 
In uns Lebenden wie unsäglich viel Tod,
Doch das Leben der Toten ist in uns gedrungen:
Sie stehen in uns blühend lebensrot,
Und wir sprechen manchmal mit ihren Zungen.
Leben und Tod ineinander verschlungen
Wie Betender Hände. So wie im Brot
Getreide verschiedenem Korne entsprungen,
Wie Abendstille und flammendes Rot.
 
Leben und Tod, ein einziges Sein,
Wie See und Welle, wie Mörtel und Stein.
Wer will die Schwellen des Windes nennen,
Wer will die Flamme vom Holzscheit trennen?
Wir Kinder der Eltern: Leben und Tod,
Wir haben alle Grenzpfähle verloht.

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Und alle Tage empfangen wir
Totenbesuch, ungebeten,
Wir lassen schon immer halb offen die Tür . . .
 
Wir halten schon immer Blumen bereit
Aus duftenden, matt-farbenen Beeten,
Und ein Licht durchflammt unsre Dämmerzeit . . .
 
Sie brauchen nur einzutreten.

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Eh unser Tag zum Abend verblaßt,
Kommt immer zur Totenfeier ein Gast.
 
Denn jeden Tag trifft es irgendwen,
Der uns einmal in die Augen gesehn,
Irgendwie, irgendwo, irgendwann . . .
 
Und jeden Tag kommt solch blasser Schemen,
Und jeder Tag ist ein Abschiednehmen
Von etwas, das kaum war und doch jäh zerrann.

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