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04.2
Erich Toller
Ein
Sonettenkreis
EIN
GEFANGENER REICHT
DEM TOD DIE HAND
Erst
hörte man den Schrei der armen Kreatur.
Dann
poltern Flüche durch die aufgescheuchten Gänge,
Sirenen
singen die Alarmgesänge,
In
allen Zeilen tickt die Totenuhr.
Was
trieb dich, Freund, dem Tod die Hand zu reichen?
Das
Wimmern der Gepeitschten? Die geschluchzten
Hungerklagen?
Die
Jahre, die wie Leichenratten unsern Leib zernagen?
Die
ruhelosen Schritte, die zu unsern Häuptern
schleichen?
Trieb
dich der stumme Hohn der leidverfilzten Wände,
Der
wie ein Nachtmahr unsre Brust bedrückt?
Wir
wissen's nicht. Wir wissen nur, daß Menschenhände
Einander
wehe tun. Daß keine Hilfebrücke überbrückt
Die
Ströme Ich und Du. Daß wir den Weg verlieren
Im
Dunkel dieses Hauses. Daß wir frieren.
BESUCHER
Die
Augen sind vom Haßschrei der Gefängnismauern
Verstört
gleich Tauben, die ein Marder überfiel.
Und
die verschüchtert flattern ohne Ziel,
Erblindet
vor den Zähnen, die in Blutdurst lauern.
Dann
Mitleid scheu erblüht wie blauer Klang der
Harfen,
Die
Herzen klammern sich an des Gefangnen Hand —
Oh,
viele bittre Nächte weinten wie verbannt,
Seit
Waffenknechte den Empörer ins Gefängnis warfen.
Der
aber wuchs aus Last erstarrter Zellen,
Und
seine Seele ward entrückt dem Rhythmus kleinen
Lebens,
Er
lebt nach innen, lebt an Gottes Quellen —
Und
der Besucher friert und fühlt, er kam vergebens.
Ein
Pilger, der den Weg zum Freund verloren . . .
Und
tiefer noch vereinsamt, weint er vor geschloßnen
Toren.
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GEMEINSAME
HAFT
Sie
sind gepfercht in einen schmalen Käfiggang,
Gleich
Tieren, die an Gitterstäben wund sich biegen,
Und
die von Heimweh krank am Boden liegen
Und
fast erschrecken vor der eignen Stimme Klang.
Sie
dorren hin und träge wird ihr Blut,
Nur
böser Giftstrom bricht aus ihrem Munde,
Der
sucht und ätzt des Nachbarn offne Wunde —
Die
eingesperrten Menschen sind nicht gut.
Die
eingesperrten Menschen sind gleich Kranken,
Sie
wurden taub und stumm und blind,
Sie
hassen sich, weil sie so ärmlich einsam sind.
Weil
sie im Chaos ihres Ichs versanken.
Weil
grobe Nähe auch des Freundes Antlitz roh und
häßlich
macht,
Weil
jeder über jeden zu Gerichte sitzt und hämisch
lacht.
zurück
ENTLASSENE STRÄFLINGE
1918
(Meiner Mutter)
Sie
träumen, Trunkne, durch vertraute Gassen,
Gefäß,
darin ein Lichtmeer brandet,
In
tausend Farben schäumt, im Asphalt strandet —
Form
kann die Fülle noch nicht fassen.
Wie
Auferstandne tasten sie mit durstgen Blicken
Nach
Blätterknospen, die imFrühlingsatem schwellen. . .
Sie
streifen von sich modrig Kleid verwester Zellen
Und
wachsen flammend auf in irdischem Entzücken.
Doch
Stadt erschreckt sie jäh wie fremdgespenstig
Land
. . .
Dann
wieder sind sie tief in sich verklungen . . .
Unendlich
fern die Zeit, da sie gebannt
In
grauen Sarg, und hohle Wände Totenlied gesungen.
Zerbrechlich
lächeln sie, als ob sie irgendwo Erloschnes
fänden.
Und
streichen fremdes Kind mit scheuen, unbeholfnen
Händen.
zurück
UNSER WEG
Dem
Andenken Kurt Eisners
Die
Klöster sind verdorrt und haben ihren Sinn verloren,
Sirenen
der Fabriken überschrillten Vesperklang,
Und
der Millionen trotziger Befreiungssang
Verstummt
nicht mehr vor klösterlichen Toren.
Wo
sind die Mönche, die den Pochenden zur Antwort geben:
„Erlösung
ist Askese weltenferner Stille . . .“ —
E
i
n Hungerschrei, e i n diamantner Wille
Wird
an die Tore branden: „G e b t u n s L e b e n!"
Wir
foltern nicht die Leiber auf gezähnten Schragen,
Wir
haben andern Weg zur Welt gefunden.
Uns
sind nicht stammelndes Gebet die Stunden,
Das
Reich des Friedens wollen wir zur Erde tragen,
Den
Unterdrückten aller Länder Freiheit bringen —
W
i r
m ü s s e n u m d a
s S a k r a m e n t d e r E
r d e
r
i
n g e n!
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