|
|
|
|
|
lifedays-seite
moment
in time
|
|
|
04.2
Gedichte
Joseph
Roth
aus:
Werke 2 - Politische Lyrik
Legende
vom Kasernenhof
Ein
Kasernenhof stand kühl und düster
eingefangen
zwischen Kasematten.
Täglich
exerzierten dort Soldaten;
über
ihnen war ein Kriegsminister,
wie
ein schwarzer Heldentodesschatten.
Alle
Tage schoß man mit Patronen
auf
die Mittelpunkte weißer Scheiben,
aß
zu Mittag altgedörrte Bohnen,
putzte
das Gewehr zum Zeitvertreiben. -
Niemals
ruht' ein Vogel hier vom Fluge,
denn
er fürchtete die Geßlerhüte -
und
es wuchert' giftig aus der Fuge
zwischen
Steinen die Kasernhofblüte.
Also
hieß die Flora dieser Gegend. -
Ihre
Fauna waren Offiziere;
und
die Pest der Disziplin erregend,
kommandierten
Chargen; exerziere! - -
Eines
Tages aber sprengte
der
Kasernenhof die grauen Wände
und
begann zu wandern, und er lenkte
seinen
Schritt in blühendes Gelände.
Alsobald
starb unter seinen Tritten
Wald
und Feld und Stadt und Hof und Garten,
Offiziere
trampelten beritten,
und
sie schwangen Leichentuchstandarten. -
Alles
Lebende ward schnell geändert
in
Zielscheiben, deren schwarze Mitte
Herzen
waren, blut- und fleischgerändert -
sie
zu treffen war Befehl und Sitte.
Der
Kasernenhof, dem das nicht genügt hat,
wandert
weiter, Land und Stadt verschlingend,
aber,
weil der Reichstag es verfügt hat,
tut
er seine Arbeit fröhlich singend.
Aber
ich erschau' an seiner Seite
einen
Tambour, weiß und lang und hager,
fröhlich
trommelnd späht er nach der Beute. - -
Ein
Kasernenhof noch wandert heute:
Morgen
ist er schon ein Leichenlager.
Josephus
Lachen
links, 25·4. 1924
zurück
Praktische
Anwendung
Auf
philosophischen Fundamenten ruhn Kasernen -
Man
kann's von deutschen Professoren lernen,
daß
allgemein und generell
Gehorsam
nötig ist, um alle schiefen
Persönlichkeitserscheinungen
zu strecken,
auf
daß sie gerade ausgerichtet,
zu
Doppelreihen verdichtet
in
Uniformen stecken:
So
wird aus kategorischen Imperativen
der
kategorisch preußische Appell.
Josephus
Lachen
links, 25.4. 1924
zurück
Gasgranade
Habt
ihr schon vergessen,
wie
die Gasgranate stank,
wie
der Pastor sang
bei
den Totenmessen?
Totenmessen
im Karst,
Messen
in den Vogesen
mußte
der Pastor lesen,
weil
die Granate barst.
Der
Gasgranatengestank
wartet
auf seine Stunde
mit
dem Kaiser im Bunde
und
dem Heldengesang.
Habt
ihr schon vergessen,
eurer
armen Ehre Feld?
Ein
Graben und ein Zelt,
ein
Wachtmeister und ein Held
und
eine Gasgranate,
gestiftet
von Krupp in Essen.
Josephus
Lachen
links, 2. 5. 1924
zurück
Tod im Frühling
Ein
Professor, fromm und tugendhaft,
war
exorbitant normal im Winter;
zur
Erhaltung deutscher Manneskraft
schlief
er stets mit einem Werk von Dinter;
morgens
steckte er ins Stahlbad Glied um Glied,
trieb
am Reck dann Weltkriegsvorbereitung,
und,
fürs arisch-reine Vaterland erglüht,
abonnierte
er die »Deutsche Zeitung«.
Also
lebte er zur Winterszeit. -
Doch
beim ersten Lied der Nachtigallen
machte
er sein Teleskop bereit,
um
des Nachts durch das Gebüsch zu wallen;
Minne
glühte auch in seiner Brust,
wenn
er eine Wade wo erblickte;
und
es war sein Wille groß wie seine Lust - -
nur,
daß letztere ihm niemals glückte.
