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Literatur




Gedichte
Der Rauch der Opfer
Ein Frauenbuch zum Kriege 1916
Eleonore Kalkowska

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Den bangenden Frauen
und den trauernden Frauen
zu eigen



Man tat uns dieses an und frug uns nicht!
Den großen Tod beschlossen alle Lande,
Und uns, uns frug man nicht; uns hört‘ man nicht,
Man löschte unser Wort so wie ein schwelend Licht,
Umloht, durchglüht von roten Hasses Brande.
 
Man tat uns dieses an und frug uns nicht,
Als ob wir nichts damit zu schaffen hätten,
Als ob nicht wir des Lebens einziges Tor,
Nicht wir des heiligen Stromes ewige Betten!
 
Es können Männer nicht verstehn, nicht wissen,
Was töten heißt, was sterben sehen heißt;
Sie sind von einem Drang hinweggerissen
In Zeugung und in Todschlag, und es weist
Ihr ganzes Sein zur raschen, kühnen Tat;
Sie sehn das Leben so wie einen Dom
Der Fremde, wenn er dasteht, kühl vollendet.
Doch wir, wir sind es ja, die ihn gespendet,
Wir die Erbauer, die in unsrem Leib
Mit heiligem Schauer fügten Zell zu Zelle,
Bis er bereit stand, um die hohe Welle
Des Orgelklanges in sich aufzunehmen, . . .
Und heut sehn wir das Werk, das wir errichtet,
Zu viel Millionen Malen rauh vernichtet!
 
Wir Frauen, die wir allzu lang geschwiegen.
Doch heute war’s zuviel. Es sind in uns
Die Leiden höher als der Mund gestiegen,
Sie drängen machtvoll sich aus uns heraus,
Zum Wort geworden in die Welt zu fliegen!
Wir waren Ohr, nun werden wir zum Mund.
Wir waren Aug, nun werden wir zur Hand.
Wir wollen es mit Hand und Mund verhindern,
Daß solche Blutzeit unsern Kindeskindern
Noch einmal wird!
 
Wir wollen, wenn die blutige Zeit verbraust,
Von Land zu Land uns an den Händen fassen
Zu einer Kette Nimmer-wieder-lassen,
So fest, daß nie sie sprengt die Männerfaust.
 
Wir waren Aug, nun werden wir zur Hand!

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L es genug sein, Herr!

Sieh her, wir nahen dir in langem Zuge,
Gebeugt durch Qualen ungezählter Tage,
Betäubt durch Wucht des steten Sturmgeläuts,
Und tränenleer gleich umgeworfnem Kruge.
In unsrer Schultern ungwohnte Trage
Kerbt tief sich ein das Kreuz.
Und unaufhaltsam quillt die einzige Frage,
Wie Wasser, wo man tief die Erde schlug,
Aus unser aller Lippen: Herr, o sage,
Warum dies alles, und, o Herr, genug!
 
War’s Zorn, der dich ergriff, daß wir gewachsen
Wie Babels Turm, uns drohend einzunisten
In deinen Himmel, da du uns gleich Dachsen
Bestimmt das Sein am Erdenbauch zu fristen?
Fehlt dir in unsrem liebenden Umfangen
Die Demut, die das Nicht-Verstehn gebiert,
Da du gewollt, wir sollten dich empfangen
Wie einen, der im Dunkel sich verliert?
Nun wohl! Wir liegen unter deinem Fuße
Zertreten und gekrümmt gleich einem Wurm,
Du wolltest Buße, nun, wir taten Buße;
Wir sind zermalmt von deines Zornes Sturm.
Ein Raum bleibt zwischen dir und uns nun leer. —
Doch nun genug, genug, o Herr, nicht mehr!
 
Warst müde du des kleinen Erdgeschehens,
Gleichmäßig grau im Guten und im Bösen,
Wolltst du in einem Großen dich erlösen,
In der Erschütterung des Vernichtungswehens?
War’s der Zerstörung wahnwitzige Gebärde,
Die groß genug dir schien um dich zu reizen,
Dich in ihr auszuströmen auf die Erde,
Wie Sodom sie mit Blut und Brand zu beizen?
Nun wohl! Es stieg empor die Opferwolke
Aus deinem Volke,
Gleich einem rotgefärbten Nebelsud
Stieg sie empor, geschweißt aus Rauch und Blut.
Es bluteten der Erde Eingeweide,
Getroffen tief von deines Schwertes Schneide.
Die Bauten, die sich in den Himmel reckten,
Bis zur Vernichtung gierige Flammen leckten,
Zerwühlt, weit aufgerissen, liegt das Land
Durch deine Hand.
Nun aber, Herr, zurück nimm deinen Zorn!
Leit deine Kraft in andre Quellen über!
Sieh, fast verschüttet liegt des Werdens Born,
Und was noch daraus quillt, ist matt und trübe.
Gieß deine Kraft hinein und schaffe Werke,
Wie sie auf Erden niemals noch gediehn.
Anbeten wollen wir dann deine Stärke
Auf unsern Knien.
 
