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Gedichte
Der Rauch der Opfer
Ein Frauenbuch zum Kriege 1916
Eleonore
Kalkowska
____________________________________
Den bangenden Frauen
und den trauernden Frauen
zu eigen
Laß es genug sein Herr!
Noch niemals
ging der kurze, blasse Tag
So
widerstandslos an der Nacht zugrunde,
Noch
niemals fiel mit solchem harten Schlag
Vom
Turm ins kahle Land herab die Stunde . . .
Noch
niemals wälzt‘ solch Nebel sich durchs Land
Und
ließ die graue Welt in Grau verschwimmen,
Noch
niemals trug der Wind so viele Stimmen
Und
wuchs und wandelt‘ sich von Wand zu Wand . . .
Noch
niemals ging in unsrer Brust der Schritt
So
tief-gelassen seinem Ziel entgegen,
Noch
niemals von der Erde Schultern glitt
So
scheu und sacht der grelle Sommersegen . . .
Noch
niemals, niemals gab es solchen Herbst.
zurück
Die Welt ist
zu eng, der Himmel zu nieder;
Er
gleicht einer eingesunkenen Decke,
Wenn
wir nur die Glieder,
Das
Haupt ein wenig zur Höhe recken,
Gleich
stoßen wir an das beengende Blau.
Wir
passen nicht mehr hinein in den Bau,
Wie
er uns mißfällt!
Unser
Weh ist zu groß, größer wie die Welt;
Erde
und Himmel können’s nicht fassen,
Wo
sollen wir’s lassen?
Es
reckt sich um über die Sterne zu ragen —
Wir
müssen ein Loch in den Himmel schlagen!
zurück
Wenn wir
nicht wenigstens die Kissen hätten!
Wie
war der Kopf am Tage uns so schwer,
Und
trugen dennoch aufrecht ihn umher.
Nun
endlich dürfen wir ihn kraftlos betten . . .
Verschweigen
werden es die guten, weißen,
Die
Kissen, wenn wir sie vor Qual zerbeißen,
Verschweigen
werden es die guten Pfühle,
Wenn
wir in wildem Schmerz in ihnen wühlen.
Hier,
wie geschlagen von den Henkersbütteln,
Darf
unser Körper zucken und sich schütteln,
Hier
endlich fällt uns ab die blöde Scham,
Und
ungehemmt entquillt uns unser Gram.
O
weiße Kissen, unser letzter Trost . . .
zurück
Aber wir
alle, wir haben Stunden,
Da
wir ganz ruhig, fast heiter geworden,
Als
gehörten wir einem unsichtbaren Orden
Von
Schwestern, durch gleiche Regeln gebunden,
Die
in Gott das Zeitliche längst überwunden.
Und
alle Dinge, die unsre Hände berühren,
Und
alle Laute, die unser Leben verbrämen,
Sind
uns so unwirklich, so nur Abbild und Schemen
Von
einer Welt, deren eherne Türen
Unser
Schmerz gesprengt, daß wir fast uns schämen,
Daß
andere all dieses ernst noch nehmen.
zurück
Ja, von
einem Wollen getragen zu sein,
Wie
der Bogen, die Klinge, der Schleuderstein,
Und
dem Feinde entgegen mit offner Brust —
Vielleicht
ist das Lust.
Aber
so zu sitzen tagein, tagaus,
Mit
dem Herz voller Wunden und Scharten,
Und
lächelnd noch leugnen den tiefsten Graus,
Und
warten . . .
Aber
so zu verfolgen mit weitoffnem Blick
Der
Fähnchen Zug auf den Karten,
Und
denken: vielleicht naht grad dort das Geschick,
Und
warten . . .
Und
so zu eilen mit irrendem Fuß
Durch
die Stadt voller Jubelstandarten,
Und
zittern: vielleicht bringt dies Wehn letzten Gruß,
Und
warten und warten und warten . . .
O,
das ist mehr als Marid Pein,
Und
gäb’s einen Gott da droben,
Er
hätte schon längst einen Stern als Stein
Aus
seinem Himmel gehoben,
Und
ihn auf die Erde, die tränengetränkt,
Als
Wurfgeschoß und als Grabmal gesenkt. —
zurück
O gute
Straßen, gute, schicksalsferne
Wohnungen
Anderer: Säle, Plätze, Gärten
Voll
wohltuender Fremde, kühler Härten —
Gesegnet
und gesucht, ihr die ihr außerhalb
Des
eignen Schicksals liegt . . .
Wie
hassen wir der eignen Wände Alp,
Wie
webt’s uns krallenfingrig in den Ecken,
Der
sanfte Tag bei uns wird trüb und falb,
Der
Sonnenstrahl gleicht gierigem Zähneblecken,
Von
einem tükisch sprungbereiten Tier,
Und
unsre Klingel bebt voll geiler Gier
Und
sehnt sich nach des letzten Stoßes Wunde . . .
Der
lieben, guten, alten Räume Runde
Gähnt
nun als Leeres, und die offne Tür
Gleicht
einem saugend vorgeschobnen Munde . . .
Und
wir,
Wir
stehn und warten still auf unsre Stunde.
Schon
scheint der Sofawinkel sich zu senken,
Gleichsam
von leidgefälltem Haupt gefüllt,
Die
Kissen alle auf den Ruhebänken
Sind
heut schon bebend und wie schmerzzerknüllt.
Die
Bücher, Bilder, die schamlosen Zeugen
Des
Künftigen, sind voll gierigen Atems Wehn,
All
diese wird einst unser Herzblut säugen,
Sie
werden wachsen, während wir vergehn.
Und
Schlingen in der Luft rings um uns hängen,
Und
keine Tür schließt ohne Widerstand,
Etwas
will immer sich dazwischen drängen
Und
legt aufs Haupt mit spitzem Druck die Hand . . .
O
Segen sei Euch Straßen, Plätzen, Wegen,
Wohnungen
Fremder, tröstlich schicksalsstumm
Und
kühl und lärmfroh. Segen sei Euch, Segen —
Zu
Haus, zu Haus geht unser Schicksal um.
zurück
Wir sind:
der verworrene Ton einer kranken Geige,
Wir
sind: die zerbröckelnde Blume an verdorrtem Zweige,
Wir
sind: des gefangenen Windes hilfeflehender Hall,
Wir
sind: erdunkelte Sterne auf dem Flug durch das All.
Wir
können nicht mehr fluten in seligem Gebraus,
Nicht
mehr schluchzend und jauchzend ins Weite uns schwingen,
Nicht
mehr erglühend das Dunkel durchdringen,
Und
konnten das alles: nun ist es aus.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Wir
möchten nach Haus.
zurück
Weiße
Himmelsblüten, rieselt nieder,
Füllt
mit weißem Schlaf die wunden Lider
Der
Welt!
O
wie möchten wir uns auf die Erde hinstrecken,
Ganz
flach auf die Erde, und das schmerzheiße
Antlitz
einwühlen in all diese weiße
Kühle
und Rast,
Und
beseligt warten, bis alle Ecken
Unsrer
Gestalt mit Weiß überblaßt . . .
O
sinke nieder, du guter Schnee!
Schnei‘
den ganzen Himmel herab auf die Erde,
Daß
die Zeit, die vor der Zeit war, wieder werde
Und
der Schöpfer spreche sein letztes „Vergeh“!
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