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Literatur


04.2


Gedichte
Joseph Roth

aus: Werke 2 - Politische Lyrik






Lob-Gedicht auf den Sport



Der Zeitgeist streckt den Bizeps und erfüllt
mit Knock-out und Bauchstoß das Jahrhundert - -
wenn jemand ist, der sich darüber wundert,
der las noch nie die Zeitung: Sport im Bild.
 
Aus ihr erfährt man, wer die Welt bewegt:
Ob Neger Tompson oder Breitensträter - -
Gott ist ein kleiner Mühlenaushilfstreter,
vergleicht man ihn mit dem, der Runden schlägt.
 
Auch Sokrates hält den Vergleich nicht aus -
Und Goethe ist ein kleiner Hund dagegen,
was einer kann, auf dessen Faust der Segen
des Kinnzertrümmerns ruht und des Applaus.
 
Es schwand schon oft des flüchtigen Ruhmes Schein,
von einem, der nur Kunst und Weisheit schwitzte -
doch nie von dem, der jemals Blut verspritzte - -
Und es zerschellt wie Glas der Weisen Stein
an eines guten Boxers Nasenbein.
 
Josephus
Lachen links, 25. 1. 1924

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Natur

 

Hinter den Häusern der Stadt, dort wo die Verbotstafeln
stehn, 
beginnt Gottes freie Natur, die den Menschen gehört.
Parzelliert und in Grundbüchern eingetragen sind
die Quellen, die Äcker, die Wälder, der Wind,
die Tannen, die Eichen, die Buchen, die Linden,
die Hasen, die Hirsche, der Lerchenschlag,
der Mond in den Nächten, die Sonne am Achtstundentag
und die Vögel, die, von Sorgen angeblich unbeschwert,
die segensreiche Ordnung dieser Welt verkünden - -
Leibeigene Eichkätzchen springen auf Eichen,
als wären sie unabhängig vom Kapital - -
und wissen nicht, daß unterdessen Förster ohne Zahl
auf hinterlistigen Pfaden zum Schießen schleichen - -
Nur die Schriftsteller wandern umher und werden Wunder
gewahr
und schreiben Gedichte, Skizzen und Romane,
sie leben in ihrem göttlichen Wahne
und sterben vom menschlichen Honorar.
 
Lachen links, 1. 2. 1924

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Die Lieblinge der Nation
 
 

Wenn wir sie oft in Heldenrollen sehn,
fangen sie an, durch unsern Traum zu gehn . . .
 
Wir sehn sie da am Abend, sehn des Nachts sie dorten,
die Mia Moja, Maja May und Henny Porten . . .
 
Es führt der Lubitsch durch den märk'schen Sand
Statistenjuden ins gelobte Land . . .
 
Es rüstet sich, zu ziehn gen Pharaon
der persische Stratege Davidsohn;
 
indessen gürten andre ihre Lenden,
um sich dem Kurbelkasten zuzuwenden.
 
Und während Zelnik Dostojewski dreht,
erhebt sich eine koptische Majestät,
 
dem Reigen nackter Mädchen zuzuschaun,
dem Bade der Treptower Haremsfraun - -
 
Und wenn man so, auf orientalische Weise,
ein wenig Geld verdient für eine Winterreise,
 
begibt man sich in schneebedeckte Zonen,
wo Photographen und Reporter wohnen,
 
läßt sich befragen und photographieren
im Sportkostüm, im Bad und beim Massieren,
 
beim Ski, beim Schlittschuhlauf, bei Trachtenfesten
gibt man sein Angesicht der Nation zum Besten,
 
auf daß sie wisse, wie ein Halbgott lebt,
der die Kultur des Vaterlandes hebt.
 
Josephus
Lachen links, 1. 2. I924


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Der Strich



Manchmal seh ich: Der Strich hat sich ausgedehnt
und ist, wie ein Globus, rund und groß geworden
und erstreckt sich auf alle Meridiane vom Süden zum
Norden,
und jeder Parallelkreis ist ein Strich - und wir sind so daran
gewöhnt,
daß wir es nicht merken, wie die Geographie
eine große Prostitution geworden.
 
