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Literatur


04.2


Gedichte
Joseph Roth

aus: Werke 1 - Anhang 3






O Bruder Mensch



Da es noch Tag war, kannte ich dich nicht: - 
Nun, da es Nacht, liebkos’ ich deine Nähe 
und sinke in die Knie und rufe: wehe! 
daß ich nicht sehen kann dein Angesicht! . . . 
  
Ich drückte kaum zum Gruße dir die Hand, 
wir waren zungenfremde Weggenossen, 
nun unser Blut vereint die Flur durchflossen, 
weiß ich: Du bist mir nah und blutsverwandt. 
  
Weil du mich schlugst, besitzest du mich ganz: 
Um dich zu lieben mußt’ ich dich erst morden! 
O Bruder Mensch! vergib, daß ich erlag! 
  
Doch bis vollendet dieser Höllentanz 
Ist Licht in uns und Licht um uns geworden – 
Sieh, Bruder Mensch: Durch Nebel wuchtet schon der Tag! . . . 
  
Prager Tagblatt 
5.8.1917


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Der Abendgang

 
Im Dunkel fließen um mich weich und schwer 
Die letzten Träume, die das Licht mir spann, 
Nur noch ein Klang im Abendgold verrann, 
Und tagen – fühl’ ich – wird es nimmermehr . . . 
  
Im Westen flutet Paradiesesschein, 
Ich walle demutsvoll empor den Pfad, 
Und meine Seele ahnt erlöst: Jetzt trat 
Der liebe Gott ans Tor und wartet mein . . . 
  
Österreichs Illustrierte Zeitung 
7.10.1917

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Soldaten
 
 

Alle haben diesen müden 
seltsamen Zug in den bleichen Gesichtern: 
In ihren Augen zittert ein schüchtern 
taumelndes Ahnen von Heimat und Frieden . . . 
  
Alle tragen sie an den müden 
Füßen den Staub von zerwanderten Jahren: 
Durch viele Länder sind sie gefahren 
und haben noch nicht nach Hause gefunden . . . 
  
Manchmal nur röten sich ihre Wangen, 
wenn sie frohe Kunde erlauschen, 
und sie sitzen zusammen und tauschen 
flüsternde Reden von süßem Verlangen . . . 
  
Ihre harten, zerrissenen Hände 
faltet die Demut, und kindheitsverwehte 
Worte fassen sie still im Gebete: 
Herr, mach ein Ende! O Herr, gib ein Ende! . . . 
  
Prager Tagblatt 
10.2.1918

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Frühling


Frühling, Deine Blütenhände 
gleiten über Erdenwellen 
und aus Tiefen überschwellen 
Säfte Tal und Hügellände. 
  
An den Wegen, die ich schreite, 
lächeln alte Meilensteine, 
junge Birke lacht in eine 
glücksumspannte Sonnenweite. 
  
Stunden, die ich gar nicht zähle, 
taumeln trunken von den Türmen, 
fallen golden in das Stürmen 
meiner maidurchwühlten Seele. 
  
Alle Gräser wispern Kunde 
von dem grünen Zauberwirken -  - 
wie mich Strauch und Baum umzirken, 
fühle ich mich eins im Bunde 
  
mit der saftdurchtränkten Rinde, 
mit dem Stein am Grabenrande, 
mit dem weißen Straßenbande 
mit der Wolke, mit dem Winde . . . 
  
Quillt in mir ein starker Glaube 
wie der Saft in jungem Weine: 
Alles bin ich im Vereine: 
Gott und Mensch und Wurm im Staube. – 
  
Prager Tagblatt 
11.5.1918



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Nervenschock



Seht her: In einem Zauberknäul gebannt 
schlottert und taumelt er an schwanker Krücke, 
bald hart am Pflasterrand und bald zurück 
prallt klappernd sein Gebein an rauher Wand. 
  
Und aller Augen sind ihm zugewandt: 
der frechen Neugier und des Mitleids Blick - - 
ein Kind, das spielt, hält mitten still im Glücke, 
als blick’ es plötzlich in ein dunkles Land . . . 
  
Oh, seht ihn an! In graues Tuch gewandet, 
der Menscheit Heldentum in torkelndem Zick-Zack 
zwei Kreuzchen scheppern und zwei Bänder
fliegen - - -     
Im roten Meer von Blut und Siegen 
ist des Jahrhunderts stolzes Schiff gestrandet – 
und das ist Euer Wrack! . . . 
  
Prager Tagblatt 
6.10.1918


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Frühling



Oh, einmal möcht’ ich Baum am Wegrand sein 
Und Strom und Saft durch Strang und Faser fühlen! 
Und mit dem Wipfel in den Wolkenkühlen 
Unendlichkeiten haschen, Gott und Sonnenschein . . .
  
Mich aber peitscht irdischer Ohnmacht Pein. 
Im Staub zu düngen, Leib in Rost zu wühlen, 
Hände zu brauchen, die rastlos wie Mühlen, 
Ichtum zu schänden, Gottheit zu entweihn, 
  
Doch wenn Märzwinde mit der Erde spielen, 
Wenn Weidenbusch und Haselstrauch vom Wein 
Des Frühlingstaus in Gottesrausch verfielen – 
  
Steh’ ich erschlafft – ohnmächtiges Gebein: 
Auf einem Weg, der niemals führt zu Zielen. 
Ein zwecklos eingerammter Meilenstein. – 
  
Prager Tagblatt 
1.6.1919


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