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Gedichte
Erich Toller

Das Schwalbenbuch 8







Mensch, sahest du je
ein Tier weinen?





Lausche ich euch, Schwalben,
lächle ich meines werkenden Tuns.

Die Mensch Mitte des Weltalls?
Warum nicht die Schwalbe!
Erhebet doch, erhebet doch
die Schwalbe
auf den Thron des siebenten Tages. [6]

Um des Menschen willen
habt Ihr Menschen gemordet,
um der Schwalbe willen,
vielleicht, daß ihr den Menschen findet.
Und mehr als den Menschen.

Lausche ich euch, Schwalben,
lächle ich meines werkenden Tuns.
Lächle auch du, Freund.






Und wieder richten die Schwalben das Nest.

Und wieder Tage werbender Liebe, trunkener
Erfüllung.


Und wieder ward mir friedliche Beglückung.


Aber draußen kämpfen die Brüder . . .
[7] 





Vier Junge, blind noch, zittern im Nest.
Immer seltener kehren die Eltern heim.
Not! Not!
Keine Nahrung für die Jungen in der Erloschen-
heit
nebliger Tage.
Not! Not!
Am Abend schmiegen sich nackte Leiberchen
an die mütterliche Brust, so hilflos vertrauend,
als schmiegten sich Sterbende ans Herz
inbrünstig geträumter Gottheit.
Die Schwälbin weinte.

Mensch, sahest Du je ein Tier weinen?





Frost kam über Nacht
in einem Leichenmantel.


Am Morgen bin ich aufgewacht.
          Das Nest war leer . . .
          Mein Herz war leer . . .


O liebe kleine Schwälbchen





Die Schwalbeneltern trauern um ihre Jungen.
In einer sehr wehen Nähe kauern sie auf dem Draht,
der sich über meinen Tisch spannt.
Eines schenkt dem andern die Wärme seines Blutes.
Anders trauert Ihr, meine Schwalben, als Menschen
trauern.
Eure Klage: ein frierendes Erschauern vor dem
Hauche der Unendlichkeit.
Mit euch trauert der dämmernde Abend.
Mit euch trauern die Dinge meiner Zelle.

Erhabenes Schweigen










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