Es wandern Journalisten zum käuflichen Genuß
mit geschminktem Artikel in die Redaktionen.
Und Diplomaten mit zierlichem Gruß
setzen sich zu einem Einleitungsschmus
und stecken das Strumpfgeld in die Aktentaschen - -
Dann bringt die Morgenzeitung die neuesten Sensationen
(vom Friedensschauplatz der Welt), nach denen die Leser
haschen.
 
Und also verworren ist mein Begriff von den Dimensionen,
vergessen hab ich die Grundsätze der Geometrie -
ich kenne nur die Komm-mit-Melodie
der Huren, welche die Erde bewohnen - -
Und ratlos, tausendmal im Tag, frage ich mich:
Ist der Strich eine Kugel? Oder die Kugel ein Strich?
 
Josephus
Lachen links, 8.2. 1924

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Denkmalsweihe



Der General hält eine Rede,
die toten Gefeierten können sich nicht wehren,
alte Gespenster stecken in lecken
Paradeuniformen - Füllsel der Öde -
Ein Denkmal aus Marmor wird enthüllt,
und ein Prinz aus vergilbten Seiten der Weltgeschichte
nimmt die Parade ab, ohne was dafür zu geben,
denn das ist der einfache, historische, schlichte,
überlieferte Sinn im prinzlichen Leben.
 
Alle lebendigen Soldaten rufen Hurra,
eh' sie mit klingendem Spiel abmarschieren,
denn sie wissen nicht, wie ihren toten Kameraden geschah
und was es heißt: das Leben verlieren - -
Aber zwölf Stunden später, wenn die Mitternacht schlägt,
erheben sich die gefeierten Gebeine
und veranstalten eine Parade beim Mondenscheine,
es klappern die Schädel, und ein Lahmer trägt
einen andern toten Lahmen auf dem Rücken,
und des einen Knochen sind des andern Krücken.
Und ein toter Oberstabsarzt sägt
die toten Beine eines Infanteristen,
und ein verstorbener Sanitäter pflegt
einen in Sibirien Vermißten.
Und wenn es eins schlägt, fragt ein Choral:
Wo ist ein toter General?
 
Josephus
Lachen links, 22.2. 1924 


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Der Schalter



Hinterm Schalter sitzt das unbekannte,
rätselhafte Es, von dessen Gnaden
alle leben müssen, die beladen,
einer trüben Menschheit Abgesandte,
in den Ämtern lange Schlangen stehn.
Brief- und Brot- und Invalidenmarken
teilt Es aus mit sehr bedächt'ger Tücke,
schwach sind vor ihm alle Starken - -
unerreichbar ihrem Blicke
läßt es Schiebefenster auf- und niedergehn.
 
Es regiert, und alle warten
sehr gespannt und sehr ergeben
auf die guten, auf die harten
Worte, die durchs Fenster schweben;
Gottes Stimme weht aus dem Büro - -
deutsche Götter sitzen hinter Schaltern,
ihrer Laune preisgegeben,
ausgeliefert den Verwaltern,
Steuermarken, Menschenleben - -
Hinterm Fenster thront der Bi-Ba-Bo.
 
Josephus
Lachen links, 22.2. 1924


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Elegische Phantasie



In den Lüften scheppern die Damoklessäbel
ausgerechnet über unsern Scheiteln.
Während wir noch tanzen, wird im Morgennebel
der Galgen schon errichtet, ein Justizfeldwebel
abkommandiert, um unsern Fasching zu vereiteln.
Wir baumeln schon und fangen an zu stinken - -
und die Kommerzienräte tanzen flott und teuer;
die Aktien steigen auch noch, wenn sie sinken!
Die Sterbeziffern steigen auf der Linken,
und auf der Rechten brennen Freudenfeuer.
Der Karneval trägt an den Fersen Sporen
und auf den breiten Schultern Epauletten.
Er ist ein General- ich könnte wetten!
 
Der Morgen rötet sich vom Stifte der Zensoren,
weil wir so viel vom Karneval zu sagen hätten.
 
Josephus
Lachen links, 29.2. 1924


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