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04.2
Erich Toller
Ein
Sonettenkreis
BEGEGNUNG
IN DER ZELLE
Die
Dinge, die erst feindlich zu dir schauen,
Als
wären sie in Späherdienst gezwängte Schergen,
Sie
laden dich zu Fahrten ein gleich guten Fergen,
Und
hegen dich wie schwesterliche Frauen.
Es
nähern sich dir all die kargen Dinge:
Die
schmale Pritsche kommt, die blauen Wasserkrüge,
Der
Schemel flüstert, daß er gern dich trüge.
Die
Wintermücken wiegen sich wie kleine Schmetterlinge.
Und
auch das Gitterfenster kommt, das du verloren,
Mit
Augen, die sich an den schwarzen Stäben stachen.
Anstarrtest,
während deine Arme hilflos brachen.
Und
Köpfe der Erschoßnen wuchsen aus versperrten
Toren.
Das
Gitterfenster ruft: Nun, Lieber, schaue, schaue.
Wie
ich aus Wolken dir ein Paradies erbaue.
LIED
DER EINSAMKEIT
Sie
wölbt um meine Seele Kathedralen,
Sie
schäumt um mich wie brandend Meer,
Der
Gosse sperrt sie sich wie eine Wehr,
Und
wie ein Wald beschützt sie meine Qualen.
In
ihr fühl' ich die Süße abendlicher Stille,
Auf
leeren Stunden blüht sie maienliches Feld,
Ihr
Schoß gebiert das Wunder der geahnten Welt,
Ein
stählern Schwert steilt sich metallner Wille.
Sie
schmiegt sich meinem Leib wie schlanker Frauen
In
meine Sehnsucht perlt sie aller Märchen Pracht,
Ein
sanftes Schwingen wird sie hingeträumter Nacht . . .
Doch
ihre Morgen lodern Brände,
Sie
sprengen Tore schwerer Alltagszelle,
Einstürzen
Räume, aufwächst eisige Helle.
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GEFANGENE MÄDCHEN
Wie
kleine arme Dirnen an belebten Straßenecken
Sich
schüchtern fast und wieder roh bewegen,
Im
Schatten der Laternen sich erst dreister regen
Und
den zerfransten Rock kokett verstecken . . .
Wie
Waisenkinder, die geführt auf Promenaden,
Je
zwei und zwei in allzu kurzen grauen
Verschoßnen
Kleidern sehr verschämt zu Boden schauen
Und
Stiche fühlen in den nackten Waden . . .
So
schlürfen sie umstellt von hagren Wärterinnen,
Die
warmen Hüften wiegend auf asphaltnen Kreisen,
Sie
streichen heimlich mit Gebärden, leisen.
Das
härne Kleid, als strichen sie plissiertes Linnen,
Und
wie sich in gewölbten Händen Brüste runden.
Befällt
sie Grauen ob der Last der leeren Stunden . . .
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FABRIKSCHORNSTEINE
AM VORMORGEN
(Dem
Andenken des erschoßnen Kameraden
Lohmar,
München)
Sie
stemmen ihre schwarze Wucht in Dämmerhelle,
Gepanzert
recken sie sich drohendsteil,
Sie
spalten zarte Nebel wie getriebner Keil,
Daß
jeder warme Hauch um sie zerschelle.
Aus
ihren Mäulern kriechen schwarze Schlangen
In
blasse Fernen, die ein Silberschleier hüllt.
Sie
künden lautlos; „Wir sind Burg und Schild!
Die
Gluten winden sich, in uns gefangen."
Der
Morgen kündet sich mit violettem Lachen,
Den
Himmel füllt ein tiefes Blau,
Da
gleichen sie verfrornen Posten, überwachen,
Und
werden spitz und kahl und grau,
Und
stehen hilflos da und wie verloren
Im
lichten Äther, den ein Gott geboren.
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DIE
MAUER DER ERSCHOSSENEN
Pietá
Stadelheim
1919
Wie
aus dem Leib des heiligen Sebastian,
Dem
tausend Pfeile tausend Wunden schlugen,
So
Wunden brachen aus Gestein und Fugen,
Seit
in den Sand ihr Blut verlöschend rann.
Vor
Schrei und Aufschrei krümmte sich die Wand,
Vor
Weibern, die mit angeschoßnen Knien „Herzschuß!“
flehten,
Vor
Männern, die getroffen sich wie Kreisel drehten,
Vor
Knaben, die um Gnade weinten mit zerbrochner
Hand.
Da
solches Morden raste durch die Tage,
Da
Erde wurde zu bespienem Schoß,
Da
trunkenes Gelächter kollerte von Bajonetten,
Da
Gott sich blendete und arm ward, nackt und bloß.
Sah
man die schmerzensreiche Wand in großer Klage
Die
toten Menschenleiber an ihr steinern Herze betten.
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DER
GEFANGENE UND DER TOD
(Meinem
lieben Zellennachbarn Valtin Hartig)
Der
Gefangene spricht:
Ich
denke deinen Namen, Tod, und um mich bricht
Der
Zellenbau in Trümmer, Fundamente liegen bloß,
Aus
Pfosten reißen sich die schweren Eisengitter los
Und
krümmen sich im fiaskenlosen starren Licht,
In
meiner Seele gellt ein Schrei. Ein Zittern wirft
Ins
Blut, darin das Leben pochend schwingt —
Und
wie die Kreißende um sich und um ihr Junges
ringt.
So
ringt mein Blut verzweifelt um den Quell der Erde.
Oh,
daß ich fliehen könnte! Denn dir hilflos hingegeben,
Heißt
hilflos sich zerstören. Wer sich aufgibt,
Wählt
dich zum Freund. Ich aber will das Leben!
Ich
will das Leben so, daß mich das Leben liebt
Und
seinen Rhythmus durch mich strömt, mich
Welterfüllten,
Deß
trunkne Erdenlust nicht tausend Jahre stillten.
Der
Tod spricht:
Da
du das Leben willst, warum Erbleichen,
Wenn
meine Melodie in deiner Seele tönt?
Wer
mich erträgt, der atmet wie versöhnt.
Sein
Herz kann nicht mehr greller Klang erreichen.
Ist
tot der Baum im Herbst der Abendweiten?
Ist
tot die Blume, deren Blüte fallend sich erfüllt?
Ist
tot der schwarze Stein, der glutne Kräfte hüllt?
Ist
tot die Erde über Gräbern menschlicher Gezeiten?
Oh,
sie belogen dich! Auch ich bin Leben,
Ein
Märchen sprachen sie: der Tod sei in der Welt.
Ich
bin das Ewige im Spiel der Formen, die Vollendung
weben.
Dem
Einen nahe, das den Sinn in Händen hält.
Ich
bin der Wanderer, der überwand die tiefsten
Wunden,
Und
wer mich fand, der hat den Schoß der Welt
gefunden.
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