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Gedichte
Erich Toller

Das Schwalbenbuch
Seite 5
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Ich ein Renegat der Menschheit



Ich stehe am nächtlichen Gitterfenster.
 
Träumend zwitschert die Schwälbin.
Geweckt vom liebenden Ruf 
Regt sich leise das Schwalbenmännchen.
 
Ich bin nicht allein.
 
Auch Mond und Sterne sind mir Gefährten
Und die schimmernden schweigenden Felder.







Menschen wie arm eure Feste!
Jazztänze schrill von verruchter Zeit!
Eure Lebensangst
Ankurbelt die Autos der Selbstflucht,
Illuminiert
Die Seele
Mit Lampions elektrischer Gier
Und wähnt:
Sie sei geborgen.
 
Aber sie ist nicht geborgen
 
All Euer Lärm,  Euer Gekreisch, Euer  Gekrächz,
Euer Freudeplakatieren, Lustigsindwir: 
Hahaha –
Übertönt nicht
Das leise kratzende
Nagen
Der drei heimlichen Ratten
Leere       Furcht       Verlassenheit
 
Aber schon schaue ich Dich,
Gewandelte Jugend der Revolution.
 
Deine Tat:      Zeugung.
Deine Stille:   Empfängnis.
Dein Fest:       Geburt.
 
Opfernd
Im todnahen Kampfe heroischer Fahne,
Schreitend
Im reifenden Felde träumenden Frühlings,
Jauchzend
Im bindenden Tanze gelöster Leiber,
Ahnend
Im magischen Schweigen gestirnter Nacht.
 
Schon schaue ich Dich,
Gewandelte Jugend der Revolution.

 

                                              

Ihr meine brüderlichen, Ihr meine tapferen
Schwalben!
Auf dem Hofe steh ich.
In morgenlichen Lüften segelt, spreitend die
mächtigen
Flügel mit Würde, ein Sperber.
Ich höre gelle Schreie spielender Schwalben.
Von allen Seiten antworten Rufe.
Scharen von Schwalben fliegen herbei.
Wer gab das Angriffssignal?
In gepfeilter Wucht stürzen sie auf den
königlichen Vogel,
Der in seinen Fängen einen jungen Sperling krallt.
Ihr meine brüderlichen, Ihr meine tapferen
Schwalben!
Doch welch ungleicher Kampf!
Gelassen, mit bewegterem Flügelschlag, wehrt der
Angegriffene.
Kaum achtet er der winzigen Verfolger.
Armer Sperling!
Immer wieder greifen die Schwalben den Räuber an.
Bedrängen ihn mit feuriger Leidenschaft.
Schon werden seine Flügelschläge hastiger,     
unbeherrschter . . .
Die Schwachen haben den Starken besiegt!!
Zornigen Schreis, bezwungen von verbündeter
Kraft,
öffnet der Sperber die kerkernden Fänge.
Zitternd entflattert der betäubte Spatz.
In seligen Flügen feiern die Schwalben den Sieg der
Gemeinschaft.







Wann endlich, Tiere, bündet ihr Euch
Zum Bunde wider die Menschheit?
Ich, ein Mensch,
Rufe Euch auf!
Euch Nachtigallen, geblendet mit glühender Nadel,
Euch Hammel, gewürgt in Kasematten vergaster
Übungsschiffe,
Euch Esel, sanfteste Tiere, zusammenbrechend unter
Peitschenhieben,



Euch Strauße, zuckenden Atems gerupft und füh-
lenden Herzens,
Euch Pferde, sonnenlos werkend in verpesteten
Schächten.



Euch Bären, dressiert auf glühender Eisenmatte,
Euch Löwen, gezähmt im Zirkus von stählerner Knute,
Euch Alle      Euch Alle
Rufe ich auf!
Erwachet!



Rächen wollen wir
Die Opfer des Menschen:
Tiere für Gaumenkitzel atmend gefoltert,



Tiere für Modelaunen lachend geschunden,
Tiere berauschten Arenen eitel geopfert,
Tiere in Kriegen sinnlos zerfetzt . . .



Ich will mich an Eure Spitze stellen,
Ich, ein Renegat [5] der Menschheit,
Will Euch führen gegen den einen Feind
M e n s c h
 
Tiere der Wüste: Brüllet Alarm!
Tiere des Dschungels: Heulet Sturm!

 

Keine Unterscheidung lassen wir gelten.
Weiße und Schwarze, Gelbe und Braune,
Alle alle Erdschänder! Muttermörder! Sternenräuber!  



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