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 Gedichte
  Erich Toller

  Das Schwalbenbuch
  Seite 4
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Weißt Du, wie eine Schwalbe fliegt



Im Nest,
Gebettet in weiße daunige Federn,
Liegen
Fünf braungesprenkelte Eier.
 
Fünf festliche Tempel keimenden Lebens.
 
 
Die Menschenmütter,
Ach sie sind nicht mehr
Festliche Tempel keimenden Lebens.
 
In meiner Mutter Hände [2]  
Lerben sich Runzeln.
Als sie mich trug,
War ihr Blut
Beschattet von täglicher Not.
Träumend
Wuchs ich
Im Dunkel des wärmenden Schoßes . . .
Meine Milch Schwermut.
Mein Herzschlag Trauer.
 
Das Lied in Moll
Wahre der Mensch
Im hymnischen Chor der Welt.








Weißt Du, wie eine Schwalbe fliegt?
 
Ich sah
Im Kriege Gefangene wandern
Durch klagende Täler zerschossener Dörfer.
Den Reihen der Gaffenden
Entkrümmte sich
Ein Weib.
Hände gekrampft lösten sich,
Stiegen steil in Äther schwärzlichen Himmels,
Stiegen! Stiegen!
Schwebten!
Jauchzten!
Und einer Stimme seraphischer[3] Jubel:
André!!!
 
Aber es war nicht wie der Flug einer Schwalbe.
 
Ich sah
Im Gefängnis gefesselte Menschen
Schlafend . . .
Träumend . . .
O Antlitz sternenstrahlend!
Gefesselte Menschen
Träumend!
Du seliger Sieger Traum!!!
 
Aber es war nicht wie der Flug einer Schwalbe.
 
Der Schwalbe Flug – wie Unnennbares nennen?
Der Schwalbe Flug – wie Unbildbares bilden?
Lebte ein Gott,
Sein Zorn:
Der Schwalbe schnellendes Pfeilen,
Sein Lächeln:
Der Schwalbe innigweises Spiel,
Seine Liebe:
Der Schwalbe trunknes Sichverschenken.
 
 
Europa preist seine Äroplane,
Ich aber, ich Nummer 44,
Will mit den schweigenden Akkorden meines Herzens
Den Flug der Schwalbe preisen.





Wer preist mit mir den Flug der Schwalbe?
Alle lade ich ein!
Wer kommt?
 
Ein ältliches Mädchen.
Ein buckliges Kind.
Ein Narr.
 
O lächerliche Trinität menschlicher Güte!
 
Wir preisen! Amen.
Wir singen!   Amen.
Wir beten an!   Amen.
 
Wir preisen den Flug der Schwalbe,
Aber so heißt ihres Fluges Offenbarung:
 
Das Tier ist heiliger als der Mensch.  Amen.
Die Blume heiliger als das Tier.  Amen.
Erde heiliger als die Blume.  Amen.
Aber am heiligsten der Stein.  Sela [4]. Sela. Sela.  
 
 
Morgens putzt sich das Schwalbenmännchen
Mit feiner Grazie
Sein bläulich blitzendes Gefieder.
Immer ist die Schwälbin unzufrieden,
Schilt ihn, zankt ihn, plappert, poltert
Ein scheckiges Kauderwelsch.
Würdig beendet das Männchen
Seine Morgenfrisur,
Antwortet kaum den keifenden Lauten.
Dann – heidi!
Fliegt′s in die tauigen Himmel.
Aber nicht lange,
Sitzts auf dem Fensterrahmen,
Zwitschert der brütenden Gattin
Ein fröhliches Morgenkonzert.
Zirizi, Zirizi
Zirizi
Urrr




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