2. Erzählung
Die
Geschichte vom Knecht Nikolaus
So
war nun also das Christkindlein da und wurde von Frau Holle und den
Engelein mit der größten Zärtlichkeit gepflegt. Waren sie vorher
fleißig gewesen, so wurden sie es jetzt noch viel mehr. Den ganzen Tag
arbeiteten sie für das liebe Kind, das mit erstaunlicher Schnelle
heranwuchs, im Frühjahr bereits sprechen und laufen konnte und, als der
Sommer vorbeigegangen, schon fast so groß war, wie die Mägdlein drunten
im Tal, wenn sie das erstemal zum Tanz unter die Linde gehen. Die
Engelein fingen Sonnen- und Mondesstrahlen, haschten die Morgennebel
und die feinsten Spinnwebe, die zu finden waren. Daraus fertigten sie
Christkindskleider und einen langen, faltigen Schleier, den sie mit
glänzenden Tautropfen bestickten. – Je mehr das Christkind heranwuchs,
um so schöner und lieblicher wurde sein Angesicht, um so süßer seine
Stimme und um so holdseliger sein Lächeln.
Als
es aber nun Herbst war, dachte Frau Holle ernstlich daran, wie nun die
Weihnacht nicht mehr ferne sei, und dass ihr liebes Kind bald hinunter
auf die Erde ziehen müsse; aber sie fürchtete sich, es so ganz allein
in die kalte, dunkle Winternacht hinauszuschicken. Außerdem sollten ja
auch nur die guten Kinder belohnt und die bösen bestraft werden – das
Christkind war aber viel zu gut, um dies über sein Herz bringen zu
können. Es blieb nichts anderes übrig, man musste ihm einen Gefährten
suchen, der es beschützen und auch den bösen Leuten ein wenig Furcht
einjagen konnte.
Nachdem
sich die Frau Holle dies genugsam überlegt, zog sie eines Tages wieder
ihr schönes, grünes Kleid an, setzte einen Kranz von Astern auf und
bestieg den goldnen Wagen mit den zwei schneeweißen Kühen. Neben ihr
saß das Christkind in einem rosenroten Gewand, auf welches goldne
Sterne gestickt waren, über dem Kopf trug es den feinen, langen
Schleier, den eine Goldkrone festhielt. Sie fuhren den ganzen Tag
herum, die Kreuz und Quere, ohne dass Frau Holle fand, was sie suchte.
Endlich kamen sie gegen Abend in ein kleines, grünes Tal, durch das ein
lustiges Bächlein strömte, welches am Ende des Tales eine Mühle trieb.
Neben dem Bächlein saß ein Mann, der hatte langes, schwarzes Haar,
einen schwarzen Bart und ein sehr braunes Gesicht. Vor ihm lag ein
Haufen schlanker Reiser und Gerten, von denen er Besen band, und er
musste sehr fleißig gewesen sein, denn eine Menge fertiger Besen lag
schon neben ihm.
Frau
Holle hielt ihren Wagen an und sagte freundlich: »Guten Abend, lieber
Mann!«
Der
Mann brummte mürrisch, ohne aufzusehen: »Guten Abend!«
Frau
Holle ließ sich nicht abschrecken und fuhr fort: »Wie heißt du denn,
lieber Mann?«
»Nikolaus,«
brummte er ebenso mürrisch als zuvor, »und ich bin auch kein lieber
Mann.«
Frau
Holle lachte: »Warum denn nicht, wer hat dir denn etwas getan?«
»Niemand!«
knurrte er wieder, »es sollte mir auch nur einer kommen!«
»Nun,
wer sagt denn, dass du kein lieber Mann bist?«
»Das
sagen alle bösen, unartigen Kinder, die ich durchaus nicht leiden
kann«, antwortete der Nikolaus, und sah dabei das gute Christkindchen
ganz scharf und durchdringend an; es lächelte aber nur freundlich
dagegen, denn es wusste ja, dass es sich nicht zu fürchten brauche.
