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Literatur

04.2



Gedichte der Gefangenen

Erich Toller
Ein Sonettenkreis




Kamerad, in der Stadt, jedem Dorf,
begleidet dich ein Gefängnis

"Es kann nichts entsetzlicher sein, als daß die Handlungen eines Menschen unter dem Willen
eines anderen stehen soll"
                                        Kant, Fragmente VIII.

An die Freunde: Was ist ein Jahr und was ist eine
Stunde, im Acker Zeit, der brach zu unsere Füßen liegt.

"Trotzdem sie nur von Gesetzen reden: auch das Gesetz ist nicht frei von Menschlichkeit. Das Gesetzt ist für uns Menschen nicht dazu gemacht, anern Menschen durch Ekel oder Schmerz das Leben zu nehmen."
                                                                 Kleist


Geschrieben in den Gefängnissen München (Militärarrestanstalt Leonrodstraße; Polizeigefängnis; Neudeck; Stadelheim), Würzburg, Eichstätt, Neuburg, Niederschönenfeld. 1918— 1921



SCHLAFLOSE NACHT
 
Metallne Schritte in die Nächte fallen,
Die Posten buckeln durch die Höfe ohne Rast.
Oh, jeder Schlag ist Herzschlag ungeheurer Last,
Die uns bedrängt mit immer scharfen Krallen.
 
Wir lauschen schlaflos in das starre Hallen,
Ein schwarzes Schweigen wächst im schwarzen Glast,
Deß toter Atem fröstelnd uns umfaßt,
Zermartert Blicke an die Eisengitter prallen.
 
Warum, mein Bruder, feindlich durch die Höfe
schreiten?
Uns alle band ein Schicksal an den gleichen Pfahl,
Uns alle eint der Kreaturen tausendjährge Qual,
 
Uns alle wirbelt dunkler Zwang durch die Gezeiten.
Oh, Fluch gesetzter Grenzen! Menschen hassen ohne
Wahl
Du, Bruder Tod, wirst uns vereint geleiten.

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DURCHSUCHUNG UND FESSELUNG
(Dem Andenken des erschoßnen Kameraden
Dorfmeister, München)

 
Den nackten Leib brutalen Blicken preisgegeben,
Betastet uns ein schamlos Greifen feiler Hände,
In Fratzenbündel splittern graue Wände,
Die wie Gepfeil gen unsre Herzen streben.
 
Pflockt Arm und Fuß in rostige Kette,
Brennt Narben ein den magren Händen,
Ihr könnt, Ihr könnt den Leib nicht schänden,
Wir stehen frei an der verfehmten Stätte!
 
So standen vor uns all die Namenlosen,
Rebellen wider des Jahrhunderts Tyrannei,
Auf Sklavenschiffen meuternde Matrosen —
 
Der Promethiden ewig trotziger Schrei!
So standen sie an Mauern der Geweihten.
So starben sie am Rande der verheißnen Zeiten.

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WÄLDER
 
Ihr Wälder fern an Horizonten schwingend.
Vom abendlichen Hauche eingehüllt,
Wie meine Sehnsucht friedlich euch erfüllt,
Minuten Schmerz der Haft bezwingend.
 
Ich presse meine Stirne an die Eisensäulen,
Die Hände rütteln ihre Unrast wund,
Ich bin viel ärmer als ein armer Hund,
Ich bin des angeschoßnen Tieres hilflos Heulen.
 
Ihr Buchenwälder, Dome der Bedrückten,
Ihr Kiefern, Melodie der Heimat, tröstet Leid,
Wie wöbet ihr geheimnisvoll um den beglückten
 
Knaben der fernen Landschaft wundersames Kleid
Wann werde ich, umarmt vom tiefen Rauschen,
Den hohen Psalmen eurer Seele lauschen?

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SPAZIERGANG DER STRÄFLINGE
(Dem Andenken des erschoßnen Kameraden
Wohlmuth, München)

 
Sie schleppen ihre Zellen mit in stumpfen Blicken
Und stolpern, lichtentwöhnte Pilger, im Quadrat,
Proleten, die im Steinverließ ersticken,
Proleten, die ein Paragraph zertrat . .
 
Im Eck die Wärter trag und tückisch lauern.
Von Sträuchern, halb verkümmert, rinnt ein trübes
                                                                                Licht
Und kriecht empor am Panzer starrer Mauern,
Betastet schlaffe Körper und zerbricht.
 
Vorm Tore starb der Stadt Gewimmel.
„Am Unrathaufen wird im Frühling Grünes
                                                                 sprießen . . .!
Denkt Einer, endet mühsam die gewohnte Runde,
 
Verweilt und blinzelt matt zum Himmel:
Er öffnet sich wie bläulich rote Wunde,
Die brennt und brennt und will sich nimmer schließen.

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