Doch tatst du dir noch nicht genug im Rasen,
In Wut und Blut, so mag’s denn sein;
Doch dann, dann senke — wie bei Totenvasen
Den Deckel — auf die Erde, schwer wie Stein,
Den Himmelnieder. Komm uns zu zermalmen,
Füll um uns her die Luft mit giftigen Gasen,
Und lasse uns vergehn in ihrem Qualmen
Wie Seifenblasen!
Stoß rauh zurück die hochgereckten Hände —
Nur mach ein Ende!

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P n i e l
Und Jakob hieß die Stätte Pniel; denn ich habe Gott
von Angesicht gesehen und meine Seele ist genesen.
I. Moses 32. 31.    


Ja, daß wir dich verloren haben, Herr,
Das war der Schlag, der unser Sein zertrümmert;
Denn alles trugen wir in dich hinein,
Und in dir wuchs, was nun in Nacht verkümmert.
So wie der mannigfache, dunkle Samen
Ans Licht heraus aus seiner Dumpfheit strebt,
So mündete in deinen heiligen Namen,
Was uns an Kampf und Qual und Leid durchbebt, —
Und alle Tage sprach’s im Flammenstrauch;
Heut ist dein Name leerer Klang und Rauch.
 
Ja, an dem Tag, Herr, der zum Wanderwald
Des Landes grün Geäst zusammenraffte,
Schlug in uns ein der Blitz, und in dem Spalt,
Der jäh durch unser ganzes Wesen klaffte,
Versankst du, fielst du, unser Herr und Gott.
 
O Herr, wie einsam machtest du uns da!
Ein jedes Leid wirft lastend seinen Schatten
Nun in uns selbst­— und bleibt uns ewig nah,
Es bohrt sich in uns ein wie schwarze Ratten,
Und nie befreit uns mehr ein Sternenwind.
Nun darf sich alle Erde an uns heften,
Ganz fest und stark. Und unsre Häupter sind
Wie Beeren schlaff an erdennahen Schäften.

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Und unsrer Liebe Ohnmacht ward zum Hassen,
Und es klammert sich an dich und will dich nicht lassen
Und fordert von dir mit gebäumter Kraft:
Rechenschaft!
Du hast die Gesichter verwandelt in Fratzen,
Die wirkenden Hände in würgende Tatzen,
Du hast die Zungen nach innen gedreht,
Daß keins deiner Völker das andre versteht,
Du zerstörtest den guten, den wehrenden Damm
Und taucht‘st uns in Blut, und, taucht‘st uns in Schlamm;
Du fuhrst, o Gärtner, mit eisernem Rechen
Über das blühende fruchtbare Land,
Du füllst uns mit Ekel und Grauen bis zum Rand,
Daß wir oft unser Leben möchten erbrechen,
Wer sonst als du?
 
Und Worte hören wir, so viele Worte,
Breitspurige Worte, tönende und harte,
Heißflammende und schwere, schmerzerstarrte,
Matt atmende und schon im Mund verdorrte
Und Worte, die ein schluchzend, mühsam Stammeln. —
Doch all die Trostesworte kann man sammeln
Wie Münzen in den Kirchenklingelsack,
Sie geben alle einen gleichen Ton:
Noch nie betretene Gipfelhöhn als Lohn
Am Friedenstag.
 
Mag sein! Jedoch dort oben auf dem Stein,
Da können nur gefallne Sterne tanzen,
Doch wir, wir Frauen sind erdgeborne Pflanzen,
Die nur im Erdreich wurzelstark gedeihn;
Mag unser Reich ein wenig tiefer liegen,
Wenn wir uns nur an Erde dürfen schmiegen.

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Und heimlos wurde unsrer Demut Freude,
Heimlos ward der Verehrung tiefste Lust,
Da eingestürzt dein ragendes Gebäude
Zum Trümmerwust.
Nun irrte scheu umher, mit wunden Füßen,
Der Demut und Verehrung kniend Grüßen.
 
Da flog die Kunde um von Mund zu Munde,
Daß aufgegangen eine hohe Saat
Im Land und mancher staubbedeckten Schrunde,
Nun stand sie da und wuchs von Stund zu Stunde:
Die Tat.
 
Da stürzt‘ sich unsrer Demut Heimverlangen
In tausend Tempel, die sich aufgetan
In jungen Helden, die da sterbend sangen
Und blühnden Mundes in die Schwerter drangen,
Wie in das Feuer jungen Holzes Span.
 
Es flammten in uns auf die Opferkerzen,
Die tausenfältigen, die sonst dir gebracht,
Und spiegelten sich in den Waffenerzen
In jeder Schlacht,
Und webten immer ihren zagen Schimmer
Ums Haupt des Helden, eh er sank in Nacht.

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