»Ei,
lieber Nikolaus, da geht es mir grade wie dir,« antwortete Frau Holle,
»und nun sage mir auch noch, wozu du bei deinen großen Besen die vielen
kleinen liegen hast, mit denen kann man doch nicht fegen.«
»Ha,
ha,« lachte der Nikolaus, »das ist meine Erfindung; die kleinen Besen
sind Ruten für die ungezogenen Kinder. Wenn ich den Müttern meine Besen
verkaufe und ich höre, dass unartiges kleines Volk im Hause ist,
schenke ich ihnen eine tüchtige Rute, um die bösen Schreier damit
gehörig durchzubläuen. Da haben sie denn eine gewaltige Furcht vor mir,
und wenn ein Kind nicht gleich folgen will, sagt die Mutter nur zu ihm:
›Schweig gleich still, sonst kommt der Besenbinder Nikolaus und bringt
dir eine Rute.‹«
»Ach,
lieber Nikolaus,« sagte Frau Holle, »wir passen ja ausgezeichnet gut
füreinander; sage mir nun auch noch, wo du herkommst.«
»Da,«
sagte er und deutete auf die Berge, »da hinter dem Böllstein bin ich
her; dort steht mein Häuschen, in dem ich mich im Winter ausruhe und
auf der warmen Ofenbank mein Pfeifchen rauche.«
»Verstehst
du denn sonst gar nichts als Besen binden, lieber Nikolaus?«Den
Nikolaus machte das viele Fragen ungeduldig; er hatte immer fort
gearbeitet und warf nun einen fertigen Besen zu den übrigen, dass es
laut klatschte und das Christkindchen ganz erschrocken in die Höhe
fuhr. »Ha, ha!« rief er, »hast du auch Respekt vor den Ruten?«»Stille,
stille, Nikolaus,« sagte jetzt Frau Holle gebieterisch, »mein Kind
braucht keine Ruten; gib mir schnell Antwort auf das, was ich dich
fragte.«
Zum
erstenmal sah jetzt der Nikolaus die Frau Holle und das Christkind
ordentlich an; da ward ihm ganz sonderbar zumute. Er stand auf, zog
seine Mütze ab, kratzte sich hinter den Ohren und sagte dann: »Na, ich
weiß nicht, wie das kommt, aber so lange, wie mit Euch, habe ich noch
mit niemand im Leben gesprochen, und ich muss Euch auf alles Antwort
geben, wenn ich auch gar nicht will. Eigentlich bin ich ein
Lebkuchenbäcker, und keiner im ganzen Odenwalde kann süßere und
würzigere Lebkuchen machen als ich. Wenn ich aber nun so im Sommer mit
meinen Lebkuchen zum Verkaufe herumzog, an die Fenster klopfte und dann
oft drinnen in den Stuben den Schmutz und Unrat haufenweis herumliegen
sah, da habe ich mich ganz entsetzlich geärgert, denn nichts ist mir
unausstehlicher als der Schmutz. Ich hätte längst geheiratet, wenn ich
mich nicht vor dem Schmutze fürchtete.«
Frau
Holle strahlte vor Freude: »Lieber, lieber Nikolaus, du gefällst mir
außerordentlich gut«, rief sie entzückt.
Der
Nikolaus lächelte geschmeichelt und sah Frau Holle wieder von oben bis
unten an: »Ihr scheint mir wirklich eine saubere Frau zu sein«, fuhr er
fort; »doch hört nur: Da dachte ich, Besen sind den Menschen
notwendiger als Lebkuchen, denn die gute Frau Holle fegt nicht mehr bei
ihnen wie früher. So verlegte ich mich denn aufs Besen- und
Rutenbinden, ziehe mit meinem Eselchen im Lande herum, und wo eine
schmutzige Wirtschaft mit unartigen Kindern ist, fahre ich hinein, dass
es eine Art hat. Dabei verlernt man es freilich, ein lustiges Gesicht
zu machen.«
Als
Frau Holle das hörte, wusste sie sich vor Freude kaum zu lassen; sie
reichte dem Nikolaus ihre schneeweiße Hand, neben der seine großen,
harten Finger noch einmal so dunkel aussahen, und rief: »Lieber
Nikolaus, komme mit mir, ich will dich in ein so reinliches Haus
führen, dass du gewiss deine Freude daran hast.«
Da
schüttelte er aber den Kopf und sagte: »Bewahre, da wird nichts draus,
ich muss zu meinem Eselchen, das steht drunten in der Mühle im Stall,
ich muss die Nacht bei ihm schlafen.«
»Das
Eselchen nehmen wir auch mit,« versetzte Frau Holle, »eile dich und
hole es.«
»Ja,
wohin geht es denn?«
»Das
wirst du schon sehen, eile dich, eile dich!«
Der
Nikolaus musste tun, was Frau Holle sagte, mochte er wollen oder nicht;
er raffte seine Besen und Ruten zusammen, warf sie in Frau Hollens
Wagen und zuletzt noch einen großen Sack, in dem es gar sonderbar
rumpelte und rappelte, sodass das Christkind mit seinem feinen
Stimmchen fragte: »Was hast du denn da drinnen, lieber Nikolaus!«
»Da
habe ich Nüsse und Äpfel drin, die schenke ich den braven und artigen
Kindern.«
»Ei,
lieber Nikolaus, so kannst du also auch gut sein?« rief Christkindchen
ganz erfreut.
»Versteht
sich, kann ich das; wer nicht ordentlich strafen kann, kann auch nicht
ordentlich belohnen. Willst du jetzt einen dicken, rotbäckigen
Borsdorfer Apfel, denn du scheinst mir sehr lieb zu sein?«
Christkindchen
dankte schön, nahm den Apfel und biss mit seinen weißen Zähnchen
hinein, während der Nikolaus nach der Mühle ging, um sein Eselchen zu
holen. Das wurde dann hinten an den goldnen Wagen angebunden, Nikolaus
setzte sich darauf, und so ging es fort die Böllsteiner Höhe hinauf und
grade hinein in Frau Hollens hellen, goldnen Saal. Schon unterwegs
merkte es endlich der Nikolaus, mit wem er es wohl zu tun habe, und er
hätte lieber wieder drunten am Mühlbach bei seinen Besen gesessen, aber
Frau Holle redete so liebreich mit ihm, dass er nach und nach alle
Furcht vergaß und ganz anständig von seinem Esel sprang, nachdem sie
angekommen waren.
