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Gedichte
Erich Toller

Das Schwalbenbuch
Seite 6





Schwälbchen, der Morgen, der
Morgen ist da!




Auf dem gebuckelten Nestrand
Sitzt die Schwälbin.
Schaut mit ernsten, erwartenden Augen
(Wie wenig kennen die Menschen
eure Augen, Tiere!)
Auf die heilige Stätte der Wandlung.
Ab und zu
Klopft sie mit knackendem Schnabel
An kalkumpanzerte Welten
Trächtigen Lebens.
Lauschend verweilt sie





Unsäglich zärtlicher Laut!
Eilig fliegt das Männchen herbei,
Aufgeregt, geschäftig, betriebsam
Umkreist es plaudernd das Nest.
Gleich in schelmischer Freude
Wehrt die Schwälbin
Dem forschenden Flug.
Endlich hält sie inne.
Sehr sanft wird ihr Blick,
Sehr weich und gelöst
Ihre Gebärde.

Und das Schwalbenmännchen
Erschaut
Sich,
Sich in fünf winzigen
Blinden, atmenden
Gesichten.

Laßt mich teilnehmen
An eurer Beglückung,
Gefährten.
Pate will ich den fünfen sein,
Mitsorgender, helfender Schützer.

Ich gratuliere! Ich gratuliere!





Schwälbchen, der Morgen, der Morgen ist da!
Nachts hat Mutter euch Märchen gezwitschert,
Jetzt sucht sie Brot zum Schnäbleinstopfen,
Schwälbchen, der Morgen, der Morgen ist da.

Schwälbchen, der Morgen, der Morgen ist da!
Sonne pocht an und will Euch begrüßen,
Öffnet die braunen Guckäugelein,
Schwälbchen, der Morgen, der Morgen ist da.

Schwälbchen, der Morgen, der Morgen ist da!
Bald seid Ihr groß, dann werdet Ihr fliegen
Fort übers Meer zu den Negerlein,
Schwälbchen, der Morgen, der Morgen ist da.







Graue seidene Härchen
wachsen in komischen Büscheln
aus rosigen Leibern.
Aufgespießt auf einem dünnen
Überlangen Hals
Der Kopf . . .
Reißt eins das gelbe Schnäbelchen auf,
Bleckt
Ein lächerlich wütender Rachen.

Immer bleibt das Nest sauber.
Liegt darin ein weißes Würstchen
Mit schwarzem geringeltem Schwänzchen,
Wirds von den Eltern gepackt
Und hinausgetragen.

Eifrig füttern sie
Das junge Getier.
Erst wird das Futter
Im Kropf erweicht,
Mit Speichel zart bereitet,
Dann in die hungrigen Mäuler gestopft.
Hat der Vater
Das Junge zur Rechten gefüttert,
Füttert die Mutter
Das Junge zur Linken.
Geheimes Gesetz
Waltet.


Wie ein Kind, das am Bilde sich freut, am Spiele
Holderer Wesen,
Sah ich Dir zu.
Nun seh ich, ein wissender Mensch.

Was trägst Du,
Gewürgt vom krallenden Schnabel,
Den hungrigen Jungen herbei?
Ein Tierchen gleich Dir,
Deine kleine Schwester Fliege.
Verkettet auch Du der Urschuld des Lebens!
Weh uns!
Was lebt, mordet.

Ich will Dich lieben mit tieferer Liebe,
Da ich weiß, was Schicksal Dich tun heißt.

Es ist ein Fluch der Erde,
Nirgends
Atmet das Lebendige
In göttlicher Unschuld.
Und noch das Tote
Muß töten.







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