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04.2
Gedichte
Joseph
Roth
aus:
Werke 2 - Politische Lyrik
Ballade
vom Zusammenbruch einer
bessern Familie
Zehnmal
im Tage las er die Kurse und telephonierte
mit
der Devisenabteilung von Mendel und Compagnie - -
Hundertmal
fuhr er im Auto zur Börse, und wie ein Hirte
des
Abends in Paaren heimführt das folgsame Vieh -
so
trieb er Effekten vom Haussetag in schweren Massen nach
Hause,
weiße,
bunte, gescheckte durch seiner Konti Gebiet;
pfiff
dazu mit den Händen ein abendlich Schäferlied
und
gönnte selbst in der Nacht den Sorgen keinerlei Pause.
Seine
Gattin hieß Jetti, und trotzdem entbehrte
sie
den liebenden Mann, den ihr die Börse entzog - -
vierzehn
Teller zerschlug ihr die Köchin, die deshalb flog - -
und
der Sealpelz der Freundin, mit der sie nicht ungern verkehrte,
wider
Erwarten gelang er - (sie hatte die gute Figur)-
und
raubte Jetti den Schlaf in ruhigen Nachmittagsstunden - -
also
beschloß sie (plötzlich und ausgerechnet beim Jour),
noch
in dieser Saison gründlich und sehr zu gesunden.
Und
sie fuhren zu Lahmann bei Dresden, um sich zu retten
aus
dem Nervenzusammenbruch, der katastrophal
manchmal
die besseren Kreise befällt, so daß sie zum heiligen
Gral,
dem
in Sanatorien befindlichen, pilgern in Schlafwagenbetten.
Eh'
sie die Ruhe gefunden, hat es lange gedauert,
Kurse
stiegen und fielen, es gab Segen und Fluch.
Manchen
traf der Schlag, und er kroch unters Leichentuch - -
Heute
noch, während ich dieses schreibe, schauert
meine
Schreibmaschine zurück vor solchem Familienzusammenbruch.
Josephus
Lachen
links, 22.2. 1924
zurück
Karneval
Alle
Tage feiern wir Karneval,
wir
haben es nicht nötig, uns eigens zu maskieren,
weil
wir unser eigenes Angesicht verlieren;
wir
sind: ein Untertan, ein Sergeant, ein General,
ein
deutscher Student mit Bändern und Schmissen,
eine
Pickelhaube, ein geschliffenes Bajonett,
ein
schleppender Säbel, ein Pastorenbarett,
und
eine Prothese, ewig zu hinken beflissen.
Wir
sind ein Volk in Masken und Kostümen -
uns
schuf ein göttlicher Feldwebel nach seinem Ebenbilde.
Wir
sind ein Unteroffiziersverein, eine Millionenmaskengilde,
eine
Schupopostenkette, ein fast lebendiger Drahtverhau,
ein
betäubender Wirrwar aus Uniformgrau,
unterbrochen
von reizenden roten Striemen . . .
Also
gekleidet in verschiedene Trachten,
leben
wir munter, schießen und bedienen
bald
einen Kaiser und bald ein Maschinengewehr - -
Kriege
verlierend, gewinnen wir Schlachten,
arbeiten
nach dem Lesebuchmuster der Bienen
vierundzwanzig
Stunden im Tage und manchmal mehr.
Über
uns ein Gott, der Eisen wachsen läßt,
auf
einem gelbmaskierten Himmel aus giftigen Gasen,
umgeben
von Engeln, die den Fridericus-Rex-Marsch blasen - -
mit
eisernen Kreuzen geziert, livriert und betreßt,
nehmen
sie teil an unserm Karnevalsfest.
Und
ertönt ein Kommando, das ein oberster Kriegsherr rief,
so
können wir nicht anders und werden erschossen,
insofern
wir Proleten, Juden und Genossen - -
Und
flüstern sterbend, dankerfüllt und tief:
Ehre
sei dem General in der Höh' und Kants kategorischem Imperativ!
Lachen
links, 7. 3· I924
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Chanson vom
Kandidaten in Pommern
Es
war ein blonder Kandidat,
nach
seinem Stammbaum ganz teutonisch -
und
was er sprach und was er tat,
war
mustergültig wilhelmonisch. - -
Vergebens
hätte man bei ihm
gesucht
nach Spuren fremder Rasse,
man
fand kein jüd'sches Interim
in
seiner ganzen Ahnenmasse;
auch
mangelte der Intellekt
nachweisbar
schon dem Urgroßvater,
dem
glich der Sohn - und voll Respekt,
was
jener tat, auch tat er; --
so
lebte nur die Tradition
im
Enkel und in dessen Sprossen,
und
sowohl Geist wie Rebellion
waren
vollkommen ausgeschlossen. - -
Kein
Wunder, daß der teutsche Mann
in
Pommern Sympathien weckte,
als
er sein Referat begann,
womit
er ein Mandat bezweckte:
Wir
sind, so sprach er, reine Germanen
und
gehen dennoch ins Parlament,
obwohl
es bekanntlich von Juden erfunden –
aber
wir können nicht anders gesunden,
es
sei denn, wir kämpften sehr vehement
zwar
mit feindlichen Waffen, doch im Geist
unsrer
Ahnen -
Und
dieser befiehlt uns: Seid Untertanen!
Denn
pyramidal ist der Menschheit Struktur:
Unten
liegen die Arbeitermassen,
oben
leuchtet des Königs Purpur,
und
es ist ein Gesetz der Natur:
Herrschen
sollen die herrschenden Klassen:
Landwirte
erstens, deren Brautnächten
entsprossen:
der tüchtige Offizier
und
die ganz kommentmäßig echten,
arisch
beschmißten und selig bezechten
Studenten,
voll Idealen und Bier.
Zweitens,
nach ihnen, die Fabrikanten,
die
den Fabriken das Leben geschenkt,
nachdem
sie dasselbe den schwächlich entmannten
Marxisten
genommen (Zwischenruf: Wann
werden
Marxisten gehenkt?!).
Drittens,
den Männern, die durch Geschäfte,
sei
es an Börsen, sei es privat,
treulich
begaunerten diesen Staat.
So,
meine Herren, heißen die Kräfte:
Säbel,
Schornstein und Kapital!
(Bravorufe
durchbrausten den Saal.)
Es
druckt die Zeitung den Bericht;
der
Bürger las den Kandidaten,
und
schnell erkennend seine Pflicht,
schritt
er zu Taten:
Und
schon erhob sich ein Gerüst,
das
selbst in Pommern ungewöhnlich
und
- - was nicht zu verschweigen ist -
ganz
unverkennbar galgenähnlich. - -
Am
nächsten Tage baumeln wir,
Marxisten
und Genossen,
als
arisch reines Wahlpläsier
für
Teut und seine Sprossen. - -
Man
sieht: Es braucht ein Kandidat
nicht
viel Verstand zu haben;
uns
kann sein dümmstes Referat
begraben,
ja begraben . . .
Josephus
Lachen
links, 21. 3.1924
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