War
das eine Freude und ein Geschrei unter den Engelchen, als sie den
braunen Nikolaus mit seinem Grauchen ankommen sahen! Erst
fürchteten sie sich ein wenig vor ihm, dann überschütteten sie ihn mit
Neckereien: eines zupfte ihn am Bart, ein andres warf alle seine Ruten
und Besen ins Feuer, dass dieses hell aufflackerte, und ein drittes
leerte gar den Sack mit Nüssen und Äpfeln aus. Als diese nun auf dem
glatten Marmorboden wie toll hin und her kollerten, warfen sie sich
insgesamt darauf, um sie aufzulesen, und nun hatte der arme Nikolaus
wenigstens einen Augenblick Ruhe. Es war aber auch Zeit, denn er machte
ein furchtbar böses Gesicht und hob die Hand mit drohender Gebärde
gegen die Engelein auf. So gefiel er aber grade der Frau Holle am
besten.
»Lieber
Nikolaus,« sagte sie, »du musst immer bei uns bleiben, es soll dich
nicht gereuen. Wenn es jetzt Winter wird, begleitest du mein
Christkindchen hinunter zu den Menschen, damit ihm unterwegs kein
Unfall begegnet. Und weil es viel zu gut ist und nur mit den braven
Kindern sprechen und sie beschenken will, wirst du den unartigen eine
Rute bringen und sie tüchtig ausschelten. Ist dir das recht, lieber
Nikolaus?«
»Nein,
das ist mir gar nicht recht,« sagte der Nikolaus mürrisch, »da kann
nichts draus werden. Im Sommer ließe ich's mir noch gefallen, im Winter
aber ist's mir zu kalt; da lege ich mich lieber auf meine Ofenbank, als
dass ich draußen in der Nacht herumlaufe.«
»Wir
wollen schon dafür sorgen, dass du nicht frierst,« rief Frau Holle,
»ich gebe dir meinen Pelzrock und meine Pelzmütze, darin steckt man so
warm wie in einem feurigen Ofen.«
»Aber
mein Grauchen?« fragte der Nikolaus weiter, »das gebe ich nicht von
mir.«
»Das
brauchen wir ja gradeso nötig wie dich; auf dem Eselchen lässest du
mein Christkindchen reiten, wenn es müde ist, und außerdem hängen wir
ihm zwei große Körbe an, in den einen stecken wir die Ruten, in den
andern die guten Sachen. Bist du so zufrieden?«
Der
Nikolaus wollte noch immer nicht recht daran, da kam aber das
Christkindchen hervor, nahm ihn bei der Hand und sagte: »Lieber
Nikolaus, du bist ja doch den braven Kindern gut, willst du mich ganz
allein durch die Nacht zu ihnen gehen lassen und nicht auch sehen, wie
sie sich freuen, wenn ich ihnen schöne Geschenke bringe?«
Wie
der Nikolaus nun das Christkind so vor sich stehen sah und in seine
lieben Augen blickte, konnte er nicht »nein!« sagen.
»Herzliebes
Christkindchen,« rief er, »so will ich denn in Gottes Namen mit dir
ziehen, wenn ich auch entsetzlich frieren werde, man kann dir ja nichts
abschlagen. Wenn ich aber nach Hause komme, müsst ihr mir immer für ein
tüchtiges Feuer sorgen.«
»Das
sollst du haben«, rief Christkindchen, und die Engelchen tanzten und
schwirrten dem Nikolaus um die Nase herum und schrien:
»Nikelöschen,
Nikelöschen,
Morgen
geht's zu Karl und Röschen,
Zu
Mathilden und zu Anna,
Zu
dem Georg und der Johanna!
Wollen
sie nicht artig sein,
Ei,
so schlag nur tüchtig drein!«
bis
der Nikolaus ganz zornig ward, mit den Füßen stampfte und mit beiden
Händen das kleine Gesindel von sich abwehrte.
Da
rief Frau Holle: »Jetzt ist's genug; trollt euch fort, führt das
Eselchen in den Stall zu den Kühen, gebt ihm gutes, frisches Heu und
macht ihm ein ordentliches Strohbett zurecht. Hernach aber bringt uns
das Abendessen!«
Die
Engelein stoben auseinander, und in einer Minute war alles getan, was
Frau Holle befohlen. Das Eselchen stand im Stall, fraß sein Heu und
rief ein vergnügtes »J–ah!« dazwischen. Für Frau Holle und
Christkindchen brachten die Engelein süße, köstliche Milch und
Zuckerbrot, vor den Nikolaus aber stellten sie eine große Schüssel voll
Sauerkraut und Kartoffelbrei mit einer langen, langen Wurst. Das gefiel
ihm sehr wohl, er griff wacker zu und sagte: »Liebe Frau Holle, es ist
wirklich recht schön und angenehm bei Euch!«