Mit
der Blendlaterne spähte er
nach
den unverschämten Gartenbänken,
zu
den deutschen Göttern flehte er,
dieses
Mobiliar der Juden zu versenken;
aber
Unzucht blieb, kein Rächer kam,
und
vergebens betete der Keusche,
während
er, moral-geplagt, vernahm
außereheliche
Nachtgeräusche.
Bald
begannen Nase, Aug' und Ohr
und
der sechste Sinn sich auch zu schämen - -
außer
sich geriet der Professor,
und
er mußte endlich Anstoß nehmen;
unter
einem weißen Fliederstrauch
tat
er's, ward erregt - und fand sein Ende . . .
Streng
und sittlich flog sein letzter Hauch
wie
ein keuscher Fluch durch das Gelände . . .
Lachen
links, 9. 5· 1924
zurück
Europäische Justiz
Es
wuchert das Gesetz in unbekannten
Verschwiegnen
Gründen, die kein Aug' durchschaut,
Des
Himmels milde Gnade blaut
Nicht
jedem in das Rechtsgebiet Verrannten.
Seit
tausend, abertausend Jahren
Rufen
wir brünstig die Gerechtigkeit:
Indessen
warten Richter, haben Zeit,
Warten
in hundertfältigen Talaren. - -
Zu
einem unerreichbar hohen Himmel schreit,
Was
dir von ihnen widerfahren:
Du
siehst des Urteils scharfgezackten Blitz,
Wie
ein Gewitter siehst du die Justiz
Aus
dem Gewölk der Paragraphen fahren.
Aus
dunklen Falten der Talare weht
Der
Sturmwind der Justiz auf dich, Prolet,
Dein
Galgen ragt, dein Henker ist bereit,
Der
Staatsanwalt ist nah - -
Und
Gott ist weit!
Josephus
Lachen
links, 23· 5. 1924
zurück
Der Hakenkreuzler
Der
Professor von Freytag-Loringhoven
hat
ihn mit Barteis und Wulle gezeugt,
also
zum ersten Mal die Fruchtbarkeit deutscher Urkraft
erweisend.
Das
Kainszeichen des Hakenkreuzes auf der gesenkten doofen
Stirn
- lebt er und wird gesäugt
Von
den Alma-Mater-Brüsten der Magnifizenz Roethe
und
von Ludendorff gedrillt, wenn dieser zufällig nicht nach
Schweden
reisend.
Immer
verfolgt ihn ein wüster Traum
Von
schwarzen Juden, die seine weißen Mäuse sind - -
(In
der Trunkenheit ist er nämlich politisch farbenblind.)
Und
er sieht den Juden auf dem deutschen Kaiserthron,
in
der römischen Kirche und in seiner eigenen Organisation,
und
er erkennt in der Ahnenreihe des deutschen Goethe
einen
Stammbaumvater der Poesie namens Rosenbaum.
Josephus
Lachen
links, 25· 7. 1924
zurück
Der Prinz und die
Toten
Jeden
Sonntag wird ein Denkmal enthüllt,
und
jeden Sonntag ist der Prinz dabei;
So
hat er seine hohe Pflicht erfüllt. -
Aber
noch steht in den Lüften der Schrei
der
Toten, die für den Prinzen starben - -
Manchmal
aber öffnen sich Gräber
und
die Gespenster steigen hervor
und
es heult der Skelette Chor:
»Kommen
Sie Prinz! Ihre prinzliche Leber
ist
zwar noch heil, auch funktionieren
tadellos
Blase, Galle und Nieren,
aber
wir können Sie nicht entbehren.
Bleiben
Sie, bitte, in unserer Mitte,
Ihre
prinzlichen Stechmarschschritte
möchten
wir gar zu gerne hören;
auch
wollen wir manchmal defilieren
und
wir wissen niemals, vor wem!
Die
Gräber sind nämlich so unbequem,
daß
sie nicht einmal drei Prinzen zieren;
es
leben so viele Prinzen auf Erden - -
Wollen
Sie nicht König der Toten werden?!«
Josephus
Lachen
links, I. 8. 1924
zurück
oben
weiter
|
lifedays-seite
- moment in time |
|
|
|
|
|
|
|